Das vorweg: Der „Spiegel“ ist immer noch ein großes Magazin, mag sein, dass er früher noch bissiger war, zu Zeiten, da man ihn und seine Enthüllungen fürchtete. Denn der Spiegel, das Hamburger Nachrichtenmagazin, erschien anders als heute jeden Montag. Was hieß, die Spitzenmeldungen über Politiker und deren Parteien, Berichte über Skandale liefen schon an Samstagen und an Sonntagen bekam eine ausgewählte Schar von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Medien die aktuelle Ausgabe des Spiegel ins Haus geliefert. Der Spiegel war d a s Medium in der Republik.
Und ich erinnere mich gut an die Zeiten, da ich selber als Mitglied der Bundespressekonferenz in Bonn arbeitete, zunächst für die WAZ und dann für die Augsburger Allgemeine, dass in der Pressekonferenz an Montagen der Spiegel die entscheidenden Schlagzeilen geliefert hatte. Man befragte in der Bundespressekonferenz, die ab 14.30 Uhr im Bonner Tulpenfeld lief, die Sprecher der Bundesregierung, den Regierungssprecher und die Sprecher der Ministerien, was es denn mit dieser oder jener Meldung des Spiegel auf sich habe. Natürlich haben sie gestimmt, fast immer. So war das in den Bonner Jahrzehnten, als das Magazin aus Hamburg das „Sturmgeschütz der Demokratie“ war, ein Titel, den man sich über Jahre redlich erworben hatte.
Kein gefälliger Journalismus
Nein, er war nie gefällig, dieser Spiegel. Zwar war er liberal und im Zweifel links, wie das der Gründer Rudolf Augstein mal erklärt hatte, aber Rücksicht nahm das Blatt weder auf Regierende noch Oppositionelle, Reiche mussten ihn fürchten, Industrielle, weil sie etwas zu verbergen hatten, was die Redakteure des Magazins irgendwann würden aufklären können. Man muss nicht alles aufzählen, was die Hamburger ans Licht der Öffentlichkeit brachten. Einige Skandale reichen, um die Macht des Spiegel deutlich zu machen: da ist natürlich die Story mit dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ zu nennen, ein Bericht über den beklagenswerten Zustand der Bundeswehr im Falle eines Angriffs auf den Westen. 1962 war das, die Hochzeit des Kalten Krieges, die Furcht vor der immer wieder auch bewusst geschürten Angst vor der kommunistischen Weltherrschaft. Wegen des Verdachts der Weitergabe von Staatsgeheimnissen wurden die Redaktionsräume des Spiegel in Hamburg von der Polizei wochenlang durchsucht, Spiegel-Chef Augstein und sein Vize-Chefredakteur Conrad Ahlers, der in Spanien Urlaub machte, verhaftet. Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß musste gehen, die Republik diskutierte über die Pressefreiheit, wegen der Spiegel-Affäre kam es zu Demonstrationen für das Magazin. Diese Affäre begründete mit den sagenhaften Ruf des Magazins.
1984 titelte der Spiegel „Flick-ein Mann kauft die Republik“. Diese Parteispenden-Affäre erwies sich als größter Korruptionsskandal der Republik. Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch ließ den Parteien CDU, CSU, FDP und SPD Millionen zukommen und sprach von der Pflege der Bonner Landschaft. Die FDP-Politiker Graf Lambsdorff und Hans Friderichs wurden wegen Steuerhinterziehung zu hohen Geldstrafen verurteilt.
„Watergate in Kiel“ hieß ein Titel 1987, der kurz vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein veröffentlicht wurde und der das politische Ende von Regierungschef Uwe Barschel(CDU) bedeutete. „Barschels schmutzige Tricks „, so der Spiegel, verhalfen dem Aufsteiger der SPD, Björn Engholm, zum Einzug in die Kieler Staatskanzlei. Die CDU unter Stoltenberg tobte, schimpfte über linke Kampfpresse. Von Bespitzelung des SPD-Herausforders war die Rede, später wurde Barschel tot in der Badewanne seines Hotels in Genf aufgefunden. Aber auch Engholm konnte den Erfolg nicht lange genießen, er musste gehen, weil sich herausstellte, dass er viel früher von den Machenschaften Barschels und seines Mitarbeiters Pfeiffer informiert war, als er es dargestellt hatte.
Nicht ganz unumstritten
Doch der Spiegel selber ist nicht ganz unumstritten. In den ersten Jahren nach Gründung des Magazins -zunächst in Hannover, später folgt der Umzug an die Alster- sitzen auch ehemalige hochrangige Nazis in der Redaktion des Blattes. Nicht nur da, wie man längst weiß, auch im Bundestag sitzen einstige Braunhemden. Das Verhältnis des Spiegel zu Strauß und Kohl galt immer mehr als belastet. Hatte man in der Oppositionszeit noch miteinander gesprochen, so gab es in der Kanzlerschaft Helmut Kohls nicht ein einziges Interview des CDU-Regierungschefs mit dem Hamburger Nachrichtenmagazin. Auf Reisen nahm der Kanzler Kohl keine Spiegel-Leute mehr mit, also reisten sie oft genug auf Kosten des Verlags an die Orte des Geschehens, um darüber zu berichten. Allerdings darf man die Behauptung Kohls in Zweifel ziehen, er habe das Blatt nie gelesen. Es gibt Stimmen aus der Umgebung des Pfälzers, die versicherten, der Kanzler habe sich die Geschichten des Magazins vorlesen lassen.
Ohne Skandale blieb auch der renommierte Spiegel nicht. Man denke an den Fall des Redakteurs Class Relotius, ein zunächst gefeierter Journalist, der aber, wie sich später herausstellte, in seinen Reportagen gelogen und betrogen hat. Er hat manches einfach erfunden, war nicht vor Ort wie beschrieben. Peinlich für die Hamburger, aber sie deckten den Fälschungsskandal selber auf, Relotius verließ das Magazin, es folgten personelle Konsequenzen im Verlag, um sich abzusichern gegen weitere mögliche Betrügereien.
Sagen, was ist
„Sagen, was ist“, lautete der Leitsatz von Rudolf Augstein, er steht im Eingangsbereich in der Hamburger Zentrale.
Es erinnert mich an einen Kernsatz von Egon Erwin Kisch, der im Schützengraben des ersten Weltkriegs alles notiert, was er sieht und von seinen Kameraden verspottet wird mit den Worten: Schreib das auf, Kisch. Und Kisch schreibt alles auf, „wenn der letzte Hosenknopf abreißt, wenn das einzige Stück Seife in den Brunnen fällt, wenn Blut in den Essnapf spritzt.“ Dieser Satz- Schreib das auf, Kisch- aus dem Kriegstagebuch des „rasenden Reporters“ wurde uns einst von einem älteren Kollegen in einem Volontärkurs über das Thema Reporter vorgetragen. Quasi als Beleg für Journalismus, wie er zu sein habe. Aufschreiben, was wir hören, sehen, erfahren, auch spüren, müssen das dann aber auch erkennbar machen. Aufschreiben, was ist, ein Lehrsatz wie der von Augstein: Sagen, was ist. Eine Fundament für einen jeden Journalisten, um mit der Verführbarkeit des Berufes fertig zu werden.
Um klar zu machen: Wir sind der Wahrheit verpflichtet. Ein großes Wort, mit dem jeder Journalist irgendwann mal zu kämpfen hat, weil sein Chef ihn fragt: Warum haben wir das nicht? Vielleicht lautet die einfache, aber schwierige Antwort: Weil es nicht so war. Deshalb gilt: Aufschreiben, was ist. Sagen, was ist. Auch wenn der Druck noch so groß ist. Der Wahrheit dienen und nicht dem eigenen Ruhm. Die SZ-Kollegin Annette Ramelsberger, die über den NSU-Prozess berichtete, gab folgenden Rat an uns alle weiter: „Dem Ansehen des Journalismus und der Aufgabe, die er in der Gesellschaft hat, hilft die solide Geschichte mehr als Texte, die zu schön sind,um wahr zu sein.“
75 Jahre Spiegel, das ist auch ein Stück Zeitgeschichte der Bundesrepublik. Ein gutes Stück. Man darf den Hut ziehen zum Jubiläum in der Hoffnung, dass sie weitermachen, vielleicht wieder etwas bissiger werden. Und immer wieder sagen, was ist.