Aus Anlass der Rücktrittsankündigung Norbert Walter-Borjans sei hier an sein Selbstprotrait erinnert. Das hat er 2018 im Verlag Kiepenheuer&Witsch, Köln publiziert, unter dem Titel „Steuern – der große Bluff.“ Die Boulevard-Presse in Deutschland hatte ihn einst zum „Robin Hood der Steuergerechtigkeit“ erklärt. In seinem Buch über das ungeliebte Thema Steuern und – vor allem – über die Steuergerechtigkeit hat der ehemalige SPD-Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen erklärt, wie es wirklich war.
Walter-Borjans, wiewohl Sozialdemokrat, schildert in seinem Buch, dass er zu seinem Handeln in Sachen Steuergerechtigkeit gekommen ist wie die Jungfrau zum Kinde. Anlass war eine hoch umstrittene Aktion des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung in Wuppertal. Als Walter-Borjans im Sommer 2010 ins Amt kam, fand er den Vorgang „Kauf einer dritten CD“, diesmal mit Daten der Credit Suisse, auf seinem Schreibtisch vor, bereits mit einem Vermerk der Eilbedürftigkeit aus Berlin. Treiber für den Ankauf von umfangreichen Datenbasen aus den Beständen von Banken war die CDU-geführte Bundesebene, allen voran Wolfgang Schäuble – die erste CD kaufte der deutsche Auslandsgeheimdienst BND, die zweite die damals CDU-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen.
Die Schwarzgeldphase im deutsch-schweizer Verhältnis, als Sitte über Jahrzehnte gepflegt, hatte bis 2010 zu Schwarzgeldbeständen deutscher Steuerpflichtiger in der Schweiz von rund 230 Milliarden Schweizer Franken (180 Milliarden Euro) geführt – so grobe Schätzungen. Deutschland sind somit Milliarden an Steuereinnahmen entgangen. Die damals anstehende Herausforderung war: dieses Geld nachzuversteuern und die Schwarzgeldbesitzer zu entkriminalisieren.
Dafür standen zwei Optionen zur Wahl:
Entweder Aufrechterhalten der Intransparenz zwischen der Schweiz und dem deutschen Fiskus – und eine pauschale Ausgleichszahlung nach Deutschland, über deren Angemessenheit so nur die Schweizer Seite befinden kann. In dem Entwurf eines „Schlussstrich“-Abkommens mit der Schweiz hatte man sich lediglich auf eine Formel zur Bestimmung der Höhe einer Abschlagszahlung verständigt – vgl. das Titelbild. Auf dieser Basis setzten die Eidgenossen die ihnen bekannten Daten ein und boten 2 Milliarden Euro an.
Oder Transparenz – und je individuelle Entkriminalisierung in Deutschland durch das Institut der steuerlichen Selbstanzeige. Walter-Borjans sagt, dass über dieses Institut schließlich „fast 7 Milliarden für die Allgemeinheit zurückerkämpft“ worden seien.
Der damalige Finanzminister Schäuble entschied sich auf Bundesebene für die erste Option. Zudem vereinbarte er mit der Schweiz im März 2010 geheime Verhandlungen – obwohl klar war, dass für einen Erfolg der Bundesrat zustimmen musste. Da aber hatten die SPD-geführten Länder die Mehrheit. Das Abkommen scheiterte daher letztlich.
Lesenswert ist Walter-Borjans Buch nicht nur, weil es diese Ereignisse und die verschiedenen Motivlagen noch einmal in Erinnerung ruft. Es liefert zudem genaue Erkenntnisse über raffinierte Kniffe der Steuerbetrüger, Schlupflöcher und Steueroasen. Schließlich analysiert der Autor die sozialdemokratische Politik in Deutschland im Gefolge der Finanzkrise. Ein Fokus ist das Jahr 2013. Da stand die Bundestagswahl an, in der die SPD mit dem Finanz- und Steuerexperten Peer Steinbrück antrat. Die Erwartung war, dass wie nach 1929 links gewählt würde – und mit dem Thema Steuergerechtigkeit (im Sinne von Aufkommensgerechtigkeit) zu punkten sei. Deswegen die Entscheidung der SPD-Spitze gegen das elitenverträglichere Konzept Schäubles. Die „Braunschweiger Erklärung für mehr Steuergerechtigkeit“ vom 14. Januar 2013 sowie der „8-Punkte-Plan gegen schweren Steuerbetrug und Steueroptimierung“, vom 8. April 2013 waren Meilensteine für das Konzept einer Politik der steuerlichen Aufkommensgerechtigkeit. Doch nach der Wahlniederlage im Herbst 2013 ließ die Sozialdemokratie das Thema wieder in der Versenkung verschwinden. Dagegen schrieb Walter-Borjans in seinem Buch engagiert an. Er wollte dieses Thema zu Recht wieder auf die Agenda der SPD setzen und es nicht den rechten Populisten überlassen.