Seit mehr als einer Woche hat Südkorea mit Yoon Suk-yeol einen neuen Präsidenten. In einer äußerst knappen Wahl, vielleicht der knappsten der Historie Südkoreas, setzte sich der 61 Jahre alte Ex-Generalstaatsanwalt der konservativen Partei gegen den sozialliberalen Lee Jae-myeong von der Demokratischen Partei durch. Am Ende waren es wenige Prozentpunkte, die den Ausschlag gegeben haben für eine konservative Wende in Südkorea, das zuvor fünf Jahre lang sozialliberal unter Moon Jae-in regiert wurde.
Was bedeutet der Ausgang der Präsidentschaftswahl für das Land selbst, das innenpolitisch zerrissen und außenpolitisch mit dem Erbfeind Nordkorea in ständigen Konflikt ist sowie für die Beziehungen zu China?
Henning Effner, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Südkoreas Hauptstadt Seoul, gibt darauf Antworten.
Für Effner ist der Wahlsieg Yoons keine Überraschung gewesen. „Nachdem sich Ahn Cheol-soo (Anm. dritter Präsidentschaftskandidat) entschieden hatte, aus dem Rennen um die Präsidentschaft auszusteigen und fortan Yoon zu unterstützen, war Yoon als Favorit gehandelt worden“, sagt Korea-Experte Effner.
Insofern sei der Wahlsieg Yoons nicht überraschend gekommen. Dass es dann doch noch einmal so knapp wurde, zeige einmal mehr, dass es Lee auf den letzten Metern anscheinend gelungen ist, seine traditionelle Wählerschaft, die eher im Südwesten der Halbinsel zu verorten ist, zu mobilisieren. Während hingegen die Ostprovinzen traditionell konservativ wählen.
Dennoch hat es schlussendlich nicht für Lee gereicht und das 55-Millionen-Einwohner-Land wird wieder konservativ regiert, wie in den Jahren vor der Präsidentschaft von Moon (2017-2022) auch.
Ausschlaggebend war diese Mal vor allem die Jugend gewesen, die mehrheitlich konservativ wählte. Sie strafte Moons Partei, die Demokraten, ab, da er seine Wahlversprechen nicht wirklich eingelöst hatte und eine desillusionierte Jugend zurücklässt. Sie ist es, die als erste Generation im Nachkriegskorea trotz immensen Fleißes und Wettbewerbs nicht mehr den sozialen Aufstieg schafft. Viele Universitätsabgänger halten sich mit Nebenjobs oder befristeten Beschäftigungsverhältnissen über Wasser, ohne Hoffnung auf Eigentum und Altersvorsorge. Moon wird maßgeblich dafür verantwortlich gemacht.
Aber auch Yoon wird sich daran messen lassen müssen, was er konkret für die Jugend und für den sozialen Frieden des von Generationenkonflikten und sozialen Problemen zermürbten Landes tut.
„Die größte Herausforderung für den neuen Präsidenten sind die drängenden sozialen Probleme des Landes: hohe Altersarmut, steigende Jugendarbeitslosigkeit, explodierende Miet- und Immobilienpreise sowie die weltweit niedrigste Geburtenrate“, erklärt Henning Effner.
Trotz der drängenden sozialen Probleme hat Yoon angekündigt, eine neoliberale Wirtschaftspolitik zu verfolgen. „Für den neuen Präsidenten des einstigen Tigerstaats steht Deregulierung und Entfesselung der Marktkräfte an erster Stelle, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.“ Dabei sind höhere Sozialausgaben nachteilig, da diese das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen könnten, ist Yoons Devise. Effner prognostiziert: „Es ist daher leider zu befürchten, dass sich die sozialen Probleme des Landes weiter verschärfen werden.“ Konkret will Yoon Unternehmenssteuern senken und im Glauben an den freien Markt neue Investitionen anlocken. Sein Wahlprogramm liest sich dabei wie die genaue Antithese seines Vorgängers Moon, der etwa für ein Grundeinkommen angetreten war.
In den Beziehungen zu China und Nachbar Nordkorea hat Yoon auch eine andere Haltung. Yoon hat im Wahlkampf angekündigt, gegenüber China eine kritischere Haltung einzunehmen als sein Vorgänger Moon. „Für Yoon hat die Allianz mit den USA oberste außenpolitische Priorität. Es ist davon auszugehen, dass sich Yoon in allen außenpolitischen Fragen sehr eng mit Washington abstimmen wird, insbesondere mit Blick auf die Politik gegenüber Nordkorea und China“, erklärt Effner. Im Wahlkampf hat Yoon gesagt, die Indo-Pazifik-Strategie der USA zu unterstützen, die China zunehmend provoziert und schlimmstenfalls sogar einen chinesisch-amerikanischen Krieg mit auslösen könnte.
Es wird ferner erwartet, dass Südkorea gegenüber dem Bruderstaat Nordkorea eine härtere Gangart vertreten wird. „Die auf Dialog und Zusammenarbeit setzende Politik des bisherigen Präsidenten Moon hatte Yoon im Wahlkampf heftig kritisiert.“ Es zeichnet sich also eine Abkehr von der bisherigen Nordkorea-Politik ab. Eine mögliche Wiedervereinigung steht somit kategorisch außer Frage.
Yoon setzt gegenüber Nordkorea vor allem auf Abschreckung. Im Hinblick auf eine Lockerung der Sanktionen gegenüber Nordkorea zeigt sich Yoon skeptisch. „Diese könne erst erfolgen, wenn Nordkorea nachhaltige Schritte in Richtung Denuklearisierung einleitet. Die Perspektiven für eine Wiederaufnahme des Dialogs mit Nordkorea stehen somit schlecht“, schätzt Henning Effner die innerkoreanischen Beziehungen ein.