In der Silvesternacht sind in Deutschland drei weitere Atomkraftwerke endgültig vom Netz gegangen. Zur gleichen Zeit stufte die Europäische Kommission die Atomkraft als nachhaltige Energieform ein. Die Entscheidung ist widersinnig und stellt erneut wirtschaftliche Interessen über das Wohl von Mensch und Natur. Der angebliche Beitrag zum Klimaschutz ist ein gefährlicher Etikettenschwindel.
Die Namen der AKW-Standorte Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen stehen für einen jahrzehntelangen Kampf gegen eine Hochrisikotechnologie, die von Anfang an verantwortungslos war und bis heute nichts an den zerstörerischen Gefahren eingebüßt hat. Elf Jahre nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima soll Ende 2022 der Atomausstieg in Deutschland vollzogen sein. Doch selbst wenn kein weiterer Strom aus der Kernspaltung produziert wird, sind die strahlenden Lasten nicht aus der Welt.
Der Rückbau der Reaktoren wird Jahrzehnte dauern; der Atommüll bleibt eine Bedrohung für Jahrtausende. Noch immer gibt es keine Lösung zur Endlagerung, und die Zwischenlagerung des radioaktiven Abfall ist hochproblematisch. Der „Flug ohne Landebahn“ geht weiter. In mehreren europäischen Ländern – Frankreich vorneweg – soll er gar mit neuen Reaktoren angeheizt werden.
Mit dem Segen der Europäischen Union könnten nun weitere Milliarden in die Atomkraft fließen. Milliarden, die für den Ausbau der Erneuerbaren Energien fehlen werden, wie Kritiker der EU-Taxonomie, der Bewertung von Atomkraft als grüner Energieform befürchten. Mit dem „Green Deal“ von Ursula von der Leyen will die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden. Ins Kleingedruckte schreibt sie nun, dass der Weg über mehr Atomkraft und auch Gas führt.
Die 27 Mitgliedsstaaten und das Europaparlament haben zwar noch ein Wörtchen mitzureden, doch die nötigen Mehrheiten für eine Ablehnung des Kommissionsvorschlags sind nicht in Sicht. Schon beim Klimagipfel in Glasgow hatte sich Deutschland als Gegner der Atomkraft um Verbündete bemüht und mit Österreich, Dänemark, Luxemburg und Portugal auch einige Mitstreiter gewonnen. Doch die Gruppe der Atomkraftbefürworter um Frankreich, Polen und Tschechien ist deutlich stärker. Außerdem gibt es Zweifel am deutschen Durchsetzungswillen. Gemutmaßt wird, dass es zwar in der Ampel eine Weile knirscht, sie sich mit der Schonfrist für Gaskraftwerke am Ende aber doch den Schneid abkaufen lässt.
Das Europäische Parlament und der Rat haben vier Monate Zeit, Einwände gegen das Taxonomie-Dokument zu erheben. Diese Frist kann auf Antrag um zwei weitere Monate verlängert werden. Spätestens nach einem halben Jahr kommt es zum Schwur. Im Europäischen Rat müssten mindestens zwanzig Mitgliedsstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, für Änderungen stimmen. Im Europäischen Parlament wäre die einfache Mehrheit von mindestens 353 Abgeordneten nötig.
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