Der Titel „Machtverfall“ bezieht sich eigentlich auf den Niedergang der Union und nicht auf Angela Merkel. Der überraschende Machtverfall trifft eine Union, die 52 Jahre die Kanzler gestellt hat: Adenauer, Erhard, Kiesinger, Kohl, Merkel. Und die die Republik geprägt hat. Robin Alexander beschreibt diese Entwicklung, man merkt, der Welt-Journalist, der früher bei der taz gearbeitet hat und Theodor-Wolff-Preisträger ist, ist nah dran am Geschehen, kennt Merkel, Söder, Laschet und Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer und viele andere. Und der Mann wird, wo es nötig ist, gefüttert von Informanten, die noch näher dran sind an der Berliner Politik, ja hin und wieder mitten drin stecken. So wie es sein muss bei einem Spitzen-Journalisten.
Ich beginne mit dem Schluß. Da schildert der gute Erzähler Alexander- als ahnte er mehr- die Lage im Frühjahr 2021, als die Union noch vorn lag oder eine kurze Zeit auch die Grünen glauben konnten, die Machtzentrale in der Hauptstadt erorbern zu können. „So erscheint Armin Laschets Kanzlerkandidatur zu Beginn des Wahlkampfes Ende April 2021 wie eine Pointe des langen Machtverfalls der einst so stolzen Union, der mit der Flüchtlingskrise begonnen und im Missmanagement der Corona-Krise seinen traurigen Höhepunkt gefunden hat. Abschreiben sollte man Armin Laschet jedoch noch nicht. Denn das hieße, diesen ungewöhnlich zähen, ja leidensfähigen Mann zu unterschätzen. Diesen Fehler haben schon viele begangen.“ So Recht der Welt-Kollege hat, so liegt er dennoch nach menschlichem Ermessen daneben, denn die Karriere des Aachener CDU-Politikers dürfte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf der Oppositonsbank in Berlin enden. Laschet hat zwar die Konkurrenten aus dem Unions-Lager geschlagen, Merz, Röttgen und Söder, aber die Bundestagswahl im September 2021 hat er verloren, Olaf Scholz wird Kanzler. Mehr noch: Auch den CDU-Parteivorsitz wird er verlieren, an Merz, Röttgen oder Braun.
Die schwäbische Hausfrau und Mutti
„In der Merkel-Ära wurde das Farblose geradezu zum Ideal deutscher Politiker“. So die taz in ihrer Besprechung. Dass das Deutschland so schlecht nicht bekommen ist, darf man ergänzen, diese nüchterne Ausstrahlung durch die Kanzlerin, die man auch Mutti nannte, weil sie als der Typ Hausfrau daher kam, der der Champagner-Empfang fremd ist und die mit dem Geld umzugehen weiß. Schwäbiche Hausfrau, diese Bezeichnung konnte man oft finden in Beiträgen über Merkel. Das war ja wohl auch ein Grund für ihre Beliebtheit über viele Jahre bei deutschen Wählerinnen und Wählern. Vielleicht scheiterten deshalb die Konkurrenten aus der eigenen Partei und der SPD an dieser ostdeutschen Politikerin, der Kritiker vorhielten, sie mache im Grunde eine eher sozialdemokratische Politik. Da darf man ergänzen, das dies nur ein Teil von Merkel ausmachte. Dazu kam ihr ausgeprägter Pragmatismus. Sie konnte mit Macht umgehen, hatte von Helmut Kohl gelernt, wie man Gegner ins Leere laufen lässt, um selber am Ende vorn zu sein.
Machtverfall, das gilt vor allem für die letzten Jahre der 16 Jahre dauernden Kanzlerschaft der Frau aus dem Osten, die zu Beginn ihrer Laufbahn von vielen unterschätzt wurde. Alexander erzählt, dass Merkel eigentlich schon zur letzten Wahl vor vier Jahren nicht mehr antreten wollte, aber durch den Wahlsieg von Trump habe sie ihren politischen Abschied verschoben. Der dennoch in Schritten begann, indem sie noch als Kanzlerin den CDU-Vorsitz abgab an Annegret Kramp-Karrenbauer, sich allerdings dabei verrechnete, weil sich schnell herausstellte, dass die Frau aus dem Saarland eben nicht das Zeug hatte für die Thronfolge. Der Autor beschreibt die Ränkespiele in der Union, den durchtriebenen Kampf der Egomanen gegeneinander. Armin Laschet habe Merkels Corona-Politik nur halbherzig unterstützt, ja widerwillig behauptet Alexander, Söder habe ihre Flüchtlingspolitik für einen Jahrhundertfehler gehalten, um sich anschließend ihr politisch zu nähern, weil er sich davon Vorteile versprach, und Merz habe ihre Kanzlerschaft für einen historischen Irrtum gehalten. Das wird sie gewusst haben, man darf davon ausgehen, dass sie ihn nicht mag.
Aber zurück zum Abschied auf Raten. Merkel geht auf Distanz zu AKK, während sie Söders Einladung nach München folgt. Klar, dass sich ihre Kritiker Gedanken machen. Aufschlussreich der Umgang mit der Fridays-for-Future-Bewegung, die Merkel umarmen will, während AKK den für mehr Klimaschutz streitenden Bürgerkindern vorhält: „Es bleibt die Tatsache, dass sie für die Schule schwänzen.“ Sie selbst hätte ihren Kindern für die Demos keine Entschuldigung geschrieben. Und dann reibt sich noch CDU-Generalsekretär Ziemiak an der Bewegung und kritisiert, dass die Thunbergs und Co bei ihrer Ablehnung der Kohle „kein Wort von Arbeitsplätzen, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit“ gefunden hätten. „Nur pure Ideologie“, so Ziemiak. Alexander fasst zusammen: „Merkel ruft Ziemiak an und wäscht ihm den Kopf.“
Spahn über Laschet, Laschet über Spahn
Der Schreiber kennt die Union, erfährt manches aus den inneren Kämpfen. „Spahn hält Laschet für ein Weichei. Laschet hält Spahn für einen rücksichtslosen Egomanen“. Und in der Tat weiß Alexander, „vor kaum drei Jahren wollte Spahn Laschet stürzen“. Alle, schreibt er, hatten sich auf eine hohe Niederlage Laschets gegen Hannelore Kraft eingestellt, „die Revolver waren entsichert, geschossen werden sollte schon am Wahlabend.“ Spahn habe dafür gesorgt, dass junge CDU-Funktionäre kurz nach der ersten Hochrechnung Laschets allzu brave Wahlkampfführung für die Niederlage verantwortlich machen und wenig später seinen Rücktritt fordern sollten . Spahn würde noch am selben Abend nach dem Vorsitz des größten CDU-Landesverbandes greifen. Schildert Alexander. Aber es kam, wie wir alle wissen, anders, Laschet gewann die Wahl, wurde Ministerpräsident. Nur eine kurze Anmerkung von mir: So überraschend war die Wahl von Laschet am Wahltag nicht mehr, weil die letzten Umfragen den Oppositionsführer vor der Ministerpräsidentin sahen.
Der Aufstieg der Grünen, der Erfolg des Duos Baerbock/Habeck sei nicht nur „einem Plan, Fleiß und harter Arbeit“ der beiden Hauptdarsteller der Umweltpartei geschuldet, sondern „auch einer medialen Begleitung, die immer wieder in Begeisterung umschlägt“. Recht hat er, ich habe das ähnlich beobachtet in der „Zeit“, in der „Süddeutschen Zeitung“, im „Stern“. Und Robin Alexander nennt als weiteres Beispiel mehrere Tweets der Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, Tina Hassel. „Frische grüne Doppelspitze lässt Aufbruchsstimmung nicht nur in Frankreich spüren. Habeck und Baerbock werden wahrgenommen! Verantwortung kann auch Spaß machen und nicht nur Bürde sein.“ So wurde 2018 der Grünen-Wahlparteitag gefeiert. Baerbock wird zudem als „erfrischend lebendig, angesichts der lahmen Groko-Protagonisten“ bejubelt. Der „Stern“ war fasziniert von Robert Habeck und fragte: „Unser nächster Kanzler?“ Und die Welt-Kollegin Dagmar Rosenfeld wird von Alexander mit den Worten zitiert: „Alle fünf Minuten verliebt sich ein Stern-Redakteur in einen Grünen.“ Der „Spiegel“ will nicht hintanstehen, wenn ein Machtwechsel am Horizont auftauchen könnte und schreibt: „Operation Kanzleramt. Wie sich die Grünen auf die Macht vorbereiten.“ Das war im Juni 2019.
Der vermasselte Impfstart in Europa
Der vermasselte Impfstart in Europa wirft auch in Deutschland Fragen auf, warum das so daneben ging. Deutschland überholte in der Sterberate sogar die USA, schreibt Alexander. Dabei ist der Impfstoff in Mainz erfunden worden. Es fehlten dann die Dosen mit dem Impfstoff, es fehlten Masken, das Land, das einst für seine Effektivität gefeiert wurde. erlebte ein Debakel, von dem es sich zunächst erholte und als es schon glaubte, die Pandemie besiegt zu haben, wird es erneut heimgesucht von Corona, die vierte Welle überschwemmt heute die Republik, Rekordzahlen an Infizierten. Aber das ist der heutige Stand, den der Autor nicht kennen konnte. Aber seine Skepsis schon damals lässt tief blicken.
„Angela Merkel kommt in der Corona-Krise an die Grenzen ihrer Autorität“. So heißt es auf dem Buch-Deckel. So ganz falsch ist das nicht. Merkel hat auf ihre eigene Nachfolge weder in der Partei noch im Kanzleramt Einfluss ausüben können. Aber als verfrüht oder sogar überholt halte ich sein Urteil, dass sich die Grünen „als wahre Nachfolger Angela Merkels inszeniert“ hätten. Was Alexander beim Schreiben seines lesenswerten und kenntnisreichen Buches nicht wissen konnte, ist, dass trotz allem die SPD sich erholte und die Wahl gewonnen hat.