Vor einem halben Jahr fiel im Europaparlament der Startschuss für die „Konferenz zur Zukunft Europas“. Mit Streichquartett, Europahymne, virtuellen Gästen aus der gesamten EU und wichtigen Erklärungen. Im Gegensatz zu ähnlichen Vorhaben früherer Jahre sollten sich diesmal die Unionsbürger direkt am Meinungsbildungsprozess beteiligen und ihre Vorstellungen zur Zukunft der EU einbringen. Doch eine echte Beteiligung ist bisher kaum zustande gekommen, das Zwischenergebnis ist äußerst mager: Bis jetzt sind gerade mal ca.
9 200 Ideen und 15 600 Kommentare registriert worden. Bei Veranstaltungen, die in analoger oder digitaler Form zum Thema EU-Zukunft stattfanden, sollen knapp
130 000 Menschen teilgenommen haben. Bei 450 Millionen Unionsbürgern kann angesichts solcher Zahlen niemand von einer aktiven Mitwirkung sprechen. Das bemängeln auch die Bundestagsabgeordneten Gunther Krichbaum (CDU) und Axel Schäfer (SPD), beide Mitglieder im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union und Abgesandte des Bundestages in der Plenarversammlung der Zukunftskonferenz. Bei vielen Bürger und Politikern sei noch gar nicht angekommen, dass diese europaweite Debatte begonnen habe.
Das kann kaum verwundern, wenn man glaubt, für dieses Projekt genügt ein blau gefärbter Internetauftritt, der mehr oder weniger aus einem Leitfaden zur Organisation von Veranstaltungen und ein paar wohlfeilen Tipps besteht. Es fehlt offensichtlich an einer schlüssigen Kampagnen-Strategie, die alle Europaakteure einbezieht. Die Europa-Schulen, EU-Vertretungen, die Mitgliedsverbände der Europäischen Bewegung, die Europa-Union, die Europaministerien der Länder und vor allem die Europaabgeordneten. So prall gefüllt ist deren Terminkalender nicht, dass sie keine Zeit finden, in sitzungsfreien Wochen eigene Konferenzen zur Zukunft Europas abzuhalten. Stellen wir uns vor: 96 deutsche Europaabgeordnete organisieren jeweils zehn Konferenzen in ihren Wahlbezirken mit entsprechendem Pressecho. Dann wäre die Zukunft Europas schon bald wichtiger Gesprächsstoff.
Selbst das Europaministerium von Nordrhein-Westfalen hat offensichtlich von dieser Zukunftskonferenz noch nicht hinreichend Notiz genommen, ein Hinweis auf der Homepage, ein hörbarer Aufruf des Ministers? Bislang Fehlanzeige.
Dabei wäre es dringend erforderlich, zu erfahren, wo die Bürger Reformbedarf in der EU sehen, welche Veränderungen sie wünschen. Die Einführung von Mehrheitsentscheidungen, der Streit um EU-Recht mit Polen oder der Aufbau einer europäischen Armee, alles Fragen, die dringend beantwortet werden müssen und zu denen ein belastbares Meinungsbild der Unionsbürger hilfreich wäre. In erster Linie sollte uns die Jugend sagen, in welchem Europa sie in 20 Jahre leben möchte. Inzwischen gibt es erste Signale, die Dauer der Zukunftskonferenz um ein Jahr zu verlängern. Wenn Brüssel ernsthaftes Interesse an repräsentativen Ergebnissen hat, muss es Geld in die Hand nehmen und diese Debatten-Projekte fördern. Was nützen starke Appelle, wenn man sich danach einen schlanken Fuß macht. Statt die Zukunftskonferenz mit einem guten Ergebnis abzuschließen, ruft die Kommission für 2022 ein „Jahr der Jugend“ aus. Mit ständig neuen Aktionen dieser Art produziert die EU viel heiße Luft, Europa dringt aber so nicht in die Tiefe.
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