Kränze wurden ihm schon vor seinem Abgang geflochten: die „Süddeutsche“ nahm „Abschied vom Giganten des heute Journals“. Die Wochenzeitschrift „Zeit“ sah in ihm den „Inbegriff des politischen Moderators im deutschen Fernsehen“, und der Berliner „Tagesspiegel“ zensierte knapp wie treffend: „kompetent, souverän, glaubwürdig“. Am Donnerstag, 30. Dezember 2022, von 21:45 bis 22:15 Uhr hat Claus Kleber das Nachrichten-Magazin im ZDF zum 2.977sten und letzten Mal moderiert.
Wenn einer den gebotenen Abstand eines Spitzenjournalisten zur Politik demonstrierte und verkörperte, dann war es Claus Kleber. Umso bemerkenswerter, wie sich Vizekanzler Robert Habeck zum Ende eines Kleber-Interviews am Vorabend von dem ZDF-Star verabschiedete: „Ich danke Ihnen für 19 Jahre scharfe Fragen. Ich glaube, Sie haben uns schon ein bisschen klüger gemacht.“
Wo und wann immer Claus Kleber einstieg, war er auf Anhieb perfekt – bewundernswert: Als Radio-Mann für die ARD in den USA bewies er sich als packender Erzähler, machte seine Zuhörer mit den Ohren sehen. Direkt nach dem Umstieg aufs Fernsehen – immer noch ARD – lieferte Kleber auf Anhieb inhaltsstarke und formvollendete Hochglanz-Reportagen. 2003 warb ihn das ZDF ab. Claus Kleber wurde Anchorman des „heute Journal“. Und auch hier wieder aus dem Stand wurde er der mit Abstand beste politische Moderator und Presenter deutschsprachiger Nachrichtenmagazine – und ist es bis zu seinem letzten Tag vor der Kamera geblieben.
Seine Eröffnungen des „heute journals“ oft sprachliche Kunstwerke. Sie weckten Neugier. Man blieb dran. Klebers Moderationen ließen gute Reportagen noch besser werden. Seine Interviews immer „auf den Punkt“, höflich und gnadenlos, hartnäckig und entlarvend; entlarvend auch und vor allem dann, wenn der Interviewte auswich, sich wand, letztlich nicht zu packen war. Kleber hatte solche Drückeberger allein mit seinen eindeutigen Fragen bloßgestellt – so auch den heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz, über den der ZDF-Mann im Rückblick spottet: „Das ist einer, der die Frage kaum zur Kenntnis nimmt. Der wartet, bis der Interviewer aufhört zu reden und spult dann seinen Standard ab.“
Glücksfall für das ZDF, dass im wöchentlichen Wechsel mit Kleber eine moderierte, die oft noch einen Schlag härter, direkter, aggressiver ranging und rangeht: Marietta Slomka, für deren Interview-Technik der Terminus erfunden wurde, sie habe einen „geslomkat“, wenn das „Verhör“ besonders gnadenlos ausgefallen war. Gut und tröstlich für das Publikum, dass sie bleibt. Kleber im „Spiegel“-Gespräch über seine Kollegin: „Wer »geslomkat« wird, wird durch gute Nachfragen so auseinandergenommen, dass er oder sie sich nicht mehr davon erholt. Marietta gelingt das immer wieder, mir nur selten. Das gebe ich neidlos zu.“ Kurzformel: Der Beste geht, die Beste bleibt.
„Nach Klebers halber Stunde versteht man den Nachrichtentag besser“, resümierte die „Süddeutsche“. Orientierung und sachkundige Einordnung hat er meisterhaft gegeben – wertvoll in einer Zeit, in der die Maßstäbe immer mehr verrutschen und sich Kleber selbst zu einer Streitschrift gefordert sah mit dem Titel „Rettet die Wahrheit“. So war er dreifach wichtig: Für den Zuschauer, der laut Habeck „ein bisschen klüger“ wurde, für unser demokratisches System, das sich nur mit solider Information gegen seine Angreifer von innen zur Wehr setzen kann, und auch und vor allem für das öffentlich-rechtliche Fernseh-System. Claus Kleber war durch die Qualität seiner Arbeit ein ungemein wichtiger und wirkmächtiger Repräsentant dieses Systems, das von vielen Seiten infrage gestellt und angegriffen wird.
Seine letzte Sendung am Donnerstagabend ging fast normal über den Bildschirm. Gleich zu Beginn hielt Kleber eine Pappe mit der Zahl 2.977 in die Kamera und fügte hinzu: „Mehr wird’s nicht.“ Dann Moderation und Film ab.
In mehreren Zeitungsinterviews vor seinem Abschied hatte er angekündigt, er wolle sich bemühen, auch in der letzten Sendung keine Emotionen zu zeigen. Das gelang ihm diszipliniert und routiniert wie immer. Seine Nachrichten-Partnerin Gundula Gause aber zeigte Gefühle: „Es war eine gute Zeit. Wir werden Dich vermissen. Du gehst; damit geht eine Ära zu Ende.“ Und wer dann ganz genau hinhörte, konnte bei Klebers Erwiderung einen „Kloß im Hals“ vernehmen. Oder war es Einbildung ?
„Dass der Abschied mir schwerfallen würde, war immer klar“, hatte Claus Kleber in einem Interview mit der „Zeit“ gesagt. „Aber jetzt fällt es mir viel schwerer als erwartet. Weil ich mir mehr Sorgen mache als je zuvor. Uns bricht an zu vielen Stellen der Boden weg, Dinge, die wir für selbstverständlich hielten: Frieden in Europa, eine funktionierende Demokratie in den USA, ein zivilisiertes politisches Klima bei uns.“ Und natürlich Corona. Da gehe man nicht leichten Herzens von Bord.