Das Recht auf „freie Bündniswahl“ scheint im Zentrum des Konflikts zwischen Russland und den west- bzw. mitteleuropäischen Staaten zu stehen – so das westliche Narrativ. Russland begehrt, dass die NATO-Mitgliedstaaten auf eine weitere Osterweiterung der NATO expressis verbis verzichten, dass sie zudem die Beitrittszusagen an Georgien und die Ukraine auf dem NATO-Gipfel im April 2008 in Bukarest rückgängig machen. Beides wird vom Westen einhellig abgewiesen. „Nicht verhandelbar“ ist die Botschaft. Die NATO will ihre „open door“-Politik nicht auf den Prüfstand stellen.
Dabei ist es mit dem Recht der „freien Partnerwahl“ schon sprachlich eine holprige Sache. Natürlich ist jeder frei, sich einen Partner zu wünschen – am liebsten wünscht man sich einen Prinzen. Zur wirklichen „Wahl“ des Partners aber kommt es erst, wenn auch der „Erwählte“, in seiner souveränen Freiheit, einstimmt. Partnerwahl ist etwas Reziprokes. Es geht Russland nicht darum, die Freiheit von Staaten auf Wahl ihres Wunsch-Bündnisses einzuschränken. Es geht bei dem russischen Anliegen vielmehr darum, dass der potenziell Erwählte, die Allianz, sich beschränkt – “refrain from any further eastward expansion of NATO” heisst es im Entwurf des Abkommens, welches an die NATO gerichtet ist. Russland will, dass die NATO sich saturiert zeigt, dass sie nicht weiter wachsen will. So die rechtliche Form des Anliegens. Dass die NATO auch informell, durch „Salami-Taktik“, wachsen kann, ist damit nicht regelbar.
Der Westen lehnt das wie gesagt ab. Das Argument, welches er dabei anführt, ist rechtlich gefärbt. Explizit formuliert hat dies der ehemalige und für seine eher bellizistische Haltung bekannte ehemalige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Er zitiert die Europäische Sicherheitscharta von November 1999 (Istanbul Dokument), die jedem Teilnehmerstaat das Recht garantiere
“seine Sicherheitsvereinbarungen einschließlich von Bündnisverträgen frei zu wählen …” (Zi 8),
um damit zu sagen: Russlands Anliegen widerspricht den Verpflichtungen, welche es selbst unterschrieben hat.
Nun ist methodisch bekannt: Bei jeden rechtlichen Zitat, welches als Argument vorgetragen wird, muss man fragen, ob es sich dabei nicht schlicht um Rosinenpicken aus einem größeren Konvolut handelt. Diesen Check hat auch das Rasmussen-Zitat zu bestehen. Das Ergebnis: Der Verdacht bestätigt sich.
Die Charta von Paris für ein Neues Europa (1999] hat ihre Vision von einem “geeinten und freien Europa” auf zwei Prinzipien basiert:
- dem der souveränen Gleichheit und
- dem der gemeinsamen und unteilbaren Sicherheit.
Im OSCE Code of Conduct on Politico-Military Aspects of Security aus dem Jahre 1994, in dem zentrale Prinzipien der Charta spezifiziert worden sind, hat sich der Westen verpflichtet, die “legitimen Sicherheits-Interessen anderer Teilnehmer-Staaten” zu respektieren wenn er sein Recht ausübt, „seine eigenen Sicherheitsarrangements frei zu wählen” (Zi 10).
Es gäbe also schon etwas, was legitim verhandelbar wäre. Dazu müsste auch der Westen sich darauf einlassen,
- die Verträglichkeit der „open door“-Politik der NATO mit den Verpflichtungen unter der OSZE zu überprüfen;
- den Terminus “legitime Sicherheits-Interessen <Russlands>“ auszulegen.
Mit der treuherzigen Versicherung „Wir bedrohen niemanden“ ist es dann nicht länger getan.
[1] https://augengeradeaus.net/wp-content/uploads/2021/12/20211217_Draft_Russia_NATO_security_guarantees.pdf
[2] https://www.politico.eu/article/russia-nato-vladimir-putin-ukraine/
[3] https://www.osce.org/files/f/documents/b/f/125809.pdf
[4] https://www.bundestag.de/resource/blob/189558/21543d1184c1f627412a3426e86a97cd/charta-data.pdf
[5] https://www.osce.org/files/f/documents/8/4/41357.pdf
Warum haben sowohl die Ukraine als auch Georgien als Nachbarn eines für seine bellizistische Grundhaltung bekannten Russlands ein so großes Interesse daran, einem starken Verteidigungsbündnis beizutreten?
Warum sollten Österreich, Schweden, Finnland usw. nicht dem Bündnis beitreten dürfen?
Wären die baltischen Staaten heute, ohne NATO Mitgliedschaft, nicht ebenfalls Opfer russischer Interventionen in Form eingefrorener Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen á la Ostukraine? Oder hätte man sie sich bereits per grüner Männchen und „Volksabstimmung“ einverleibt?
Es würde mir jetzt leicht fallen zu sagen, traue keinem Russen über den Weg. Ist aber nicht meine Einstellung. Jeder Mensch will nur in Frieden sein Leben führen. Leider hat man aber in Russland das Pech, einem Präsidenten aufzusitzen, der der zerfallenen Sowjetunion nachtrauert und dem Revisionismus verfallen ist. Desweiteren herrscht mal wieder Misswirtschaft und Korruption, das Land geht den Bach runter und ein äußerer Feind wird beschworen dem man die Schuld zuschieben kann. Autokratischer Standard.
Das hat das russische Volk nicht nötig, es kann einem nur Leid tun.