Das waren geradezu historische Momente der Schande, der Schande für die regierende Ampelkoalition nach der emotionalen und dramatischen Video-Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi im Bundestag. Eine Rede, die das deutsche Parlament zu einer grundsätzlichen Debatte eigentlich zwingen musste. Aber die Ampel-Mehrheit hat diese Debatte verhindert, hat sich verweigert.
Diese Weigerung wurde mit erbärmlich-billigen Floskeln kaschiert oder gar verbrämt: Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, hielt der oppositionellen Union vor, sie nutze ihren Antrag auf eine Parlaments-Debatte zu einer „Stimmungsmache, anstatt der Rede einfach mit Würde und Respekt zuzuhören“. Und Katja Mast von der SPD: Die Worte des ukrainischen Präsidenten stünden für sich. „Sie haben es verdient, für sich wahrgenommen zu werden.“
Schlimmer hätten die Ampel-Koalitionäre ihre Verlogenheit nicht demonstrieren können: Sie spendeten dem aus dem zerbombte Kiew zugeschalteten Selenskyi stehende Ovationen. Dann aber, kaum war der vom Bildschirm verschwunden, verlas Bundestagspräsidentin Göring-Eckardt von den Grünen Geburtstagsgrüße an Parlamentarier und nannte die Namen der Abgeordneten, die neu in Ausschüsse und einen Beirat entsandt worden waren.
Eine Debatte nach der Selenskyi-Rede wäre die Chance zu einer Selbstvergewisserung gewesen: Zum Beispiel: Warum können oder gar dürfen wir die Forderung des ukrainischen Präsidenten nach einer Flugverbots-Zone nicht erfüllen und müssen hilflos zusehen, wie dessen Volk gnadenlos weggebombt wird. Warum darf die NATO nicht direkt eingreifen ? Wir müssten uns eingestehen, dass Putins Drohung, dann den Krieg bis zu einem nuklearen Armageddon auszuweiten, uns keine andere Wahl lässt, dass wir also einer Erpressung nachgeben müssen.
In einer Debatte nach der Selenskyi-Rede hätte auch darüber diskutiert werden müssen, ob Deutschland genug tut, um dem russischen Aggressor maximal zu schaden und der Ukraine maximal zu helfen. Ist beispielsweise die permanente Behauptung von Wirtschaftsminister Habeck unumstößliche Wahrheit, dass Deutschland einen sofortigen Total-Stopp sämtlicher Energie-Importe aus Russland nicht durchhalten würde ? Es gibt genügend Wissenschaftler und Experten, die anderes sagen. Können wir die Heizungen in unseren ein kuschelig warmen Wohnzimmern wirklich nicht ein paar Grad runterdrehen ? Können wir den Rückgang unseres Brutto-Inlandsprodukts um ein paar Prozent wirklich nicht verkraften – angesichts des unsagbaren Elends in der Ukraine ? Es kann ja sein, dass am Ende diese Fragen mit Nein beantwortet worden wären. Aber nach der Selenskyi-Rede hätte man sich einer intensiven und vielleicht auch quälenden Diskussion stellen müssen.
Auch der Diskussion um unsere Mitschuld an der russischen Aggression: Denn schon lange vor dem Angriff Wladimir Putins auf die Ukraine hat der Diktator sein wahres Gesicht gezeigt. Wir aber wollten es nicht sehen. Die Annexion der Krim, die Unterstützung des Massenmörders Assad in Syrien, der sich nur mit Putins Hilfe gegen sein Volk behaupten konnte, die Besetzung der Ost-Ukraine, die Unterdrückung der Opposition in Russland, Inhaftierung und Folter des gefährlichsten Putin-Kritikers Alexej Nawalny, Ermordung von Regime-Gegnern sogar im westlichen Ausland. Die Bundesregierungen Schröder und Merkel haben das alles jahrzehntelang ignoriert oder geflissentlich übersehen. Im Gegenteil: Sie steigerten die Energie-Importe aus Russland, schaufelten immer mehr Geld in Putins Kriegskassen und schraubten unsere Gas-, Öl-und Kohle-Abhängigkeit von Moskau in unverantwortliche Höhen.
Über all das hätte man nach der Selenskyi-Rede ausführlich, offen und ehrlich diskutieren können. Vielleicht müsste man sich auch endlich mal bei den Ukrainern für unsere Mitschuld an ihrem Leid entschuldigen.
Nichts da! Stattdessen raisonnieren und pöbeln SPD-Politiker gegen den ukrainischen Botschafter in Berlin, weil auch der unermüdlich, öffentlich und völlig verständlich mehr Hilfe aus Deutschland einfordert.