Den folgenden Beitrag veröffentlichte unsere Autorin Marianne Bäumler in der WDR-Reihe „Auf ein Wort“ im Mai 2005, also VOR Hurricane Katrina, der sich gerade zum 16. Mal jährt, und sich gerade im Moment wegen der fortschreitenden Erderhitzung wahrscheinlich auf das Schrecklichste wiederholen wird. Gerade meldet die ARD-Tagesschau: „Hurrikan „Ida“ hat in der Region um New Orleans offenbar schwere Schäden verursacht: Vielerorts brach die Stromversorgung zusammen“.
Und wer könnte nun auch bei nur halbwegs funktionierendem Verstand noch zweifeln: Nach der Überschwemmungs-Katastrophe im Juli in NRW und an der Ahr – es ist auch bei uns vorbei mit der Schimäre von Sicherheit.
„Auf ein Wort“ von Mai 2005:
Wie heftig diese Aprilschauer auch im Wonnemonat Mai doch sind. Da prasseln die Wassermengen vom hohen Himmel, schlagen die Tropfen lärmend gegen meine Doppelglasfenster, durch die ich die lindgrünen Bäume sich im Wind hin- und herbiegen sehe.
Wie schön das aussieht, von hier aus, ich sitze ja im Trockenen, ich kann davon ausgehen, dass die Wände dichthalten, ich habe ein schirmendes, solide gebautes Dach über dem Kopf. Der dollste Regen, er bleibt draußen, unglaublich, so sicher zu sein, angesichts elementarer Naturkräfte. Warm ist es auch hier drinnen, denn ein bisschen Heizung ist noch eingeschaltet, das geht ja mit dem Thermostat ohne weiteres. Und sollte mal ein Fenster undicht sein, ein bisschen bibbern, ab und zu frösteln, die Therme kaputt, zwar ärgerlich, zwar teuer, aber nicht weiter problematisch, der Schaden schnell behoben. Und so spüre ich echt dankbar und erleichtert, dass ich in der ersten und keineswegs in der Dritten Welt lebe, denn ich werde nicht nass, ich lebe geschützt, Tag für Tag in meinen vier Wänden. Und so komme ich ins Nachdenken. Ja, manchmal, wenn ich den ganzen Tag hektisch gearbeitet habe, vergesse ich zu essen, und habe dann gegen Abend eine richtig üble Leere im Bauch, mir ist schlecht, flau im Magen, der Blutdruck ziemlich im Keller. Blödes Gefühl, schlechte Laune, aber: zeitlich absehbar und behebbar. Mit diesem selten eindeutigen Hunger ins Schnellrestaurant, die Pizza auf die Hand, gieriges Kauen und Schlingen, dazu ein erfrischendes Kaltgetränk, und die Welt, meine Erste Welt, ist wieder in Ordnung. Ich kann wieder klar denken, habe Energie getankt, meine Grundbedürfnisse sind nicht bedroht. Und – naturgemäß – esse ich ansonsten allerhand frisches Obst und Gemüse, es steht mir zur freien Verfügung.
Wie selbstverständlich mir das scheint, mein Alltag. Das, was der Mensch, jeder Mensch am dringendsten braucht: Wasser, Wärme, und Nahrung, es ist in unseren Breiten gewährleistet. Schön, so sicher, schön und gut, ja, da können sich Menschen entfalten, das Mindeste zum Wohlfühlen, es ist gegeben. Und so – ich auf dem Trockenen in jeder Hinsicht – liegt es nahe, mir zumindest mal kurz ein paar einfühlende Gedanken in die Gefilde des restlichen Globus zu erlauben. Denn in diesem Rest – er ist allerdings der viel größere Teil von Mutter Erde – Ja, wir wollen es kaum wahrhaben, aber dort – in Afrika, in Asien, in Südamerika – finden weder Kinder, noch Alte, und auch die durchschnittlichen Erwachsenen wie Sie und ich – eben keineswegs dieses minimale Glück des sicheren Zuhauses, des sauberen Wassers, des nahrhaften Essens. Und das ist schon eine erstaunliche Verdrängungsleistung, die wir uns Tag für Tag so hinbiegen. Diese ungeheuerliche Tatsache der Gleichzeitigkeit, ganz real im Hier und Dort das Jetzt: Jetzt, während ich diese Gedanken aufschreibe, – ich habe gefrühstückt, das Duschwasser war angenehm temperiert, der Tee schmeckte auch heute vorzüglich, – jetzt frieren und hungern und dürsten so viele Menschen, und selbst die vielen Mangelernährten neben den Unterernährten – sie können nur ganz schlecht denken und lernen, und sich so auch kaum freuen ihres mühseligen Lebens. Ja, dummerweise ist das kein Horrorfilm, und Sie haben Recht, das hier ist kein Wort zum Sonntag….
Außerdem scheint doch schon wieder die Sonne…Also bitte… Merkwürdigerweise gibt es eine so genannte Zielgruppe auch in unseren Breiten, die überhaupt nicht abgestumpft auf solche kalten Tatsachen reagiert: Sprechen Sie mal mit Kindern über hungernde, frierende Kinder, und hören Sie denen mal zu, was denen so einfällt, wie wir da eventuell was ändern könnten.
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