Der Film „Die Unbeugsamen“ ist ein schönes Denkmal für die Bonner Republik, bemerkenswert, unbedingt sehenswert. Ein Lehrstück in Geschichte für Enkelinnen und Enkel, bewegend und zu Herzen gehend. Besonders gerührt und berührt haben mich die großen Reden von Waltraud Schoppe und Christa Nickels, ebenso wie die Passagen über Petra Kelly und Hannelore Kohl.
Gerade die Zusammenstellung dieses Epos beeindruckt, so die treffende, einfühlsame Fairness gegenüber Hannelore Kohl, die ich – in meiner Zeit als Wissenschaftsministerin – traf, wenn sie sich für Mukovizidose-Patienten einsetzte. Oder Petra Kelly, bei der ich immer an den Sturz des Ikarus denken muss.
Bei der fabelhaften Jungfernrede (oder sollte man besser – angesichts der feixenden Männlichkeit um sie herum – Entjungferungsrede sagen?) von Waltraud Schoppe denkt man: Ein Glück, die Zeit ist vorbei! Aber trifft das wirklich zu? Vielleicht im Plenum des Bundestags und im Licht der Fernsehkameras.
Aber vor einiger Zeit – vor Corona – fuhr ich im ICE am Freitag von Berlin nach Köln im Großraumwagen; nah bei mir saß eine laut und heiter Bier trinkende ältere Herrenschar, offensichtlich MdBs aus der Provinz, die sich über ihre „Büromäuschen“ ausließen, beklemmend! Wenn auch nur informelles Stammtischgeschwätz, nicht für die Öffentlichkeit meiner Ohren bestimmt! Ich fragte mich: Gibt es im Parlament eigentlich Betriebsräte, Ombudsleute, sollten diese Herren tatsächlich übergriffig werden? Ich wechselte den Platz.
Allerdings: Mit welchen hässlichen – auch sexistischen – Invektiven wird Angela Merkel öffentlich und im Netz bedacht? Spätestens nach solchen Erlebnissen wird einem vor Augen geführt, wie viel noch zu tun ist, zumal gerade der Erfolg der Kanzlerin auch massiven Gegendruck erzeugt hat. Auch das zeigt uns der Film: Der Fortschritt muss immer wieder neu erkämpft werden.
Misogynie, Homophobie, Xenophobie, die hässlichen Schwestern sitzen jetzt sogar mit einer Partei im Parlament, wie am vergangenen Mittwoch wieder in einer Rede von Herrn Gauland, im Bundestag zu hören war, voll giftiger Verachtung über die Frauen Afghanistans. So etwas kann im Deutschen Bundestag inzwischen wieder ohne Ordnungsruf gesagt werden: „Wie viele afghanische Frauen in höchsten Ämtern oder Mädchen in Schulen wiegen eigentlich einen deutschen toten Soldaten auf?“
Besonders gefällt mir, wie schön der Film über die mutigen Frauen der Bonner Republik eingerahmt wird: Einleitend sehen Sie Herbert von Karajan: Er herrscht dirigierend über sein Männerorchester; wie Zinnsoldaten folgen sie ihm. In der Schlusssequenz sehen Sie Mirga Grazinyté-Tyla, den Namen muss ich noch üben. Lebhaft und sensibel dirigiert sie die Leonoren-Overtüre, vor 20 Jahren noch undenkbar für eine Frau. Und sie ist längst nicht mehr die Einzige ihrer Zunft auf den Podien der Konzertsäle. Gerade jungen Menschen möchte ich zurufen: Genießt die Zeit, in der Frau tun darf, was sie will und kann, auch was Männern früher vorbehalten war! Von der Musik bis zum Sport.
Das ist Zukunft und zumindest in Deutschland hoffentlich nicht mehr zurückzuholen. Aber haben wir nicht umso mehr eine Verpflichtung den Frauen in Afghanistan gegenüber, die wir ermutigt haben, für Mädchenbildung und Frauenrechte einzutreten? Es ist mehr als beschämend, dass sie dem Chaos ausgeliefert sind – ohne Hilfe!
Weniger deutlich wird im Film, dass Plattform und Voraussetzung für die Auftritte der Unbeugsamen im Bundestag eine funktionierende Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat sind.
Ohne die Revolution von 1918 gäbe es das aktive und passive Wahlrecht für Frauen nicht, hätte Marie Juchacz am 19.2.1919 in der Weimarer Nationalversammlung nicht das Wort ergreifen können. Ohne Elisabeth Selbert – neben den „Vätern“ eine der selten genannten „Mütter“ des Grundgesetzes – gäbe es den Artikel 3 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht.
Ohne die hart erstrittenen Reformen der sozial-liberalen Koalition im Bonn der frühen 70er Jahre zum Ehe- und Familienrecht und zum §218 wäre vieles, was wir heute selbstverständlich finden, nicht möglich.
Wenn man z. B. in unser Nachbarland Polen schaut oder nach Ungarn, dann sieht man, wie wichtig es ist, das Erreichte zu verteidigen, um Mehrheiten zu kämpfen, um die notwendigen weiteren Schritte nach vorn zu tun.
Seit 1970 habe ich die – damals – „Bonner Republik“ als Politikerin begleitet. Als ich 1970 zum ersten Mal in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt wurde, war ich eine von drei Frauen in einer 95-köpfigen SPD-Fraktion und die jüngste Abgeordnete bundesweit, eine eigenartige Situation, ein unerwarteter Zufall, für die es noch kein mediales Narrativ gab. Man lief sozusagen unter dem Horizont der Begrifflichkeit der Hauptstadtpresse, bestenfalls als „Fräulein-Wunder“, „Jung schön und erfolgreich“.
Aber es war eine Chance zu gestalten, z. B. ein Kindergartengesetz mit Bildungsauftrag und Beitragsfreiheit durchzusetzen und damit über die Dörfer zu reisen und junge Eltern zu ermutigen. Oder ich stritt auf Podien und Parteitagen für die Reform des §218, was mir bei viel „schwarzem“ Gegenwind häufig den Schlaf raubte. Nie werde ich ein Podium bei der Ärztekammer Westfalen in Hagen vergessen, das ich zusammen mit Liselotte Funcke bestritt: Da belehrte uns ein Ärztepräsident, dass die Frauen „verlernt“ hätten, „das Maß zumutbaren Leides“ zu ertragen. Unverhohlen beanspruchte er für sich die vollständige und unbedingte Macht über den weiblichen Körper. Ich wäre fast vor Schreck vom Podium gefallen. Heute ist dieser Mann wohl im Jenseits; und sein Arzt-Enkel spricht anders und denkt anders, hoffentlich.
Mit vielen SPD-Frauen war ich übrigens zunächst gegen die Quote, die Willy Brandt uns 1976 vorschlug; denn wir wollten die Teilhabe nicht geschenkt bekommen, sondern selbst erstreiten. Später musste ich einsehen, dass die Quote helfen kann, eine neue politische Kultur, man könnte auch sagen eine Selbstverständlichkeit zu ermöglichen. Es ist besser, wenn Frau nicht nur als Einzelkämpferin auf die männliche Bühne tritt, sondern wenn mehrere Frauen eine bunteres Bild schaffen. Auch hilft die Quote, weil „Frau“ eher noch nachdenkt, während „Mann“ meist sofort den Finger hebt, wenn es um Führungspositionen geht.
Später, als Wissenschaftsministerin konnte ich auch für Frauen einiges bewegen, z. B. zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlerinnen das Netzwerk Frauenforschung etablieren, dessen Startpunkt 1986 die Besetzung der Professur für historische Frauenforschung mit Annette Kuhn war, an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Da es gerade an Hochschulen an weiblichen Vorbildern, Rollenmodellen und Förderung fehlte, habe ich die Lise-Meitner-Stipendien eingerichtet, damals gegen die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Heute ist das etwas besser, aber längst nicht befriedigend.
Um gestalten zu können, muss man in der Demokratie Mehrheiten in Parlamenten und in der Gesellschaft gewinnen. Das gilt gerade auch für die Frauenbewegung: Sie muss sie die ganze Gesellschaft bewegen, wenn sie dauerhaft etwas erreichen will.
Der Film „Die Unbeugsamen“ bewegt und regt dazu an, weiter zu diskutieren und die Fackel weiter zu tragen. Sehen Sie selbst!
Zur Autorin: Anke Brunn, Ministerin a.D., war von 1985 bis 1998 nordrhein-westfälische Ministerin für Wissenschaft und Forschung in der von Johannes Rau geführten Landesregierung NRW. Sie gehörte von 1970 bis 1981 und von 1985 bis 2010 dem Landtag von NRW an. Sie war u.a. stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion. 1981 in der Amtszeit von Hans-Jochen Vogel als Regierender Bürgermeisters war sie in Berlin Senatorin für Jugend, Familie und Sport und gehörte bis 1983 dem dortigen Abgeordnetenhaus an. Von 1986 bis 1999 war sie im Parteivorstand der SPD.