Es wird ernst. Der beste Indikator ist immer, was die Bestinformierten zum Schutz ihrer eigenen Leute tun. Die USA zieht die Familien ihres Botschaftspersonals in Kiew bis zum 26. Januar ab. Rußland hat das bereits vor wenigen Tagen getan.
Hier aber soll der Blick auf die Rolle der Rüstungsexporte der Türkei in diesem Konflikt gelenkt werden – das ist bei uns unterbelichtet. In unseren Medien wird in der Regel auf die Exporte nicht-offensiv nutzbarer Waffen aus den USA und UK fokussiert. Das Verhalten der Türkei aber ist entscheidend, sie liefert eindeutig Offensivwaffen, die das prekäre Gleichgewicht an der „Kontaktlinie“ in der Ukraine gefährden. Und das mit Billigung der USA.
1. Türkische Drohnen für die Ukraine
Die Türkei hat sich in dem Neuaufbruch unter Erdogan auch als Waffenschmiede aufgestellt. Anlass der Eigenentwicklung war, wie häufig, ein Exportverbot: Der damalige Premierminister Recep Tayyip Erdoğan hatte in den 2010er Jahren versucht, amerikanische Predator-Drohnen anzukaufen. Die USA aber verweigerten das, weil sie die Proliferation von Schlüsseltechnologien zum Bau sogenannter „Killerdrohnen“ verhindern wollten. So begann das Unternehmen Baykar Technology ein eigenes Entwicklungsprogramm. Die Leitung hatte Selçuk Bayraktar inne, der zuvor Doktorand an der University of Pennsylvania in den USA gewesen war.
Kernelement für den Bau bewaffneter Drohnen ist das Leitsystem für die Führung der eingesetzten Bomben und Raketen. Das 2014 zum Patent angemeldete Hornet-System des amerikanischen Konzerns L3 Harris, wurde, so sagen es Presserecherchen, von dessen Tochtergesellschaft EDO MBM Technology in Großbritannien an Baykar verkauft. Man erkennt die Lücke: Der Technologie-Transfer wurde nicht systematisch unterbunden. Die Dual-Use-Problematik ist entscheidend. Für Drohnen, die nicht nur aufklären sollen, braucht es eine drohnen-spezifische sogenannte Micro-Munition. Die stellt die türkische Rüstungsfirma Roketsan bereit.
Seit 2016 ist das kombinierte Produkt, eine preislich sehr günstige Kampf- und Aufklärungsdrohne namens Bayraktar TB2 für die türkischen Streitkräfte verfügbar, zugleich ist sie auf dem Markt. Zur Preisgünstigkeit bei trägt die Kooperation mit der ukrainischen Luftfahrtindustrie, die ihr Zentrum, noch aus sowjetischen Zeiten, im Raume Dnipropetrowsk hat. Die liefert die Antriebe der türkischen Drohnen zu günstigen Preisen bei.
Für den Markterfolg entscheidend ist der Ausweis erfolgreicher Einsätze in real ausgetragenen Konflikten – Baykar Technology kann mit den Erfolgen in Syrien, Libyen und Armenien punkten. Die Verwendung der Bayraktar TB2 Drohnen in Syrien und in Berg-Karabach hat die Europäischen und US-Lieferanten von Schlüsselkomponenten für Bayraktar jedoch veranlasst, für den Export gewisser Produkte Grenzen einzuziehen. Das hat nur dazu geführt, dass Ankara und die Ukraine ihre luftfahrttechnische Kooperation, um die TB2 herzustellen, vertieft haben. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, dass die Errichtung von Anlagen zur Herstellung und Wartung einer wachsenden Flotte von Drohnen für das ukrainische Militär zwischen der Türkei und der Ukraine verabredet wurde. Die mögliche Bewaffnung, Cruise-Missiles, wuchs mit der Zeit an Reichweite. Heute hat Roketsan Raketen mit 250 km Reichweite zur Bestückung von Drohnen im Angebot. Russland hat zu gewärtigen, dass die Türkei auch diese Bewaffnung an die Ukraine zu liefern bereit ist, ohne Rücksicht auf das prekäre Gleichgewicht an der Frontlinie. Das sind lethale Offensiv-Waffen. Hier kann man anschauen, wie sie wirken – das ist wirklich unvergleichbar mit klassischer Artillerie.
2. Russlands Verlangen, keine Raketen kurzer und mittlerer Reichweite nahe Russland zu stationieren
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Formulierung in Artikel 5 des Entwurfs des Vertrages, welchen Russland der NATO vorgeschlagen hat, ihre Bedeutung
„The Parties shall not deploy land-based intermediate- and short-range missiles in areas allowing them to reach the territory of the other Parties.“
Die Bestückung von Bayraktar TB2 Drohnen mit Cruise-Missiles von Roketsan fällt zweifelsfrei unter die Beschränkung in Artikel 5.
3. Destabilisierung eines Gleichgewichts
Rüstungstechnischer Fortschritt ist für einigermaßen stabilisierte Situationen eine Gefahr. Deswegen der Versuch, Eskalationen an technischen Optionen, die keinen Sicherheitsgewinn bringen und deswegen nutzlos sind, in Rüstungskontrollvereinbarungen zu bannen.
Washington hatte sich erlaubt, die Rüstungs-Kooperation zwischen dem NATO-Partner Türkei, der die USA Bündnissolidarität gegen Russland zugesagt hat, und der Ukraine, welche sie im Kampf gegen die von Russland garantierten Rebellen in der Ostukraine militärisch ermunterte und unterstützte, positiv zu sehen. Man ließ, in Rollenverteilung, die Türkei die Nadelstiche gegen Russland setzen. Doch nun droht es zur Lieferung von Raketen mittlerer Reichweite zu kommen, die der Ukraine die neue Option eröffnen, Russland in seinem Territorium zu treffen. Das ändert das Kalkül Russlands. Diese Verkäufe, so hat es ein amerikanischer Analyst formuliert
„increase the chances of a Russian invasion without meaningfully increasing Kyiv’s capacity to resist one.“ Damit ist ein Umschlagspunkt für die Sicherheit der NATO erreicht. An dem stehen wir heute.
Also, wenn Landteile annektiert werden und Separatisten in eigenen Landesteilen die Unabhängigkeit ausrufen, hat man nicht das Recht, den Rest des Landes zu verteidigen. Also sind TB2 falsch am Platz. Ich Frage mich, wenn die Russen nicht in der Ukraine einfallen, sondern in Polen, wie werden Deutsche Politiker dann reden? Ich hoffe von ganzem Herzen, daß die Türkei sich beim Nato Bündnisfall nicht beteiligt.