Es ist atemberaubend, mit welcher Massivität und in welchem Tempo politische Grundüberzeugungen sich wandeln lassen. Unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen Krieges gegen die Ukraine vollzieht die deutsche Bundesregierung eine Kehrtwende, die weitreichende Folgen haben wird. Das ist aus mindestens zwei Gründen kritisch zu hinterfragen: Der erste ist das Fehlen jeglicher Debatte und der zweite das fast vollständige Ausblenden der atomaren Bedrohung.
Waffenlieferungen in Konfliktgebiete waren bisher verpönt. Sie fanden trotzdem in erschreckendem Maß statt und wurden zu Recht heftig kritisiert. Die neue Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, Rüstungsexporte in Krisenregionen strenger zu regeln. Die Ankündigung traf auf breite Zustimmung. Als Lehre aus der nationalsozialistischen Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg ist das „Nie wieder“ in Deutschland zu einem gesellschaftlichen Grundkonsens geworden. Zurückhaltung im Militärischen war nicht Zeichen von Schwäche, sondern von Vernunft und Verantwortung für den Frieden.
Die Überzeugung, dass mehr Waffen einen gewaltsamen Konflikt nicht befrieden, sondern anheizen, bleibt richtig und zwar auch dann, wenn sie als „defensiv“ gelabelt werden. Reine Verteidigungswaffen gibt es nicht; sie fügen sich immer in die tödliche Logik des Krieges ein. Der Vorrang der friedlichen Konfliktlösung muss Bestand haben. Im Angesicht von Granatbeschuss und Bombardements, die Menschen töten und aus ihren Städten vertreiben, ist das schwer auszuhalten, und doch liegt die einzige realistische Hoffnung darauf, dass Gespräche die Waffen zum Schweigen bringen.
Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ist nicht über den Weg zu trauen, und es fehlt die Phantasie sich auszumalen, dass ein Treffen von Unterhändlern beider Seiten im belarussischen Gomel einen fairen befriedenden Ausweg vorzeichnen könnte. Auch die Generaldebatte der Vereinten Nationen weckt wenig Hoffnung auf ein Einlenken des Kreml. Und doch darf nichts unversucht bleiben.
Putin hat die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Das ist der durchsichtige Versuch, den Druck auf den Westen zu erhöhen. Aber die Gefahr eines Atomkriegs rückt damit näher, und sei es „aus Versehen“, durch menschliches Versagen, Putins Unberechenbarkeit. Noch immer verfügen die Nukleargroßmächte über Atomwaffenarsenale, die alles Leben auf dem Planeten bedrohen. So nachvollziehbar die Haltung des Westens ist, sich von den Kriegstreibern im Kreml nicht erpressen zu lassen: ignorieren darf er die größte anzunehmende Katastrophe nicht.
Jede Möglichkeit zu vermitteln muss genutzt werden. Wohl wahr, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sehen sich von Putin getäuscht und belogen. Das darf sie nicht von weiteren Bemühungen abhalten. Putin ist nicht Russland, und die völlige Kehrtwende zu einem Kurs der militärischen Kraftmeierei verbaut auf lange Sicht den Weg zu einer gemeinsamen Friedensordnung.
Die muss das Ziel bleiben. Die Zweifel, dass das Zwei-Prozent-Ziel der NATO-Aufrüstung diesem Ziel dienlich wären, diese Zweifel bestehen fort. Jede Anstrengung, die zur Abrüstung, Konfliktprävention und friedlichen Bewältigung unternommen wird, ist aller Mühen wert. Und jeder Cent, der in den (Wieder-)Aufbau ziviler demokratischer Strukturen investiert wird, ist besser investiert.
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Alles schön und gut, aber was ist mit dem von der NATO angewandten Faustrechts? Starben in Sirte nicht 15.000 Menschen, also mehr als in 8 Jahren Krieg in der Ukraine. Einem Krieg dessen Opfer uns eigentlich egal waren wie der geführte Krieg, bis Russland völkerrechtsbrechend einstig, ganz so wie die NATO sonst. Freunde, hört auf mit der Doppelmoral. Die Deutungshoheit habt ihr schon verloren, jetzt schreibt ihr nur noch gegen eure eigene Würde an. Gerechtigkeit fusst nicht auf Bigotterie und ihr macht die Wewlt nicht besser, zumindest nicht für die gesamte Menschheit.