Als Frank-Walter Steinmeier im Mai ankündigte, er sei bereit, ein zweites Mal für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, war die Überraschung gelinge gesagt ziemlich groß. Zwar mochte man ihm inhaltlich kaum widersprechen, als er mit gewohnt gut gesetzten Worten sagte: „Ich möchte unser Land auf seinem Weg in die Zukunft begleiten, eine Zukunft nach der Pandemie, eine Zukunft nach Corona“. Aber damals klangen diese Worte mutig, doch sehr aussichtsreich waren seine Ambitionen auf einen längeren Verbleib im Schloß Bellevue, dem Sitz des deutschen Staatsoberhauptes, nicht. Die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz schien wie eingemauert bei 14 bis 15 Prozent in allen Umfragen hängen zu bleiben. Damals im Mai war das. Längst sieht die Welt für Scholz anders aus, er steht als Kanzler einer Ampel-Regierung aus SPD, der FDP und den Grünen vor. Und diese Ampel-Parteien haben in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten am 13. Februar wählt, eine Mehrheit von 39 Stimmen. Im ersten Wahlgang ist die absolute Mehrheit erforderlich, im dritten reicht die einfache Mehrheit. Also alles klar für eine Wiederwahl von Steinmeier?
Eigentlich schon, aber… Die SPD steht eindeutig hinter ihrem Präsidenten, der seit 1975 Mitglied der ältesten deutschen Partei ist, dessen Mitgliedschaft aber traditionell während der Präsidentschaft ruht. Auch die FDP hat Stellung bezogen. Parteichef Christian Lindner, im Kabinett von Scholz Bundesfinanzminister, rühmte den Amtsinhaber: Er sei „eine herausragende Persönlichkeit, die sich „in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung um unser Land verdient gemacht“ habe. Seine Bewerbung um eine Wiederwahl begleiteten die Liberalen „mit Sympathie und großem Respekt.“ Allein die Grünen, die Steinmeier bei seiner ersten Kandidatur gewählt hatten, halten sich bedeckt. Sie wollten sich intern zu dem Thema beraten wie auch mit den Partnern in der Bundesregierung.
Was wollen die Grünen?
Man weiß nicht so recht, was die Grünen damit bezwecken. Vor der Bundestagswahl hatte es geheißen, die Fraktionschefin Kathrin Göring-Eckart sei an dem prestigeträchtigen Amt interessiert. Eine Frau als Bundespräsidentin, das schien damals ins Bild der Grünen zu passen und darüber hinaus. Aber damals hatten einige wichtige Medien auch eine andere Bundesregierung als ihren Traum ausgemacht: Schwarz-Grün oder noch lieber Grün-Schwarz, die SPD hatte man abgeschrieben. Und wenn es nicht reichen würde für eine Zweier-Koalition, müssten halt die Freidemokraten dieses Mal aber wirklich mit ins Boot, das den Namen Jamaika bekommen sollte. Vergessen schien die Schmach, als 2017 nach wochenlangen Verhandlungen und Bildern auf dem Balkon des Reichstages der FDP-Chef Lindner das Traum-Bündnis vorzeitig platzen ließ mit den Worten: „Es ist besser, nicht zu regieren als schlecht zu regieren.“
Der wahre Hintergrund für Lindners Absage an eine Koalition unter Angela Merkel und mit den Grünen dürfte gewesen sein, dass die Kanzlerin in den Gesprächen sich mehr um die Sympathien der Grünen gekümmert habe denn um die der FDP. Der politisch Interessierte erinnert sich an die Bilder aus Berlin, man befürchtete schon Neuwahlen, zumal die SPD frühzeitig beschlossen und verkündet hatte: wir gehen in die Opposition, nicht erneut in eine Groko unter Merkel. Wofür man Verständnis haben musste angesichts des zerrupften Zustands der einstigen Volkspartei, der aber große Teile dieses Volkes abhanden gekommen waren.
Doch dann schlug die Stunde des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Er bestellte die Parteichefs Merkel, Seehofer und Schulz, die für eine Groko in Frage kamen, ins Schloß und mahnte: „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in Händen hielt.“ Und tatsächlich schaffte es Steinmeier mit seinen Appellen an das Gewissen und die politische Verantwortung der Gesprächspartner, diese zum Umschwenken zu bewegen. Was besonders die SPD beschäftigte und ihr zusetzte. Aber am Ende ließ sie sich erneut in die Pflicht nehmen. Es folgte Merkels Vierte, wenn man so will, die dritte Groko.
Beliebt beim Volk
Frank-Walter Steinmeier mag in den Meinungsspalten gewisser Medien hin und wieder als blass beschrieben werden, als technokratisch, ja als dröge. Dennoch: der 65jährige Westfale- in Detmold geboren- ist beliebt beim Volk. 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben sich vor ein paar Wochen für eine zweite Amtszeit ausgesprochen. Und es ist nicht nur die Meinung von Lindner und Kubicki, dass Steinmeier „sein Amt hervorragend ausfüllt“. Die große Mehrheit findet, er sei ein guter, sehr guter Bundespräsident, der das Gespür für das Wichtige habe, wie das die linke taz urteilte, und die Demokratie zum Thema gemacht habe. Seiner Erklärung, die Demokratie brauche Demokraten, die sie notfalls verteidigen, kann niemand ernsthaft widersprechen. Gerade in Zeiten des damaligen US-Präsidenten Trump, der ein übler Populist ist, dem nichts heilig zu sein schien außer seine Macht, war einer wie Steinmeier ein Garant unserer demokratischen Stabilität.
Zur Corona-Pandemie hat sich der Bundespräsident mehrfach an die Bürgerinnen und Bürger gewandt und sie gebeten, sich impfen zu lassen. In der jüngsten Weihnachtsansprache appellierte Steinmeier an das Miteinander der Gesellschaft, die anhaltende Coronakrise habe viele Menschen mürbe gemacht. In der Demokratie müssten nicht alle einer Meinung sein, aber „bitte denken wir daran: Wir sind ein Land. Wir müssen uns auch nach der Pandemie noch in die Augen schauen.“
Gegen Rassismus und Antisemitismus
Die Gefahr des wachsenden Rechtspopulismus ist ja auch in Deutschland nicht zu übersehen, die AfD ist in allen Parlamenten in Deutschland wie auch im Europa-Parlament vertreten, eine Partei, die mit unserer parlamentarischen Demokratie nichts am Hut hat, sondern diese beseitigen will, die sich lustig macht über die politischen Repräsentanten dieser Republik, die Faschisten in ihren Reihen hat. Frank-Walter Steinmeier wirkt da wie fast wie ein Fels in der Brandung. Rassismus und Antisemitismus gehören zu seinen Themen, die er immer wieder anspricht, damit niemand vergisst, was damals in der Nazi-Zeit mit Deutschland passierte, als aus einem Land der Dichter und Denker das Land der Richter und Henker wurde. Gerade in diesen Zeiten brauchen wir einen solchen Bundespräsidenten, der uneitel ist, aber klare Worte spricht. Wir brauchen keinen Entertainer im Schloß Bellevue.
Wer seine Reisen ins Ausland verfolgt hat, seine Auftritte und Reden an für Deutsche historisch schweren Orten in Polen, Italien und in Griechenland-um nur die drei Länder zu nennen-, war dankbar und erleichtert, wie einfühlsam der Bundespräsident sich bewegt, die Worte wiegt und wählt. Die Nazi-Verbrechen sind ja nicht vergessen, einen Schlussstrich wird es und darf es nicht geben, es gibt eine Verantwortung für das, was Deutsche in diesen zwölf Jahren in fast allen Teilen Europas den Menschen dort angetan hatten. Es gibt ja kaum einen Flecken Erde in Frankreich, Holland, Belgien, Russland, Polen, der Ukraine, dem Balkan, wo die Stiefel der Soldaten der Wehrmacht und der SS keinen ihrer berüchtigten Abdrücke hinterlassen hätten. Nein, es handelt sich nicht nur um einen Vogelschiss deutscher Geschichte, wie das der AfD-Mann Gauland in seiner üblen Sprache ausgedrückt hatte.
Steinmeier ist der 12. Bundespräsident, der dritte mit SPD-Parteibuch nach Gustav Heinemann und Johannes Rau. Der Jurist ist ein politischer Profi, der schon dem Ministerpräsidenten Gerhard Schröder in der niedersächsischen Staatskanzlei zuarbeitete. Er ist bekannt und geschätzt für seine Sachkenntnis, seine Gewissenhaftigkeit, wer ihn kennt, hat ihn erlebt als ruhig, besonnen und ja, fleißig. Wenn einer die Politik kennt, dann er. Steinmeier war Chef des Kanzleramtes unter dem Kanzler Schröder, der Mann des Hintergrunds rückte dann mehr und mehr auf die Bühne der Politik, er wurde Außenminister und Vizekanzler unter Merkel, Fraktionschef der SPD im Bundestag, Kanzlerkandidat. 2017 wurde er zum Bundespräsidenten gewählt, auch mit den Stimmen der Union, in deren Reihen man jetzt überlegt, eine Frau ins Rennen gegen Steinmeier zu schicken. So hat es Hendrik Wüst(CDU), der immer noch neue NRW-Ministerpräsident forsch gesagt, ohne einen Namen zu präsentieren. Und Serap Güler, Vorstandsmitglied der CDU, hat sich ähnlich geäußert. Man sucht wohl eine parteiübergreifende Frau als Kandidatin, die nicht nur eine Alibifunktion erfüllen solle. Zur CDU noch ein Satz: gerade wurde die Vorsitzenden-Wahl entschieden, drei Männer bewarben sich, keine Frau. Friedrich Merz gewann. Soviel dazu.
SPD sieht Debatte gelassen
Die SPD sieht diese Diskussion gelassen. Mit Bärbel Bas aus Duisburg ist eine Frau aus alter SPD-Schule zur Bundestagspräsidentin gewählt worden. Vom Protokoll her nimmt Frau Bas damit Rang zwei ein, hinter dem Bundespräsidenten und vor dem Kanzler. Im Gegensatz zur Union hat die SPD ferner drei Frauen unter den Regierungschefs der Bundesländer: Franziska Giffey, Manuela Schwesig und Malu Dreyer. Bei der Union ist das reine Männer-Sache: Wüst, Günther, Bouffier, Hans, Kretschmer, Haseloff, Söder.
Das mit der Gegenkandidatin ist gut, dann hat man in der Bundesversammlung die Wahl. Die Grünen schickten mal die Schrifststellerin Luise Rinser gegen Richard von Weizsäcker ins Rennen, SPD und die Grünen versuchten es mit Gesine Schwan gegen Horst Köhler. Beide hatten keine Chance.
Bildquelle: flickr, Stadt Krefeld, CC BY-NC-SA 2.0