Vom Kanzlermacher zum Alterspräsidenten. Nicht unbedingt eine strahlende Karriere, zumal für den dienstältesten und sicher einen der erfolgreichsten CDU-Politiker, den amtierenden Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble(79). Er verteidigte zwar seinen Wahlkreis Offenburg unter hohen Verlusten, aber das Amt des Parlamentspräsidenten- im Protokoll immerhin Platz 2 hinter dem Bundespräsidenten und noch vor dem Kanzler-ist er los. Weil sein Kanzlerkandidat Armin Laschet die Wahl vergeigt hat und die CDU/CSU nur noch auf Platz 2 rangiert.
Alle Welt, könnte man sagen, kennt das geflügelte Wort von Wolfgang Schäuble(CDU), das er mal dem griechischen Finanzminister Varoufakis hinwarf: Isch over. Eine Mischung aus badisch und englisch, um klarzumachen, dass nichts mehr geht, alles vorbei ist.Damals ging es um Geld. Vor drei Tagen beendete der ARD-Kommentator seinen Beitrag zum taumelnden Armin Laschet mit den Worten: Isch over. Und wenn man überlegt, wer dem gescheiterten Kanzlerkandidaten diese Nachricht überbringen könnte, fällt mir nur Schäuble ein. Der hatte vor Monaten mit seiner Autorität den CDU-Chef und NRW-Ministerpräsidenten Laschet gegen den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef durchgesetzt. Sehr zum Ärger von Markus Söder, der danach in einem Interview auf eine entsprechende Frage, wer denn der härteste Gegner gewesen sei im politischen Ringkampf um die Nummer 1 in der Union, nüchtern bekannte: Schäuble.
Das Weitere ist bekannt, die CDU büßte die Führung als stärkste Fraktion ein mit der Folge, dass auch Wolfgang Schäuble sein Amt verliert, das des Bundestagspräsidenten. Damit bleibt dem Mann mit den meisten Dienstjahren im Bundestag, dem er seit 1972 angehört, nur noch ein letztes Amt, das des Alterspräsidenten, ein Amt für einen Tag, für eine Rede zu Beginn der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages. Wenig für einen wie ihn, oder? Der einst beinahe Kanzler geworden wäre, der Bundespräsident hätte werden können. Aber hätte, hätte Fahrradkette ist nichts für einen Realisten wie Schäuble, der zwar stets vor Ehrgeiz brannte, der aber kein Träumer ist.
Mit einer scharfen Zunge
Wolfgang Schäuble ist ein Mensch, der wie kaum ein anderer Höhen und Tiefen, Siege und Niederlagen erlebt hat. Er ist keiner, der Mitleid für sich beansprucht, sondern er ist eher als ein harter, ja unbequemer Zeitgenosse bekannt, der in der politischen Auseinandersetzung den Gegner nicht schonte. Er war gefürchtet ob seiner scharfen Zunge, die Sozialdemokraten wissen davon ein Lied zu singen. Hans-Jochen Vogel, der langjährige Fraktions- und Parteichef der SPD, empörte sich mal über Schäuble: er sei ja noch schlimmer geworden als früher- gemeint vor dem Attentat im Oktober 1990, als er von einem Irren mit einer Pistole in den Rücken geschossen wurde. Die Folge: Querschnittslähmung. Die Ärzte kämpften lange um sein Leben. Übrigens hat sich Vogel bei ihm entschuldigt.
Jahre später, 1997, wird Schäuble, weil nun mal die Kohl-Jahre ihrem Ende entgegen gehen und mit Gerhard Schröder ein jüngerer Sozialdemokrat an die Tür des Kanzleramtes klopft, als möglicher Nachfolger gehandelt. Der „Stern“ macht ein Interview mit Schäuble. Der die Leser schockierende Titel: „Ein Krüppel als Kanzler? Ja, die Frage muss man stellen.“ So der Originalton des Mannes, der seit 1990 im Rollstuhl sitzt und ungeachtet der vielen Behinderungen, weil er gefesselt ist, einfach weiter Politik macht. Und trotz des Rollstuhls für fähig gehalten wird, das wichtigste und schwerste Amt, das die Republik zu vergeben hat, auszuüben. Ein paar Wochen nach dem Interview bin ich mit Wolfgang Schäuble in Essen verabredet zum Interview für die WAZ. Ich frage ihn nach dem Titel, ob das sein Titel gewesen sei, von ihm autorisiert? Ein Krüppel als Kanzler? Brutal, wie ich fand. „Ja natürlich“, antwortet er schnell. Um Sekunden später zu ergänzen: „Sie stellen eine solche Frage nicht. Die können nur wir Behinderte stellen.“
Selbstbewusst, dieser Mann, offen, hart zu sich selbst. Aber auch gegenüber Journalisten konnte er austeilen und gegenüber seinen Mitarbeitern war er nicht immer zimperlich. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem seiner Leute, als Schäuble Innenminister war. „Sie glauben gar nicht, welche Kälte und Härte er im Ministerium verbreitet.“ Jahre später in Berlin lässt er mal seinen Pressechef öffentlich schlecht aussehen.Aber so ist der Mann, der gegenüber der FAZ auch mal seine Lage schilderte, weil er beim Verlassen des Aufzugs mit dem Rollstuhl umgekippt war und dann am Boden lag wie ein „Maikäfer“. So Schäuble wörtlich, das ist nicht von mir. Und er beschrieb dem FAZ-Kollegen auch, wie knapp er beim Alttentat einer fast völligen Lähmung gerade noch entkommen sei. Wenige Millimeter höher und die Arme wären betroffen gewesen. So Schäuble. Es läuft mir beim Nachlesen solcher Texte kalt den Rücken runter.
Vieles erlebt und erlitten
Ja, der Mann hat vieles erlebt und erlitten. Bei 14 Bundestagswahlen ist er angetreten, in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es niemanden, der länger Abgeordneter war. Er hat die Kanzler der SPD Willy Brandt und Helmut Schmidt erlebt, das Misstrauensvotum der Union gegen Schmidt und den Erfolg von Helmut Kohl, dessen enger Mitarbeiter er wurde. Geschäftsführer der Fraktion, Kanzleramtsminister, Innenminister, Finanzminister, CDU-Chef, Vorsitzender der Unions-Fraktion, er hat den Einheits-Vertrag mit ausgehandelt und mit unterzeichnet, war in die Spendenaffäre verwickelt, hat die Entscheidung Bonn oder Berlin mit einer glänzenden Rede mit entschieden, wurde von Kohl daran gehindert, dessen Nachfolger als Kanzler zu werden. Und wer weiß, ob er nicht Bundespräsident geworden wäre, hätte nicht die FDP mit Guido Westerwelle dagegen plädiert(so wurde damals kolportiert) und dann wurde es Horst Köhler. Eine Karriere, deren Stationen ich nur kurz antippen will, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und schon gar nicht auf die zeitliche Abfolge. Ich will nur aufzeigen, dass dieser Mann, den ich ohne Rollstuhl erlebt hatte, dynamisch, sportlich, zum Beispiel beim Tennisspiel mit dem FDP-Politiker Klaus Kinkel, und der später im Rollstuhl nie den Anschein von Müdigkeit erweckte, sondern eher stets auf Temperatur war.
Kein Thema, das ihm fremd war und zu dem er sich nicht kompetent hätte äußern können und dies auch tat. Was nicht heißt, dass er immer Recht behalten hat, man denke an den USA-Irak-Krieg, wo er wie Angela Merkel sofort die amerikanische Karte spielte gegen den SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der Nein gesagt hatte zum Einmarsch der Amerikaner. Und später zeigte sich, wie verlogen Washington gehandelt hatte, es gab keine Massenvernichtungswaffen in den Händen von Saddam Hussein.Mit Merkel, die sich während seiner mehrfachen Krankenhausaufenthalte um ihn gekümmert habe wie auch um seine Familie, habe er sich gut verstanden. Hörte man damals. Und er hat wohl auch verschmerzt, dass sie ihn aus dem CDU-Spitzenamt drängte wegen der Spendenaffäre. Dagegen habe er sich mit Kohl überworfen, weil der nur an seine eigene Karriere dachte. Es gibt da mehrere Lesarten.
Politik aus Leidenschaft oder später im Rollstuhl als Therapie, weil er gar nicht anders konnte, wie auch immer. Der Mann hatte stets seine Anhänger und seine Gegner, dafür sorgte er oft selber, weil er nicht unbedingt als der Erfinder der Diplomatie gilt. Andererseits gibt es einen Schäuble, wie Schüler eines Gymnasiums in Bruchsal ihn erlebten, der den angehenden Primanern unverblümte Wahrheiten sagte, wie man das im Parlament sonst nicht gehört hatte. So bekannte er -wie ich der Badischen Zeitung entnahm: „Wer politisch handelt, macht sich immer auch schuldig.“ Oder: „Was wir machen, ist unglaublich skandalös. Wir haben die Demut verloren.“ Im Grunde ein Bekenntnis
zu unseren Fehlern im Umgang mit der bedrohten Umwelt. Oder: „Die Erde gehört nicht nur den Jungen, sie gehört genauso den Alten. Jeder trägt Verantwortung.“ Oder: „Wer Angst hat vor der Verantwortung, darf nicht geboren werden.“ Oder: „Der Mensch ist zum Guten berufen und doch der Sünde verfallen.“ Und ein letztes Zitat, was auf ihn persönlich gemünzt sein könnte: „Es kann sich von einem Tag auf den anderen alles ändern.“
Grüne verdrängen Schwarze
Womit wir beim Anfang der Geschichte sind, beim miserablen Wahlergebnis der Union, von dem Schäuble selber betroffen ist. In seinem Wahlkreis Offenburg erhielt Schäuble nur noch mäßige 34,9 vh der Erststimmen. Damit verteidigte er zwar den Wahlkreis, was aber im Ergebnis durchaus einer Demütigung für Schäuble gleichkommt. Man vergleiche nur seine früheren Werte: 2017 erhielt er noch 48,1 vh der Erststimmen, vier Jahre vorher gar 56 vh der Erststimmen. Die Welt hat sich auch in Baden-Württemberg verändert, wo die CDU einst 57 Jahre regierte und den Ministerpräsidenten stellte. Aber irgendwann war „over“, verdrängten die Grünen mit Kretschmann die Schwarzen aus der baden-württembergischen Staatskanzlei. Zuletzt haben die Umweltfreunde die Mehrheit im Ländle geholt, die CDU rutschte auf Platz 2. Und jetzt die Bundestagswahl, die CDU büßte 9,6 vh der Stimmen ein und holte nur noch 24,6 vh der Zweit-Stimmen in einem Bundesland, von dem die CDU früher gemeint hatte, es gehörte ihr allein.
Damit liegt man im Grunde im deutschen Durchschnitt. Und auch einer wie Schäuble blieb davon nicht verschont. Isch over, auch für einen wie ihn? Weil er eine Legislaturperiode zuviel kandidierte, wie einst Kohl? Die Grünen und auch Teile der Union hat er mit seiner Erklärung zu dem umstrittenen Rechtsaußen in der Union, Maaßen, sehr verärgert. Maaßen, so Schäuble, „ist unbestreitbar Demokrat“. Das sahen die Wählerinnen und Wähler in Thüringen anders und zogen den SPD-Kandidaten, den früheren Spitzen-Biathleten Ullrich dem einstigen obersten Verfassungsschützer vor. Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner schimpfte, Schäuble werde mit seiner Aussage zu Maaßen „seiner Verantwortgung als Bundestagspräsident in keiner Weise gerecht.“ Das muss er nun auch nicht mehr, der Wähler hat hier gegen Schäuble entschieden.
Er wird sie verkraften, die Niederlage. Hatte er doch vor Monaten schon die Anhänger seiner Partei darauf eingestimmt, als hätte er es geahnt. Der Wechsel gehöre nun mal zur Demokratie, sagte er in einem Interview mit dem „Spiegel“. Wörtlich betonte der CDU-Politiker: „Übrigens ist 1969, als Kiesinger für Brandt gehen musste, die Welt nicht untergegangen und 1998, als Kohl Schröder unterlag, auch nicht.“
Bildquelle: Kuebi = Armin Kübelbeck, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons