Soviel Feminismus war nie. Die neue Bundesregierung bekennt sich zu Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vertritt das Konzept einer feministischen Außenpolitik; Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) steht für eine feministische Entwicklungspolitik. Zum Weltfrauentag im Jahr 2022 sind das starke Botschaften. Doch der entsetzliche Krieg gegen die Ukraine macht Hoffnungen, die sich damit verbinden, auf furchtbare Weise zunichte.
In Russland und in der Ukraine ist der Internationale Frauentag am 8. März ein gesetzlicher Feiertag, doch die Lebenswirklichkeit der Frauen könnte kaum schmerzvoller sein. Sie fliehen mit ihren Kindern, bangen um ihre Männer, verlassen ihre Heimat, verlieren Hab und Gut und Zukunftsperspektiven. Tod und Zerstörung säen Verzweiflung und Hass. Auch dagegen werden die russischen Soldatenmütter, die sich während des Tschetschenienkrieges gegen die sinnlose Gewalt stellten, wieder aktiv.
Zum aktuellen Frauentag gelten dem unsagbaren Leid der Frauen und Kinder viele Solidaritätsbekundungen. Hilfs- und Aufnahmebereitschaft sind europaweit groß. Appelle zu einem sofortigen Ende des Mordens prallen jedoch an den Kremlmauern ab. In der akuten Notlage führt die Frage nach der feministischen Außen- und Sicherheitspolitik natürlich nicht weiter. Sie kommt über das Mutmaßen eines Was-wäre-wenn nicht hinaus. Überdies hat sich die Ampelkoalition mit ihrem Vorhaben massiver Aufrüstung bereits in Widerspruch zu dem Konzept gestellt.
Dennoch: Für die Zukunft einer friedlicheren Welt bleibt der Ansatz eine Perspektive. Frauen machen besser Frieden, lautet eine Erkenntnis wissenschaftlicher Untersuchungen. Verhandlungen, die gewalttätige Konflikte beenden, erweisen sich demnach als deutlich beständiger, wenn Frauen an ihnen mitgewirkt haben. Hinzukommt die Annahme, dass Frauen generell weniger leichtfertig Kriege vom Zaun brechen. Daraus resultiert die Forderung, Frauen stärker an der Macht zu beteiligen. Mehr Repräsentanz, mehr Rechte und mehr Ressourcen sind die drei „R“, die für eine gleichberechtigte Teilhabe der Frauen stehen.
Feministische Außenpolitik erschöpft sich nicht darin, mehr Botschafterinnen zu entsenden und das Personal im Auswärtigen Amt paritätisch zu besetzen. Der Anspruch ist grundsätzlicher. In den Worten von Svenja Schulze lautet er: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden!“
Vor Deutschland haben sich bereits Frankreich, Kanada, Luxemburg, Mexiko, Schweden und Spanien diesem Ansatz verpflichtet. Die Ampelkoalition bezieht sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“, die der Weltsicherheitsrat bereits im Jahr 2000 einstimmig verabschiedete. Darin wird nicht nur der besondere Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten gefordert, sondern auch die Stärkung der Teilhabe von Frauen an politischen Prozessen zur Beilegung und Verhütung von Konflikten. Entscheidende Instrumente sind die Förderung der Menschenrechte, der wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit, der Schutz der Ökosysteme, Klimagerechtigkeit sowie eine entschlossene Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik.
Mehr als zwanzig Jahre danach fällt die Bilanz zu dieser UN-Resolution bescheiden aus. Noch viel älter sind die Forderungen der Weltfrauenkonferenzen der Vereinten Nationen; die erste legte bereits 1975 die Grundziele Gleichheit, Entwicklung und Frieden fest. In Peking formulierten zwanzig Jahre später 189 Mitgliedsstaaten ein umfassendes Konzept zur Gleichstellung der Geschlechter und zur Stärkung von Frauen und Mädchen. „Empowerment“ lautete damals schon eine zentrale Forderung an die Regierenden, damit verbunden ganz konkrete Ziele wie ein Leben frei von Gewalt, gleicher Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung und gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
Die Wirklichkeit bleibt weit dahinter zurück. Noch immer gehen vielerorts Mädchen weniger lang zur Schule, leisten Frauen den Großteil der unbezahlten Arbeit in Haushalt, Pflege und Kinderbetreuung, werden Opfer häuslicher Gewalt, schlechter bezahlt und so fort. Die Liste der Missstände ist lang und wächst noch durch zunehmenden Autoritarismus, den Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Die Corona-Pandemie hat das an vielen Stellen gezeigt. Homeoffice, Homeschooling und Quarantäne-Betreuung fielen überwiegend den Frauen zu, die Zahlen häuslicher Gewalt stiegen, Gewaltdelikte gegen Frauen nahmen zu.
Gleichstellung sei „nicht nur ein Menschenrecht, sondern der Schlüssel zu einer gerechten und friedlichen Welt im Sinne der Agenda für nachhaltige Entwicklung“, sagte Phumzile Mlambo Ngcuka als Exekutivdirektorin von „Unwomen“, dem Frauenprogramm der Vereinten Nationen, und sie forderte: „Damit die Gleichstellung der Geschlechter weltweit zur Realität wird, müssen die strukturellen Ursachen der Ungleichheit bekämpft werden.“ Feministische Außenpolitik könnte dazu einen Beitrag leisten – sofern sie nicht bloß Etikett bleibt.
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