Das war erschütternd, als der zugeschaltete ukrainische Botschafter bei „Markus Lanz“ im ZDF bekannte: „Ich habe tatsächlich heute geweint wegen der Kälte und Gleichgültigkeit“ der deutschen Bundesregierung. Er könne nicht verstehen, so Andrij Melnyk weiter, wie man angesichts der toten Soldaten und angeschossenen Zivilisten in seinem Land „so kaltherzig und stur“ bleiben könne, wie die Berliner Ampelkoalitionäre. Und dann der dramatische Appell an die Bevölkerung in Deutschland: „Bitte helfen Sie uns, die Bundesregierung umzustimmen. Diese Politik, diese Zögerlichkeit lässt uns als Opferlamm, das geschlachtet wird, vor laufenden Kameras.“ Schon seit Wochen hatte der Botschafter die deutsche Regierung angefleht, seinem Land wenigstens Defensiv-Waffen zur Verteidigung zu schicken. Immer wieder vergeblich. Die konstante Ablehnung wurde teilweise mit dem wohlfeilen und zugleich abstrusen Argument begründet, Deutschland habe aus seiner Geschichte gelernt. Ausgerechnet Deutschland mit seiner Geschichte, zu der auch das unendliche Leid gehört, das Nazi-Deutschland über die Ukraine gebracht hatte. Und als die Russen dann einmarschierten, so schilderte der Botschafter, kam dann auch noch das geradezu zynische Argument hinzu, jetzt wäre es für eine Hilfe ohnehin zu spät.
Schon vor dem offenen Angriff Putins auf die Ukraine hatten die Berliner Regierung und vor allem Kanzler Olaf Scholz eine jämmerliche Rolle gespielt. Scholz machte auch international den Eindruck des unsicheren Kantonisten, weigerte sich, frühzeitig und eindeutig ein Ende von „NordStream II“ anzukündigen, sollte Russland die Ukraine überfallen. Das sah nach einem Hintertürchen aus, das man sich offenhalten wollte, um so lange wie irgend möglich russisches Gas zu beziehen, ohne Rücksicht auf Verluste in der Ukraine.
Als es sich gar nicht mehr vermeiden ließ, befahl der Kanzler das zumindest vorläufige Aus für die russisch-deutsche Pipeline. Und er kündigte am ersten Tag der russischen Invasion die denkbar härtesten Sanktionen der europäischen Gemeinschaft an. Die würden der russischen Wirtschaft und den Kleptokraten rund um den Kriegstreiber Putin richtig weh tun. Auch das ein zumindest halbleeres Versprechen. Härteste Sanktionen – das hätte auch bedeutet, dass der Westen Russland von Swift und dem internationalen Finanzsystem ausgeschlossen hätte. Ein Ausschluss aus dem Zahlungssystem Swift gilt als „Atombombe“ unter den Sanktionen. Russische Banken würden vom internationalen Geldverkehr abgeschnitten. Die Folgen wären für die russische Wirtschaft verheerend. Der Finanzökonom Moritz Schularick erinnerte daran, man habe beim Iran gesehen, wie hochwirksam sowas sei. Das Land könne sein Öl nicht mehr verkaufen.
Und wieder war es der deutsche Kanzler, der bei der Beratung über das europäische Sanktionspaket auf der Bremse stand. Ganz wesentlich wegen seiner Intervention wurde Agressor Russland nicht aus Swift ausgeschlossen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit gab es unumwunden zu: Eine Aussetzung von Swift hätte „auch massive Auswirkungen auf den Zahlungsverkehr in Deutschland und für deutsche Unternehmen im Geschäft mit Russland“. Und recht merkwürdig der Rechtfertigungsversuch von Kanzler Scholz selbst: Man müsse sich noch etwas „aufbehalten für eine Situation, wo das notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun“. Gegenfrage: Was, Herr Scholz, muss denn noch passieren ?
Marc Beise von der Süddeutschen Zeitung brachte es auf den Punkt: „Warum noch zögern ? Wenn das Gerede von Sanktionen ernst gemeint sein soll, dann darf kein Geld mehr nach Russland fließen. Andernfalls kann sich der Westen die Tränen sparen und warten, bis die russischen Panzer über die nächste Grenze rollen.“
Zurück zur ZDF-Sendung „Markus Lanz“, in der der ukrainische Botschafter seine Erschütterung bekundet hatte. In dieser Sendung saß auch die renommierte Journalistin Eva Quadbeck vom „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Ihr bitteres Resumee: „Wenn man dem Kanzler zugehört hat, der von der ‚vollen Solidarität‘ mit der Ukraine gesprochen hat, war das einfach nur eine Worthülse.“
Bildquelle: Screenshot Markus Lanz 24.2.2022