Niemand käme wohl auf die Idee, seine Schuhe zur Reparatur zum Uhrmacher zu bringen. Kein Fußballtrainer würde jemals eine Weitspringerin ins Tor stellen. Was im Prinzip selbstverständlich ist, findet in der Politik nicht unbedingt Beachtung. Das beste Beispiel dafür bietet die Bundestagsfraktion der CDU/CSU.
Bei der Besetzung der Fraktionsspitze und anderer Positionen gewinnt man den Eindruck, es habe hier eine Aktion Gnadenbrot oder Abendsonne gegeben. Nicht wenige, die sich dabei vordrängen, haben es gerade einmal über Listenplätze wieder in den Bundestag geschafft und ihr Direktmandat verloren.
Ersatzpositionen für verlorene Ämter
Die Rolle der Opposition ist in unserer Demokratie wichtig genug, um vor allem in den Debatten des Bundestages Tacheles zu reden, den Finger in die Wunden zu legen und im Ringen um wichtige Entscheidungen mit Wissen und Argumenten zu glänzen sowie echte Alternativen anzubieten. Was die Union dafür als Team aufgestellt hat, lässt nichts Gutes ahnen. Vielmehr ging es dabei offenbar ausschließlich darum, Trostpreise für verlorene Ämter zu verteilen. Das wird indessen kaum eine schlagkräftige Opposition bilden. Damit können auch Wählerinnen und Wähler, die bei der Bundestagswahl der Union von der Fahne gegangen sind, nicht wieder begeistert und zurückgewonnen werden.
Wer die Gruppe der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Ausschussvorsitzenden und Fraktionssprecher betrachtet, die jüngst gewählt wurden, mag sich nur wundern. Von Neuorientierung oder gar Aufbruch kann wahrlich nicht die Rede sein. Einige dieser Stellvertreter von Ralph Brinkhaus mögen zwar bekannt sein, da sie bislang an der Spitze von Ministerien fungierten. Doch deren Stern leuchtet jetzt in der Opposition nicht mehr, sodass sie auch von den meisten Menschen außerhalb des Parlaments wohl kaum noch als Gesprächspartner gefragt sein werden. Die verschiedenen Gruppen, Verbände oder Lobbyisten werden sich ebenfalls kaum um Kontakte zu diesen Oppositionspolitikern reißen. Ein solcher Fadenriss könnte schnell in die Bedeutungslosigkeit führen.
Spahn als Gegenspieler von Habeck
Viele werden sich die Augen reiben, wenn sie nun erfahren, dass Jens Spahn, der bisherige Gesundheitsminister als neuer Fraktionsvize in Zukunft für die Wirtschaft zuständig und damit der Gegenspieler von Minister Habeck sein wird. Immerhin hat er dafür einige Vorkenntnisse erworben: Schon im Jahre 2001 machte er einen Abschluss als Bankkaufmann bei der inzwischen untergegangenen Westdeutschen Landesbank, studierte anschließend Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen und war von 2015 bis 2018 parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesfinanzminister Schäuble. In einer neuen Funktion wird er auf bessere Zeiten für die Union und sich hoffen. Von der harten Reservebank der Opposition möchte er bei einem späteren Regierungswechsel wieder auf einen Ministersessel kommen.
Dr. med. Braun als Chef-Haushälter
Der bisherige Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun, wurde gerade einmal mit 73,8 % der Abgeordneten der Unionsfraktion für den wichtigsten Ausschuss im Bundestag, nämlich für den Haushaltsausschuss, nominiert. Ob der Doktor der Medizin, Experte für Anästhesiologie und Intensivmedizin, besondere Qualitäten für die Haushaltspolitik mitbringt, wird offenbar von zahlreichen Mitgliedern seiner eigenen Fraktion bezweifelt. Im Bundeskanzleramt ist er an der Seite von Angela Merkel nur einmal auf diesem Feld aufgefallen, als er sich in einem Handelsblatt-Artikel über die Lockerung der „Schwarzen Null“ in der Finanzpolitik gegen die Unions-Linie ausließ. Da Braun offenbar selbst nicht damit rechnete, dass die CDU-Mitglieder ihn zum Parteivorsitzenden küren würden, war ihm daran gelegen, den Vorsitz im Haushaltsausschuss zu erlangen.
Die Weinkönigin als wirtschaftspolitische Sprecherin
Dorothee Bär von der CSU, in der Regierung Merkel Digital-Staatsministerin mit wenig Durchschlagskraft und vielfach glücklos, konnte nun einen Trostposten einnehmen: Sie wird als eine der Vize-Fraktionsvorsitzenden für den Bereich Familie, Frauen und Medien zuständig sein.
Als eine „Lachnummer“ wird von vielen Beobachtern die Wahl von Julia Klöckner zur neuen wirtschaftspolitischen Sprecherin der Unionsfraktion gewertet. Die bisherige Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, die aus Rheinland-Pfalz stammt, ist bislang bestenfalls auf dem Feld der Weinwirtschaft aufgefallen. Sie verfügt über einen Magisterabschluss in Theologie, Politikwissenschaft und Pädagogik, hat auch ein Staatsexamen in Religion und Sozialkunde gemacht. Sie war Redakteurin bei der „Weinwelt“ und sogar Chefredakteurin beim „Sommelier Magazin“. Sie verfügt gewiss über große Kenntnisse in der Önologie, doch wohl kaum in der Ökonomie.
Die Union stand in früheren Zeiten bei Umfragen nach der Wirtschaftskompetenz immer an der ersten Stelle. Inzwischen trauen die Wählerinnen und Wähler der CDU auch in diesem Politikbereich nicht mehr viel zu. Ob Julia Klöckner diesen Negativtrend umkehren kann, ist zumindest zu bezweifeln; ohnehin wird sie im Schatten von Friedrich Merz stehen, wenn er zum neuen CDU-Bundesvorsitzenden gewählt wird. Auch Ralph Brinkhaus, der bis April 2022 auf jeden Fall der Fraktionsvorsitzende sei wird, dürfte sich auf diesem Feld weiterhin tummeln. Michael Grosse-Brömer, der nach seiner Zeit als Fraktionsgeschäftsführer nun den Vorsitz des Wirtschaftsausschusses übernimmt, ist bislang auch nicht als profilierter Wirtschaftspolitiker aufgefallen.
Die Mannschaft der Opposition präsentiert sich sehr heterogen, die Positionen sind keineswegs fachlich optimal besetzt. Viele haben sich nach ihren Verlusten wichtiger Minister- und anderer Ämter die wenigen Posten, die eben in der Opposition überhaupt noch zu verteilen sind, gesichert. Allerdings zählen nicht wenige zu dem Team, das vor allem die bittere Wahlniederlage mitzuverantworten hat. Von einem echten Neuaufbruch mit neuen Offensivkräften, mit frischen Akteuren und politischen Ideen kann kaum die Rede sein. Das Verteilen von Trostpflastern für Altgediente ist gewiss die falsche Rezeptur für die Zukunft.
Neuanfang mit Friedrich Merz
Bei den CDU-Mitgliedern hat sich bei der parteiinternen Umfrage Friedrich Merz mit deutlicher Mehrheit (62,1 %) durchgesetzt. Ihm wird am ehesten zugetraut, die CDU wieder auf einen besseren Zukunftskurs zu bringen. Merz verfügt über große politische Erfahrungen im Europaparlament und Bundestag. Er ist ein profilierter Experte für die Wirtschafts- und Finanzpolitik und stand in den Jahren 2000 bis 2002 an der Spitze der CDU/CSU-fraktion als Vorsitzender in der Opposition. Seinen Wahlkreis im Sauerland hat er jüngst wieder mit einem guten Ergebnis direkt gewonnen. Die Delegierten des nächsten Parteitages werden ihn mit großer Zustimmung an die Spitze der CDU wählen. Um sich danach optimal auf der politischen Bühne zur Geltung zu bringen, wird Friedrich Merz über kurz oder lang auch den Fraktionsvorsitz übernehmen müssen. Als Chef der Opposition wird er die Politik der Union deutlich und hörbar vor allem im Bundestag vertreten können.
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