2171 mal hat Heiko Sakurai, einer der besten Karikaturisten der Republik, die Bundeskanzlerin Angela Merkel gezeichnet. Manchmal täglich, gerade so, wie die Themen kamen und die wurden oft genug von der Kanzlerin geprägt. Nun ist sie weg nach 16 Jahren, abgetreten in Schüben, erst als CDU-Chefin und jetzt als Kanzlerin. Wenn man sich die Karikaturen Sakurais von Merkel über die Jahre anschauen würde- sie war ja vorher schon gelegentlich Objekt der Begierde der Zeichner- man könnte einen Teil des Lebenswegs der Pfarrerstochter aus der Uckermark verfolgen: Merkels Aufstieg als Kohls Mädchen, die in Bonn schnell lernt, wie man Politik macht, kungelt, und Widersacher aus dem Feld schlägt. Kohl selbst hat es erfahren mitten im Spendensumpf damals um 2000 herum, als sie, die kühle, gelernte Physikerin über die FAZ Kohl und der Öffentlichkeit klarmacht: Aus ist es mit dem ewigen Kohl, seine Ära beendet. Mit einer gewissen Eiseskälte. Machtfrau Merkel.
Ich habe Heiko Sakurai damals im Ruhrgebiet kennengelernt, als ich stellvertretender Chefredakteur der WAZ und u.a auch dafür zuständig war, mit den Zeichnern die tägliche Karikatur zu besprechen. Klaus Pielert, einer aus der alten Schule von Deutschlands Karikaturisten, der aus Essen stammte, im Krieg ein Bein verloren und der über Jahrzehnte für die WAZ und andere Blätter gezeichnet hatte, wollte aus Altersgründen in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Altersgründe muss ich erläutern: Pielert war um die 80 Jahre alt, aber Künstler kennen das mit der Rente nicht so wie normale Arbeitnehmer. Sein Nachfolger wurde der junge Heiko Sakurai, der noch in Münster Germanistik, Geschichte und Politik studierte. Er war, das kann ich aus heutiger Sicht sagen, ein Glücksfall für die Zeitung. Denn so einer wie Pielert, der das Revier kannte und seine Menschen, den Geschmack der Redaktion, belesen war, ist nicht leicht zu ersetzen. Karikaturisten wachsen nicht auf Bäumen, sagte mir mal ein erfahrener Kollege, will sagen, davon gibt es nicht allzu viele. Sie müssen ja nicht nur zeichnen können, sie müssen zuspitzen, im Rahmen des möglichen überzeichnen, den Leser zum Schmunzeln und Nachdenken bringen, sie sollen dem Politiker/der Politikerin schon einen Piks versetzen, aber ihn nicht wie mit der Guillotine hinrichten. Dazu müssen sie sich in der Politik auskennen, der Innen- wie der Außenpolitik, auch im Sport, der Kultur, sie müssen den täglichen Nachrichtenfluss über Radio, Fernsehen, die Nachrichten-Agenturen verfolgen.
Es ist ein toller Job, wie Leser zu sagen pflegen. Ich habe stets hinzugefügt, dass es anspruchsvolle Arbeit ist, die der Karikaturist macht, harte Arbeit, die nicht vom Himmel fällt. Es war in meiner Zeit so, dass Sakurai Vorschläge machte, sie mir zufaxte, später per Computer zumailte, ich schaute mir alles an und dann rief ich ihn an und oft genug haben wir dann über die Zeichnung des Tages in der WAZ diskutiert. Nicht selten wollte ich ein anderes Thema, hatte auch schon mal eine andere Vorstellung von dem Werk, das unsere Seite 2 schmücken sollte, ich selber kann aber nicht zeichnen. Die Kari- das darf man nicht vergessen- ist wie ein Leitartikel. Und es passierte, dass wir unsere Diskussionen verschieben mussten in den späteren Nachmittag. Wir fanden jeden Tag eine Lösung, aber einfach im Sinne eines Kinderspiels war es nicht. Das mag auch an mir gelegen haben.
Heiko Sakurai veröffentlicht seit Jahren seinen eigenen Jahresrückblick in Form von Cartoons. Dieses Mal heißt das feine Büchlein: Muttis Rückkehr. Wer das Buch in die Hand nimmt, weiß sofort den Titel zu deuten: er zeigt quasi Merkel, die alte(pardon Frau Merkel, ist nicht böse gemeint) Kanzlerin und Olaf Scholz, den neuen Regierungschef in Berlin, der natürlich mit den Händen wie Merkel die Raute mit den Händen bildet, einen roten Blazer trägt und gelbe Haare hat, dazu die halb heruntergelassenen Augenlider. Scholzens schlumpfiges Gesicht kommt dabei zum Ausdruck wie die hohe Stirn. Man könnte es „Merolz“ nennen oder „Molz“ oder „Merkolz“.
Gleich auf der Seite 2 des Cartoon-Werks findet der Leser einen der politischen Höhepunkte des Jahres: den Streit um die Kanzlerkandidatur in der Union zwischen CSU-Chef Markus Söder und Armin Laschet, der ziemlich malträtiert am Boden liegt, von Söder gefällt. Die Sprechblase Söders sagt alles: „Glückwünsch, Armin, ich ziehe mich zurück.“ Ein wahrer Kampf zwischen Parteifreunden. Übrigens ist die Steigerung von Parteifreund schon seit Adenauers Zeiten Feind. Die Zeichnung nimmt den weiteren Verlauf des Streites in der Union und das bittere Ende für Laschet vorweg. Natürlich lacht der Rheinländer Laschet dazu. Im Text des Buches heißt es trefflich: der immer fröhliche Unglücksrabe Laschet. Und auf der nächsten Seite freut sich der bayerische Löwe Söder auf den 27. September, weil dann gegessen wird
…Aus der CDU-Zentrale wird nach der verlorenen Wahl ein Trummerhaufen, Laschet landet auf der Hinterbank. Und Olaf Scholz ist der große Gewinner. Der Messias, der aber, das darf man nicht unterschlagen, aus dem Keller kam und mit dessen Aufstieg niemand gerechnet hatte, außer Scholz selbst.
Das Afghanistan-Desaster des Westens lässt sich Sakurai nicht entgehen, der Regierung steht das Wasser bis zum Hals, die Taliban übernehmen. US-Präsident Biden versucht die Flucht der Amerikaner zu rechtfertigen, auch die Regierung Merkel kann gerade noch den Kopf über Wasser halten.
Die Klima-Katastrophe zeigt sich auch durch die Brände an der Westküste der USA wie durch den Starkregen in Teilen Deutschlands, als große Teile im Ahrtal und an der Erft überschwemmt und Häuser weggespült werden, und 180 Menschen in den Fluten umkommen. Immer dieses Gerede über Extremwetter, lautet eine der Sprechblasen des Zeichners. Wie wahr! Und dann der Kampf gegen Corona und die Proteste dagegen. Die Pandemie lähmt das Land.
Das alles muss der Zeichner beherrschen, leichte und schwere Kost zugleich. Sakurai, Jahrgang 1971, der aus Recklinghausen stammt und in Köln wohnt, mehrfach ausgezeichnet als Karikaturist, versucht in seinen Cartoons die Hauptfiguren zwar aufzuspießen, aber auf nette Art, sie fair zu behandeln, nicht bösartig und dennoch das Thema zu treffen.
Das ist die Kunst des Menschenfreunds Heiko Sakura. Ohne Häme, wie wir sie im Internet täglich erleben. Das Buch mit den Cartoons ist ein Kunstwerk.