Die Inszenierung
Schon in der letzten Runde beim Kampf um den Parteivorsitz zwischen Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen konnte man die Politshow, mit der die CDU damals per Internet für ihre Mitglieder live auf Sendung ging, eigentlich nur als Krampf bezeichnen. Unmodernes Studiodesign, unprofessionelle Kameraeinstellungen, technisch holprige Zuschaltungen von Fragestellern, ungeübte Stichwortgeber in der mehr gewollten als gekonnten Moderatorenrolle: Wer sollte sich das jetzt beim Dreikampf Merz, Röttgen, Braun noch einmal antun? Aber als interessiertes Parteimitglied muss man da wohl durch! Also jeweils 90 Minuten mit Regieanweisungen und Mitmachaufforderungen an das Parteipublikum, Schlagwortwolken, jeweils rund fünfzehn Fragestellern („Können Sie mich hören?“) und sehr brav mitspielenden Kandidaten.
Auch jetzt ist das Drumherum wieder genauso altbacken (inklusive Bronzekopf von Konrad Adenauer!) und unprofessionell wie gehabt. Die Show kommt erneut nicht über den Standard einer Produktion aus dem Offenen Kanal hinaus. Wobei in manchen Offenen Kanälen vielfach professionellere Standards herrschen. Man kann sich nur wundern, dass die Kommunikationsexperten in der CDU-Zentrale beziehungsweise ihre Berater anscheinend der Auffassung sind, mit Bordmitteln könne so etwas gut gelingen. Die fehlende kommunikative und journalistische Kompetenz bei derartigen Medieneigeninszenierungen lässt das Ganze viel zu deutlich als PR-Veranstaltung erkennen und macht es deshalb nicht gerade glaubwürdig. Mit journalistischen Formaten hat derartiges auf jeden Fall nichts zu tun. Die Verantwortlichen in der Parteizentrale sollten sich selbstkritisch fragen, ob eine solche Inszenierung nicht die Intelligenz der Zuschauer unterschätzt.
Die Kandidaten
Aber zum eigentlichen Thema und den drei aktuellen Bewerbern um den CDU-Vorsitz: Wie zu erwarten, liefern die Kandidaten im CDU-TV, das parallel im Netz öffentlich übertragen wird, wenig Anlass für Überraschungen. Sie wiederholen ihre bekannten Ansichten und Positionen, neue konkrete Aussagen zu den beherrschenden Themen der Zeit sind nicht zu erkennen, zukünftige Aufgabenverteilungen und Schwerpunktsetzungen in der Parteiarbeit allenfalls ansatzweise zu erahnen. Das hat natürlich mit dem Format zu tun, das als Fragestunde für Parteimitglieder gedacht ist und redaktionell so gesteuert wird, dass möglichst viele Themen drankommen. Unbequem wird es an keiner Stelle, selbst wenn der eine oder die andere der Zugeschalteten es versucht. Überwiegend sind die Fragesteller allenfalls wohlwollende Stichwortgeber, die ihrem Kandidaten eine Vorlage zur Selbstdarstellung liefern möchten. Auch in diesem Sinne eine typische PR-Veranstaltung, die journalistischen Ansprüchen nicht gerecht werden kann und es offensichtlich ja auch gar nicht will.
Der als Außenseiter gestartete amtierende Kanzleramtschef Helge Braun stellt am gleichen Tag, an dem Friedrich Merz seinen CDU-TV-Auftritt hat, sein Team vor: mit zwei jungen kompetenten Frauen an seiner Seite, eine davon, nämlich Serap Güler, als Generalsekretärin, was den eher müden Versuch von Friedrich Merz mit der Einführung der Position einer stellvertretenden Generalsekretärin als das entlarvt, was es ist: weiße Salbe. Eine stellvertretende Generalsekretärin, die es bisher nicht gibt, interessiert außerhalb der CDU niemand. Und in der Partei wohl auch nicht. Für ein Werben um die weiblichen Mitglieder ist das auf jeden Fall zu wenig beziehungsweise kein Beweis für die Bereitschaft zur Frauenförderung, im Gegenteil. Norbert Röttgen wiederum hat bereits vorher verkündet, Franziska Hoppermann als Generalsekretärin zu benennen, falls er gewinnt. Die über die Landesliste frisch in den Bundestag eingerückte Vorsitzende der CDU-Frauenunion in Hamburg ist allerdings politisch ein relativ unbeschriebenes Blatt.
Angesichts der schon von Annegret Kramp-Karrenbauer nach ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden getroffenen und von Armin Laschet übernommenen verfehlten Personalentscheidung für Paul Ziemiak als Generalsekretär der Bundes-CDU handelt es sich bei den Personalien für die zweite Reihe oder das „Team“ um wichtige Weichenstellungen für die Partei, auch und gerade in Oppositionszeiten. Serap Güler, die ehemalige Integrationsstaatssekretärin aus NRW, als Brauns Vorschlag hätte auch jedem anderen Pluspunkte gebracht, mehr als der frühere Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja, den Merz keine Woche zuvor für die gleiche Position präsentiert hat. Beide, Merz und Braun, planen darüber hinaus eine Reform der Parteiarbeit mit dafür zusätzlich benannten Personen, der eine mit dem MIT-Vorsitzenden Carsten Linnemann, der andere mit der Digitalpolitikerin Nadine Schön. Unabhängig vom Kampf der Frontmänner sind die Namen Güler, Linnemann, Schön oder auch Czaja Belege dafür, dass sich in der CDU durchaus hoffnungsvolle und unverbrauchte Nachwuchskräfte finden, die in Zukunft von sich hören lassen werden. Wenn sich der Pulverdampf verzogen hat und die jetzt anstehende Entscheidung gefallen ist, wird deren Zeit kommen, besser früher als später.
Abgesehen davon ist der parteiinterne Wettbewerb durch die aktuelle Großwetterlage zwar innerhalb der CDU interessant, aber außerhalb nicht wirklich relevant. Für die Medien schon, denn mit personellen Auseinandersetzungen lassen sich Seiten und Sendungen immer gut füllen. Wenn nichts Wichtigeres passiert. Die Entwicklung der Corona-Pandemie wie auch die Vorstellung des Koalitionsvertrages der Ampel am 24. November lenken in diesen Tagen deshalb sicherlich einen Großteil der öffentlichen Aufmerksamkeit ab. Inhaltlich versuchen alle drei Kandidaten, die politische Mitte ihrer Partei zu treffen. Ihre jeweils zweiseitigen, gleichzeitigen Briefe vom 23. November an alle Parteimitglieder belegen das und lassen keine gravierenden programmatischen Unterschiede erkennen. Merz gibt sich moderat, was wiederum das Misstrauen, das manche gegen ihn schüren, nur noch verstärkt. Ihm wird sein Streben an die Spitze innerparteilich von vielen als Rache an Angela Merkel unterstellt. Auch das im Übrigen ein neues Problem für die Interpretation seiner Motivation, denn was will er noch, wo Merkel doch geht. Röttgen wiederum kämpft gegen sein Image als Muttis Klügster und seine NRW-Vergangenheit mit einer verlorenen Landtagswahl 2012 und der anschließenden Entlassung aus dem Bundeskabinett. Als Außenpolitiker hat er sich danach ein neues Profil erarbeitet, aber Außenpolitik ist gegenwärtig nicht das beherrschende Thema. Klima könnte er, war er doch von 2009 bis 2012 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zu Corona hat er sich bisher nicht sonderlich wahrnehmbar geäußert, weil es auch nicht sein Politikfeld ist. Braun schließlich gilt als Garant für die Fortsetzung der nüchternen und pragmatisch-reaktiven Politik Angela Merkels, was außerhalb der CDU viel Sympathie genießt, aber der Sehnsucht nach Veränderung und Neustart innerhalb der Partei nicht entgegenkommt. Der gebürtige Hesse hat immerhin die NRW-Lastigkeit im Feld der Kandidaten verringert, nachdem sich Jens Spahn selbst aus dem Rennen genommen hat. Braun hat als promovierter Mediziner zu Corona zwar durchaus fundierte Positionen, aber vielleicht hätte er in der Vergangenheit daraus mehr machen können, statt Jens Spahn CDU-seitig die politische Bühne weitgehend allein zu überlassen.
Die Performance
Da alle drei eine Mehrheit in der Mitte der Partei brauchen und um sie werben, sind es wohl weniger die Inhalte und eher die persönlichen Sympathiewerte und die Begleiterscheinungen der Kandidatenauftritte im CDU-Studio wie den anschließenden Talkshows und deren Deutungsversuche durch Freund und Feind, also die Interpretationen der jeweiligen Performance, die das Pendel am Ende für den einen oder den anderen ausschlagen lassen wird. Friedrich Merz ist als Favorit gestartet, sein Auftritt im Studio des Konrad-Adenauer-Hauses routiniert, aber das hat ihm keinen neuen Schwung gebracht. Sein Auftritt bei Markus Lanz einen Tag später lässt erkennen, wo sein Problem liegt: Er schleppt eine lange politische Vergangenheit mit sich herum, die immer wieder zu kritischen Nachfragen und zur Aufdeckung von widersprüchlichen Positionen führt. Verständlich, dass er sich in solchen Situationen dreht und wendet und kommunikativ ein Problem hat. Obwohl er markant tut, kann er sich bei vielen Fragen nicht festlegen, ohne eine neue Angriffsfläche zu bieten. Das ist der Fluch des mittlerweile dritten Versuchs der späten politischen Wiedergeburt.
Norbert Röttgen wirkt in der Befragung durch die Mitglieder verkrampft und bleibt irgendwie blass. Er kann viel erklären, doch manche Antwort geht über die Köpfe der Fragenden hinweg. Die unterschiedlichen Themen hat er gut drauf, aber rhetorisch hat er schon bessere Auftritte gehabt. Wie schon bei Merz sind auch bei ihm größere oder sogar entscheidende Bewegungen hin zu ihm und weg von der Konkurrenz nicht sehr wahrscheinlich. Beide haben ihre Gegner und Unterstützer, aber ob sie aufgrund der CDU-Live-Veranstaltungen Bewegung in die Anhängerschaften bringen beziehungsweise nennenswerte Zugewinne unter den Mitgliedern verzeichnen können, darf bezweifelt werden. Um den Wettstreit zu gewinnen und den von vielen unterstellten Vorsprung von Merz auszugleichen, brauchte Röttgen wohl noch einen Befreiungsschlag, was der CDU-TV-Auftritt sicherlich nicht war. Bei seinem Auftritt einen Tag später in der Talkshow von Maybrit Illner muss er sich die Aufmerksamkeit mit Robert Habeck und Volker Wissing teilen und vor allem zur Coronalage und nicht zu seinem erneuten Griff nach dem CDU-Vorsitz Stellung beziehen. Die Entwicklung der Infektionszahlen überdeckt selbst das Interesse an der am vorherigen Tag vorgelegten rot-grün-gelben Koalitionsvereinbarung und an den unerwartet aufgeflammten personellen Querelen bei den Grünen und bietet ihm keine Erklärungsmöglichkeit in eigener Sache. In der Debatte über Corona ist er aber inhaltlich und rhetorisch sehr präsent und stark.
Helge Brauns Befragung im TV-Studio der CDU ist für viele unvoreingenommene Beobachter die spannendste, weil er bundesweit noch relativ wenig parteipolitisches Profil hat. Er bringt schon allein durch seine Kandidatur Bewegung ins Spiel. Man kennt ihn als Amtschef und obersten Zuarbeiter der Kanzlerin, aber als potentiellen Parteivorsitzenden kann man ihn nur schwer einschätzen. Bei Merz und Röttgen ist das anders, und sie haben mittlerweile Routine im Kampf um den CDU-Vorsitz. Vor allem bei den Merz-Anhängern hat dies zu gewissen Ermüdungs-, wenn nicht sogar Ernüchterungserscheinungen geführt, was seine Basis bröckeln lässt. Hier liegt eine Chance vor allem für Braun, aber ob der sich damit nach vorne spielen kann, muss sich zeigen. Auf jeden Fall lässt das Format der CDU-eigenen TV-Sendung zu wenig Raum für zuverlässige Erkenntnisse oder Einschätzungen zur Person und zu den Intentionen Helge Brauns, des Spätstarters in diesem Rennen. Aber er kommt sehr unverkrampft und authentisch über. Wahrscheinlich hat er aus den vorherigen Auftritten seiner Konkurrenten gelernt, was man besser machen kann. Noch am gleichen Abend und im direkten Anschluss an Illners Talkshow ist er zu Gast bei Markus Lanz, der ihn nicht so arg und ruppig in die Bredouille bringen kann wie zwei Tage zuvor Friedrich Merz. Im Gegenteil spielt er beim Thema Corona seine fachliche und administrative Kompetenz voll aus, ruhig und überlegt. Zu seinen Ambitionen auf den Parteivorsitz kann ihm Lanz nicht mehr entlocken, als er auch früher schon gesagt hat, dass er nämlich unter seiner Führung für eine breit aufgestellte und kooperative Parteispitze sorgen will, in der sich die traditionellen Wurzeln der Partei wiederfinden.
Die Perspektive
Der Ausgang ist offen. Aber selbst unter CDU-Mitgliedern herrscht eine große Verunsicherung darüber, ob das Ergebnis des jetzigen Wettbewerbs Ruhe in die Partei bringt und Zukunft hat. Daran haben die Auftritte der drei in dieser Woche wenig geändert. Die genannten Namen der jüngeren Hoffnungsträger signalisieren, dass es vielleicht erst beim nächsten Mal richtig spannend wird. Dieser Gedanke ist allerdings müßig, solange sich noch keiner von ihnen nach vorne traut. Schade, aber für die jetzige Runde auch wieder ein Trost, denn eventuelle vier Jahre in der Opposition sind eine lange Zeit und beim nächsten Anlauf gibt es vielleicht eine mutigere Lösung. In dieser Hinsicht wäre ein Sieg von Merz ein Zeitgewinn, aber nicht unbedingt ein Fortschritt. Er hat sich bisher nicht gerade als Teamplayer hervorgetan, weshalb er als Parteivorsitzender den notwendigen Erneuerungsprozess zumindest personell eher verlangsamen als beschleunigen dürfte. Oder kann sich jemand vorstellen, dass er sich als Mann des Übergangs versteht, der den Weg für neue und frische Kräfte ebnet und auch früh genug für sie freimacht? Gäbe er jetzt dieses Signal, wäre er der wahrscheinliche Gewinner. Die Vorsitzfrage beschäftigt die CDU nach Angela Merkels Rückzug von diesem Amt mittlerweile mehr als drei Jahre. Die beiden ersten Anläufe für eine breit akzeptierte Nachfolge zuerst mit Annegret Kramp-Karrenbauer und dann mit Armin Laschet sind gescheitert. Auch die jetzige Konstellation lässt noch nicht erkennen, ob es diesmal besser läuft beziehungsweise wie oder mit wem die CDU in der Opposition zu neuen Kräften kommen kann. Die auf der Länderebene begonnene personelle und inhaltliche Erneuerung der Partei steht im Bund noch aus. Die Namen Daniel Günther, Tobias Hans oder Hendrik Wüst stehen aber für eine neue Generation von Politikern, mit denen Staat zu machen ist. Mit ihnen und mit den Hoffnungsträgern auf der Bundesebene könnte die CDU durchaus optimistisch in die Zukunft schauen. Wenn sie die notwendige Geschlossenheit findet.