Bis zum 26. September ist es noch lange hin. Der Kampf der Parteien um die Stimmen gleicht einem politischen Marathonlauf. In der Führungsposition gab es dabei in den letzten Wochen immer wieder einen Wechsel. Mal lagen die Grünen mit Annalena Baerbock vorn, mal die Union mit Armin Laschet und jetzt geradezu überraschend die SPD mit Olaf Scholz. Nun wird es auf den nächsten Kilometern darauf ankommen, welche Partei mit ihren Spitzenleuten die Reststrecke am besten bewältigen wird.
Union bei 21 %, SPD bei 23 %
Für die CDU und CSU gilt es, verlorenen Boden wiedergutzumachen und aufzuschließen, um im Endspurt die Konkurrenz zu überholen und es als Sieger über die Ziellinie zu schaffen. Lange Zeit litt die Union darunter, dass der CSU-Chef Markus Söder versuchte, dem CDU-Vorsitzenden verbale Knüppel zwischen die Beine zu schmeißen. Uneinigkeit zwischen den Schwesterparteien hat immer zu Verlusten und zum Verdruss bei den Unionswählern geführt. Nun, da die Union bei den aktuellen demoskopischen Befunden mit gerade noch 21 % hinter der SPD mit 23 % rangiert, scheinen die Christsozialen aus Bayern geradezu schockiert zu sein und begriffen zu haben, dass sie nicht gegen Laschet und die CDU, sondern mit ihnen gemeinsam im Unionsteam kämpfen müssen. Ob jetzt der stärkere Rückenwind aus den Reihen der CSU noch für den Endspurt der Union und ihres Spitzenläufers ausreichen wird, um das Tempo zu erhöhen und die Kampfkraft zu stärken, ist jedoch keineswegs sicher.
Schwaches CDU-Team
Armin Laschet ist ohne Zweifel ein guter Langstreckenläufer. Doch für einen erfolgreichen Wahlkämpfer wird ein exzellentes und erfahrenes Team gebraucht. Weder die Mannschaft um den CDU-Generalsekretär im Konrad-Adenauer-Haus noch die engsten Berater aus der NRW-Staatskanzlei haben zuvor in der „Bundesliga“ um den Bundeskanzler-Titel große Erfahrungen gesammelt und sich als Champions profiliert. Die TV-Spots und Plakate, die Aktionen mit Infos in den sozialen Medien sind eher bieder als zündend. Die großen begeisternden Ideen und Botschaften für eine echte Laschet-Kampagne, mit der die Konservativen Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren wären, fehlen bislang. Mitreißend ist nahezu nichts – nicht einmal für die traditionelle Wähler-Klientel, die ohnehin nicht ständig in die E-Mails im Internet schaut.
Es fehlen die glasklaren Botschaften, warum die Bürgerinnen und Bürger für die Union stimmen sollen. Von Digitalisierung, Klimaschutz, Modernisierung und ähnlichen Projekten reden auch die anderen Parteien in mehr oder weniger ähnlicher Weise. Unter dem Vorsitz von Angela Merkel hatte die CDU bereits weitgehend ihr Profil verloren. Die von Merkel favorisierte Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer brachte keine Besserung und warf überraschend schnell das Handtuch. 8
Armin Laschet konnte in seiner recht kurzen Zeit als CDU-Chef das Partei-Profil kaum schärfen; er war vielmehr mit dem Machtkampf um die Kanzlerkandidatur gegen Söder beschäftigt. Und aus der Parteizentrale der CDU gab es allzu wenig, um die CDU-Linie in der Öffentlichkeit unverkennbar, attraktiv und zukunftsorientiert zu definieren. Selbst von einem Blogger namens Rezo ließen sich Generalsekretär Ziemiak und seine Leute ins Bockshorn jagen. Auch die Granden aus der Union hielten sich mehr oder weniger bei der Unterstützung von Armin Laschet geradezu vornehm zurück. Nur Friedrich Merz und Carsten Linnemann waren hin und wieder in der Öffentlichkeit mit der Präsentation der Unionsziele in der Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik aufgetaucht.
Angela Merkel, die von der CDU so lange getragen und als Kanzlerin trotz mancher Flops in ihrer Regierungszeit unterstützt wurde, fiel in ihrem Engagement für Armin Laschet lange Zeit kaum auf, sondern fast ganz aus. Von ihrer nach wie vor hohen Popularität könnte der Kanzler-Kandidat der Union gewiss profitieren. Im Endspurt dieses Wahlkampfs wäre Merkels Einsatz gewiss nicht ohne positive Wirkung, um neue Kräfte zu mobilisieren.
Immerhin hat Merkel sich jüngst sehr deutlich von ihrem Vize Scholz distanziert: „Mit mir als Bundeskanzlerin würde es nie eine Koalition geben, an der die Linke beteiligt ist… So steht ein gewaltiger Unterschied für die Zukunft Deutschlands zwischen mir und ihm.“ Ob damit der SPD-Kandidat wirklich so stark unter Druck gerät und sich von der Möglichkeit, mit den Linken nach der Bundestagswahl eine Koalition einzugehen, deutlich distanziert, ist mehr als fraglich. Denn damit würde er sich vor allem gegen den linken Flügel seiner Partei mit Saskia Esken, Kevin Kühnert, Mathias Miersch und vielen anderen stellen. In aktuellen Umfragen gab es für ein 2 RG (SPD, Linke, Grüne) -Bündnis eine Zustimmung von 37 %, während 47 % der Befragten diese Formation als schlecht bezeichneten.
Schwache Laschet-Offensive
Man sollte das Triell in der RTL-Sendung nicht überbewerten. Die drei aus der Politik, die ins Kanzleramt streben, wurden nachher von ihren Claqueuren allesamt zu Siegern erklärt. Die Spontan-Umfrage von Forsa hat ohnehin nur einen sehr geringen Wert für die echte Beurteilung. Gewiss ging Armin Laschet hin und wieder in die Offensive, doch von Aggression konnte nun wahrlich nicht die Rede sein. Dabei hätte er durchaus viele Chancen gehabt, mit „facts and figures“ aufzuwarten und zu punkten. Dass bei TV-Auftritten die Gestik, Rhetorik, Mimik und Schlagfertigkeit für die Wirkung auf die Zuschauer die größte Rolle spielen, haben seine nicht gerade genialen Berater ohne große Fernseherfahrung mit Laschet offenbar nicht einmal trainiert.
Wenig Beinfreiheit für Olaf Scholz
Olaf Scholz merkelt mit Raute und Ruhe. Damit punktet er und die SPD. Allerdings haben seine Genossen ihn vor zwei Jahren nicht zum Parteivorsitzenden küren wollen. Vielmehr setzten sich Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans durch. Gemeinsam mit Kevin Kühnert bestimmen sie den SPD-Kurs, der eindeutig nach links geht. Olaf Scholz ist so gesehen das Trojanische Pferd, in dem sich seine linken SPD-Genossen verstecken. Seine Beinfreiheit ist außerordentlich begrenzt. Deshalb schließt er auch eine Koalition mit den Linken keineswegs aus, denn eine Mehrheitskoalition mit den Grünen und Linken unter Führung der SPD ist die Traumformation für Esken, Kühnert und viele andere Genossen. Diese Konstellation, die aktuell rund 50 % der Wählerstimmen erreichen könnte, liegt jedenfalls im Endspurt auf der Polit-Marathonstrecke vorn. Ob Armin Laschet mit seiner CDU und CSU auf den noch zu bewältigenden Metern den längeren Atem hat, mit Kompetenz überzeugen und eine größere Sympathie ausstrahlen kann, ist schwer zu beurteilen, aber nicht ausgeschlossen. Der so lange als langweilig empfundene Wahlkampf wird in diesen September-Tagen spannend wie ein Super-Finish kurz vor der Ziellinie des Einlaufs.
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