Robert Habeck hätte sich „mehr gewünscht“, so zitiert ihn die SZ am Tag nach dem Koalitionsvertrag der künftigen Ampel-Regierung aus SPD, den Grünen und der FDP. Aber haben seine Grünen nicht erreicht, was ihrem Anspruch laut dem Wahlergebnis Ende September entspricht? Den „Einstieg in einen Umbruch in der Klimapolitik“ zum Beispiel? Und ist nicht, wie Habeck dann betont, „Klimaneutralität ein gigantisches Transformationsprojekt“, das Veränderung und Zumutung mit sich bringt und viel Streit? Habecks Fazit könnte man auf die anderen Partner der Ampel übertragen, die ja auch nicht alles erreicht haben, was in ihren Parteiprogrammen steht oder sich einige von ihnen erträumt hatten. Der Kompromiß ist nun mal das Ergebnis aus den Wünschen dreier Parteien, die zudem das erste Mal auf Bundesebene gemeinsam regieren wollen. Und legt man das zugrunde, haben sie einen Vertrag in ziemlich kurzer Zeit erarbeitet, diszipliniert, ohne Durchstechereien, mit gegenseitigem Respekt voreinander. Oder wie der gescheiterte Kanzlerkandidat der Union, der Immer-Noch-Vorsitzende Armin Laschet die Ampel-Vorlage per Twitter würdigte: „Glückwunsch an Ampel-Koalition vor allem zu Stil und Form der Verhandlungen.“ Und, dies als Spitze gegen alle Maulwürfe in der Union und die Intriganten aus der Söder-CSU: „Vertraulichkeit ist eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen. Das muss auch die Union lernen.“
Jeder kann zufrieden sein. Was auch das ZDF-Politbarometer bezeugt: In der Sonntagsfrage erreicht die SPD jetzt 28 vh der Stimmen-ein Plus von zwei Prozentpunkten zum Wahlergebnis-, die Union nur 19 vh- ein Minus von gut 5 Prozentpunkten, die Grünen 17 vh, die FDP 13 vh. Und schaut man auf die Stimmungslage, die das Meinungs-Forschungsinstitut Civey ermittelt hat, überwiegt ein wenig die Kritik, was nicht überrascht. Aber mit den Zahlen können die Macher der Ampel leben: Zwar sind 39 vh unzufrieden, 34 vh zeigten sich zufrieden. Konzentriert man sich auf das künftige Regierungslager, sieht es anders aus: die Anhänger von SPD und Grünen sind zu über 60 vh zufrieden mit dem Koalitionsvertrag, 28 vh der FDP-Anhänger sind es nicht, aber auch 39 vh der Freidemokraten-Sympathisanten finden das Verhandelte insgesamt gut, 31 vh sind unentschieden. Ein Verriss sieht anders aus.
Mehr Fortschritt wagen, das haben alle Journalisten aus dem Papier zitiert, weil es an Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ aus dem Jahre 1969 erinnerte. Allein der Weg in die erneuerbaren Energien ist voller Risiken und Mühen, aber er muss beschritten werden. Wie das Ausmaß nach vier Jahren Scholz-Regierung aussieht, wird man sehen. Das kann ein Vertrag nicht festlegen. Der Anteil der Erneuerbaren soll bis 2030 auf 80 vh gesteigert werden, klingt viel, aber was wird aus den Widerständen gegen die geplanten 1000 neuen Windräder pro Jahr? Der Mindestlohn soll von 9,60 Euro auf 12 Euro steigen, aus Hartz-IV soll ein Bürgergeld, Cannabis legalisiert werden, das Rentenniveau konstant bleiben wie das Rentenalter, die Schuldenbremse eingehalten werden- ohne Steuererhöhungen. Ärztinnen und Ärzte sollen „öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen“, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Ein wichtiger gesellschaftspolitischer Schritt. In der Asylpolitik sollen soziale Härten abgebaut und ein liberales Einwanderungsrecht dem Arbeitsmarkt helfen, der Familien-Nachzug soll erleichtert werden. Und vieles andere mehr.
CSU vermisst bayerische Luft
Dass sich die Ampel-Partner gegenseitig auf die Schulter klopfen, ist normal und dass die Opposition mit Abscheu und Empörung auf die Vorlage reagiert, hätte man schon vor Beginn der Sondierungen als fest verabredet aufschreiben können- Ausnahme die Reaktion von Armin Laschet. Was man verstehen kann, wenn man den Wahlkampf des einstigen Favoriten auf das Kanzleramt verfolgt hat. Gelacht habe ich über die Reaktionen aus der CSU. Deren Generalsekretär Markus Blume sah sofort „echte Konfliktlinien“. Der Koalitionsvertrag atme „wenig bayerische Luft“. Ja, Herr Blume, davon werden nicht wenige in der CDU genug haben, diese Art bayerischer Luft, vertreten durch die CSU, durch den Parteichef und bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Man frage Armin Laschet über all die Sticheleien und Stänkereien gegen den Kandidaten der Union. Weil Söder, so Söder über Söder, der bessere Kanzlerkandidat gewesen wäre, der Kandidat der Herzen. Bitte nicht lachen! Die bayerische Luft, vertreten durch Horst Seehofer, der sich Unverschämtheiten gegenüber der Kanzlerin Angela Merkel wegen der Flüchtlingspolitik geleistet hatte, die kaum zu überbieten waren. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde. Oder nehmen wir als einen der herausragenden CSU-Repräsentanten den noch amtierenden Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, dessen Maut-Desaster den Steuerzahler Millionen kosten wird.
Opposition in Berlin, das ist neu für die CSU. Deren Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sieht durch den Vertrag „die Geburtsstunde einer links-gelben Koalition“. Die Gefahrenmomente wurden auch benannt: die Migration und Cannabis. Der Linksrutsch ist da, völlig egal, dass die FDP dabei ist. Bayern, die Staatsregierung unter dem Größten aller Großen, Markus Söder, wird das Gegengewicht bilden zur Ampel, die als Schreckensszenario für die Zukunft des weißblauen Freistaats herhalten muss, weil ja die CSU nicht dabei ist. Was nun mal gar nicht geht. Söder hat das Bild vom „Ampel-Norden“ gegen das des „freien Süden“ geprägt. Ich vermute mal, im Norden wird es düster werden, vielleicht gehen die Lichter aus, während das freie Bayern leuchtet. Freiheit statt …
Die Pandemie fordert schon jetzt von Scholz und Co einiges, da sie noch gar nicht im Amt sind. Eine Schonzeit, wie sonst üblich von 100 Tagen, wird es nicht geben, weil die Lage mindestens angespannt ist, wenn nicht katastrophal. Wir haben inzwischen 100000 Corona-Tote, die Opfer-Zahlen explodieren. Es wird weitere Beschränkungen geben, Lockdowns für Ungeimpfte, 2-G-Regeln, die Diskussion über eine Impfpflicht läuft, sie wird kommen, nicht weil sie jetzt gegen die vierte Welle helfen wird, aber gegen die fünfte und sechste.
Das Strucksche Gesetz
Wir könnten noch viele Beispiele nennen, wo sich die Ampel-Regierung bewähren muss. Sie ist gut beraten, Politik nicht so zu verstehen, dass sie den Koalitionsvertrag Punkt für Punkt abarbeiten muss. Die Zeit dafür wird sie nicht haben, weil das Leben nicht so geordnet abläuft, wie es in einem Vertrag steht. Immer wieder gibt es Überraschungen, die der Regierung ins Handwerk pfuschen. Man denke an die Lehman-Pleite, an die Flüchtlingskrise 2015 oder an die Pandemie, die seit knapp zwei Jahren den politischen Alltag bestimmt. Nicht zu vergessen die Landtagswahlen, die die Berliner Politiker dazu zwingen, in die Regionen zu schauen. Wenn sich dort Mehrheiten verändern, bleibt das nicht ohne Wirkung auf die Bundespolitik. Allein im nächsten Jahr wird in vier Ländern gewählt: in NRW, in Schleswig-Holstein, im Saarland und in Niedersachsen. Eines kann man jetzt schon sagen: Wenn die Union nicht in der Lage ist, ihre Führungskrise zu beenden, könnte das die Mehrheit im Bundesrat verändern. Dazu kommt, was wir mal vor Jahr und Tag das Strucksche Gesetz genannt haben: Kein Gesetz kommt so aus dem Bundestag, wie es eingebracht wurde.
Die Ampel steht. Das stimmt. Was daraus wird, ist offen. Das liegt in den Händen und Köpfen von SPD, den Grünen und der FDP. Die Union, die eine Kanzlerpartei ist, die von 1949 bis heute 52 Jahre den Kanzler gestellt hat, von Adenauer über Erhard, Kiesinger, Kohl und Merkel, muss Opposition erst mal wieder lernen. Dass sie Mist ist, hat Franz Müntefering mal gesagt. Und das wird die Union noch merken, ohne Apparat und Zugriff auf Ministerien und Kanzleramt. Aber Opposition, richtig angepackt, kritisch und konstruktiv, kann auch Regierung im Wartestand sein.