Bonn, die kleine frühere politische Hauptstadt am Rhein, ist heute eine Bundesstadt. Und sie ist- damals wie heute- eine internationale Stadt, bunt ist die Welt hier, Farbige und Weiße leben mit- und nebeneinander, Menschen aus vielen Nationen der ganzen Welt wohnen hier oft auch Tür an Tür, friedfertig, fröhlich, alle Religionen sind in Bonn zu Hause. Und man kann sich hier heimisch fühlen, der Rheinländer ist offen und tolerant. Und doch gibt es auch dies. „Ich fühle mich sicher und unsicher“, sagt Margaret Traub, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Bonn seit 38 Jahren. Die verheiratete Frau und Mutter von Zwillingen, die in London und Rom wohnen, ist in Paris geboren, hat dort studiert und in Frankreichs Metropole auch manche Rempelei hinnehmen müssen. Von Arabern, Moslems. Weil sie Jüdin ist. Auch in Deutschland sei sie mehrfach angepöbelt worden, erzählt sie im Gespräch mit dem Blog-der-Republik.. „Ich hätte nie gedacht, dass Antisemitismus in Deutschland wieder möglich werden würde“, gesteht sie. Aber er ist da, der Hass auf Juden, gespeist aus Vorurteilen. „Als Kind habe ich geweint, wenn man mich wegen meines Glaubens beschimpft hat, heute lasse ich mir nichts mehr gefallen“, betont die Französin entschlossen. Bei diesen Worten blitzen ihre Augen auf.
Die Synagoge in Bonn in der Tempelstraße- das ist unweit der Villa Hammerschmidt, dem zweiten Sitz des Bundespräsidenten- ist zumeist bewacht von Polizei. Oft parkt hier ein Streifenwagen oder fährt hier vorbei. Wenn ich die Bilder sehe, schüttel ich oft den Kopf. Dass das nötig ist bei uns?! Ja, man muss auch in dieser Stadt aufpassen, dass das Gotteshaus der Juden nicht Ziel eines Angriffs von Rechtsextremisten oder anderen Verrückten wird, die irgendwelchen Verschwörungstheorien nachhängen. Wie vor Wochen geschehen, als junge Männer Steine gegen das Gebäude warfen. Eine Scheibe wurde beschädigt. Als ich im Radio von dieser üblen Attacke hörte, bin ich hingefahren zur Synagoge. Später saß ein Mann auf einem Stuhl vor dem Haus als eine Art Stuhlwache.
Die Täter wurden gefasst, weil ein Nachbar aufmerksam gewesen war, er hatte die Männer gehört, war rausgelaufen ihnen hinterher. Für Margaret Traub ein gutes Zeichen. „Der Mann hat Zivilcourage gezeigt, war den Tätern mutig gefolgt.“ Ja, das ist es, was nötig ist. Gegenhalten, wenn jemand gegen Juden den Arm hebt, sie beschimpft oder attackiert. Und auch dies ist nötig: die Polizei informieren. Antisemitische Täter müssen wissen, dass ihre Straftaten verfolgt und geahndet werden.
Es beschämt einen
Es beschämt einen, wenn man solche Geschichten hört. Ausgerechnet im Land der Täter, dort, wo einst die Nazis die Judenverfolgung zur Staatspolitik erhoben, die Juden zum Feind Nummer 1 erklärten, Konzentrationslager bauten in Dachau, Auschwitz, Majdanek, Mauthausen, Theresienstadt, fast überall in Europa. Die Erinnerung an den Holocaust muss wachgehalten werden, damit nie vergessen wird, was einst geschah. Sechs Millionen Juden wurden von den Nazis ermordet, erschossen, vergast, Menschen wurden verprügelt, diffamiert, weil sie Juden waren, sie wurden entrechtet, das Eigentum ihnen genommen, Häuser wurden arisiert. Auch in Bonn wurden jüdische Mitbürger zu Untermenschen gemacht, verfolgt, deportiert. Vor 1933 gab es im heutigen Stadtgebiet Bonns 1268 Jüdinnen und Juden, herausragende Wissenschaftler an der Universität. Bei Kriegsende waren sie fast alle verschleppt, ermordet, einige Hundert waren bis 1937 ins Ausland geflohen.
Der berühmte Mathematiker Professor Felix Hausdorff, nach dem später eine Straße benannt wurde, nahm sich 1942 zusammen mit seiner Frau und seiner Schwägerin Edith Pappenheim das Leben. Nein, Bonn war nicht besser als jede andere Stadt, auch hier hatten die Nazis das totale Regime übernommen. Die Universität entzog 1936 Thomas Mann, dem Literaturnobelpreisträger, dessen Frau Katja eine Jüdin war und der oft Stellung für die Juden bezog, die Ehrendoktorwürde. Der Professor, der dies verkündete, trat in SS-Uniform auf. Viele Jahre später bat dieselbe Bonner Universität Thomas Mann um Entschuldigung, würdigte ihn erneut. Er ließ es Geschehen. Im Bonner Stadtgebiet hat der Künstler Günter Demnig rund 350 Stolpersteine verlegt, das sagt auch viel über die Judenverfolgung am Rhein aus.
Mahnende Worte des Bundespräsidenten
Gerade hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 9. November anlässlich des Gedenkens an die Reichspogromnacht 1938, als Hunderte von Synagogen im Reich auf Veranlassung von Goebbels und Hitler in Brand gesetzt wurden, mahnende Worte an die Deutschen gerichtet. Nachdenken über Deutschland, so ähnlich seine Botschaft. Nicht vergessen, was war. Weil der Antisemitismus leider auch im Land der Täter nicht tot ist. Und dieser Antisemitismus die Demokratie bedrohen, gefährden kann. Dass er längst einen politischen Sitz in deutschen Parlamenten wie auch im Europa-Parlament hat, ist Alarmzeichen genug. Demokratie, hat der Präsident an anderer Stelle mehrfach gemahnt und gefordert, braucht Demokraten, die sie verteidigten Auch im Bonner Gebiet zündeten die Nazis damals fünf Synagogen in Brand.
Margaret Traub war fünf Jahre alt, als ihre Mutter ihr die Geschichte vom Holocaust erzählte, davon, wie Nazis Juden verfolgten, weil sie Juden waren. Sie hat geweint, als sie diese Geschichten hörte, begriffen hat sie sie bis heute nicht. „Ich habe nichts gegen Christen, gegen Moslems,“ sagt sie. Jeder möge glauben, was er mag. „Rassismus- und Antisemitismus ist Rassismus- ist ja nicht angeboren, er ist eine Folge der falschen Erziehung, weil Menschen ihre Kinder zum Hass statt zur Liebe, zur Versöhnung erziehen.“ Zum Glück trifft das nicht auf alle Moslems zu. „Ich habe Freunde, die Moslems sind.“ Das kann doch eigentlich kein Problem sein, mag der eine oder andere denken. Aber man darf sich nicht täuschen, muss wachsam sein. „Es ist gut, dass die Polizei auf uns aufpasst“, betont Frau Traub. Und hat Recht. Margaret Traub rät ihren jüdischen Freunden, auch ihrem Sohn dazu, öffentlich keine Kippa zu tragen, weil dieses öffentliche Bekenntnis eben Antisemiten auf den Plan riefe. Wie damals in Berlin geschehen. Oder vor Jahr und Tag in Bonn, als ein israelischer Professor überfallen wurde und die dazu eilende Polizei diesen Professor irrtümlich für den Täter gehalten, diesen überwältigt hatte und einer der Polizisten hatte dem Wissenschaftler aus den USA ins Gesicht geschlagen.
Proteste folgten, 600 Bonner demonstrierten gegen Antisemitismus. Mit dem „Tag der Kippa“ stellten sich Bonner hinter jüdische Mitbürger. Der damalige OB Sridharan zeigte sich „beschämt“ über das Geschehen. Die in Bonn ansässigen UN-Behörden reagierten: „Das hier zu sehen bestätigt uns als UN, dass wir hier goldrichtig sind.“ Bonn sei eine Stadt, die nicht schweige. Margaret Traub warnte damals: „Eine Demokratie, in der Juden diffamiert werden, schwächelt in ihren Grundwerten.“ Die Jagd auf Juden sei nur der Anfang, andere Minderheiten würden folgen. Und: „Judenfeindlichkeit ist bei uns in Deutschland oft in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Jüdische Kinder würden in der Schule gemobbt.
Übergriffe haben zugenommen
Aber es gibt natürlich auch dies, wenn sich die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit mit der neuen OB Katja Dörner und Margaret Traub vor dem Bonner Rathaus versammeln und Kerzen am Chanukka-Leuchter angezündet werden als Zeichen der Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Bonn. Jüdisches Leben ist seit 1700 Jahren Teil des Lebens in Deutschland, die ersten Wurzeln wurden einst in Köln gelegt. Und es ist beschämend, wenn auch 76 Jahre nach dem Ende der braunen Diktatur es immer noch gefährlich ist, sich als jüdisch erkennen zu lassen. Vorurteile müssen abgebaut, Gemeinsamkeiten der Religionen herausgearbeitet werden. Viele wissen gar nicht, was jüdisch bedeutet, viele kennen keinen Juden, keine jüdischen Bräuche. Gerade in den Schulen gibt es einiges dazu zu lernen. Dazu tragen auch Ausstellungen wie „Juden in Deutschland haben wieder Angst“ bei. Weil Übergriffe auf Juden um 80 Prozent zugenommen haben und jeder vierte Deutsche antisemitische Gedanken in sich trage. Darauf hat der frühere Bonner OB hingewiesen. Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle beschäftigten sich 40 Prozent der in Deutschland lebenden Juden mit dem Gedanken auszuwandern. In Bonn leben rund 1000 Menschen jüdischen Glaubens. Gut, dass es so ist, schön, dass sie hier sind. In Deutschland sind es 100000 Juden, in der ganzen Welt 13 Millionen. Von insgesamt 8 Milliarden Menschen.
Juden in Deutschland, das ist doch völlig normal. Meint man. Der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignaz Bubis, antwortete gelegentlich auf die Frage nach seiner Staatsangehörigkeit; „Ich bin Deutscher jüdischen Glaubens.“ So Recht er hat, so weit sind wir leider von einer Normalität entfernt. Margaret Traub, die in Bonn lebt wie viele andere Tausende auch, sich hier wohl fühlt, Freunde hat, will die Hoffnung nicht aufgeben, dass eines Tages die Juden fest zu unserer Gesellschaft dazu gehören. Das wäre schön, aber der Weg dahin ist noch weit.
Bildquelle: Stolpersteine, Josef ‚Jupp‘ Schugt (aka ‚Penpen‘) – Eigenes Werk