„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“ So antwortete SED-Chef Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz am 15.Juni 1961 in Ostberlin auf eine entsprechende Frage eines Journalisten. Ulbricht wusste, dass seine Aussage gelogen war, denn die Vorbereitungen auf den Bau einer Mauer mitten durch Berlin liefen längst. Aber Lügen gehörten zum System der SED. Knapp zwei Monate später, in der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 begannen Volkspolizisten, Teile der Nationalen Volksarmee und Betriebskampfgruppen mit den Bauarbeiten. Zuerst trennte ein Stacheldraht Ost- von Westberlin, später folgte die Mauer teils mit Todesstreifen, Hunden, Minen, Wachtürmen gesichert. Ein Schießbefehl sorgte dafür, dass Menschen, die in die Sperrzone zwischen den beiden Teilen der Millionenstadt eindrangen, damit rechnen mussten, erschossen zu werden. 140 Todesopfer hat es entlang der Mauer gegeben, über 100 DDR-Flüchtlinge wurden beim Versuch, in den Westen zu fliehen, getötet.
Der „antifaschistische Schutzwall“ war ein Ungetüm, ein Monstrum, das allein dazu dienen sollte, der Massenflucht von DDR-Bürgern ein Ende zu setzen. Im Jahr 1960 hatte die DDR auf diese Weise rund 200000 Menschen verloren, ein Jahr später wuchs die Flüchtlingszahl derartig an, dass die sogenannte Deutsche Demokratische Republik auszubluten drohte. Allein im April des Jahres verließen rund 30000 Bürgerinnen und Bürger das „gelobte Land“, das doch eigentlich das bessere Deutschland sein wollte. Nur sahen das viele ihrer Bürgerinnen und Bürger anders. Landwirte, also selbständige Bauern hauten ab wegen der Kollektivierung der Landwirtschaft, Facharbeiter hatten genug vom Arbeiter- und Bauernstaat, Ärzte, Ingenieure und Menschen aus anderen qualifizierten Berufen hatten genug von kommunistischen oder sozialistischen Versprechen, die sich als Lügen erwiesen. Und es war ja leicht, in Berlin in den Westteil der Stadt zu wechseln. Man stieg in die S-Bahn und in wenigen Minuten war man ein freier Mann, eine freie Frau. So war das. Und deshalb bauten sie die Mauer. Ulbricht hatte die schon im März des Jahres auf einer Tagung des Warschauer Paktes gefordert. West-Berlin war ihm und der SED ein Dorn im Auge, die Verlockungen im Westteil der noch geteilten Stadt waren zu groß. Der sowjetische KP-Chef Chruschtschow organisierte auf einem Treffen der KP-Parteichefs des Warschauer Paktes Anfang August 1961 die Zustimmung der „Bruderländer“.
Der Krieg lag auf der Straße
60 Jahre ist das nun her. Damals befürchteten nicht wenige den Beginn eines neuen Krieges, den aber die Amerikaner nicht wollten. „Westberlin ist aufgewühlt“, schreibt Peter Merseburger in seiner Biografie über Willy Brandt,“ kocht vor Empörung, fühlt sich verraten und verkauft. In ohnmächtiger Wut, verzweifelt und entsetzt über diese Demonstration brutater Macht winken Verwandte und Freunde einander über die Absperrungen zu, die da vor ihren Augen hochgezogen werden und gegen die keine westliche Macht etwas unternimmt.“ Bundeskanzler Konrad Adenauer hielt sich zurück und in Bonn auf, es war zudem Wahlkampf, den er nutzte für seine persönlichen Angriffen auf den jungen Herausforderer aus Berlin-West, „Willy Brandt alias Frahm“. Originalton Adenauer. Brandt, schildert Merseburger, habe „einen Augenblick lang“ mit dem Gedanken gespielt, „die Sowjetzone zum Aufstand und das Volk von Berlin zum Sturm auf die Mauer aufzurufen“, aber er hielt sich zurück, weil das Risiko zu groß gewesen sei. „Der Krieg lag auf der Straße“, begründete Brandt später seine Haltung vor dem Landesparteitag der SPD in Berlin.
So war das damals. Und als ich als junger Student ein Jahr in Berlin studierte- an der Freien Universität, die Humboldt-Uni lag ja im Osten der Stadt- wohnte ich bei einer Berliner Familie in Dahlem zur Untermiete. Sie stammte ursprünglich vom Alexanderplatz, aber in den Kriegswirren und danach verschlug es sie nach Dahlem. Ihre Verwandten blieben am Alex. Kontakte gab es seit dem 13. August 1961 nicht mehr, der Osten war ja abgeriegelt wie ein Gefängnis. Zu Geburtstagen und besonderen Anlässen, Weihnachten zum Beispiel, bin ich dann -als Westdeutscher durfte ich das- als ihr Bote in den Osten gefahren. Über den Grenzübergang Friedrichstraße. Dort wurde ich gefragt und gefilzt, die Tüte mit den Westwaren wie Kaffee und Zigaretten wurde mir abgenommen. Ich musste mit leeren Händen zu den Verwandten und blickte in enttäuschte Gesichter, als sie mir die Tür öffneten. Als ich am Abend mit der S- und U-Bahn zurückfuhr, konnte ich die Wundertüte wieder in Empfang nehmen. Verwandte, Geschwister, sahen sich Jahre nicht mehr, Eltern sahen ihre Kinder, Großeltern ihre Enkel nicht mehr. Familien wurden durch die Mauer auseinandergerissen. Das ganze Leben von Generationen ging auf diese Weise buchstäblich in die Brüche. Man vergisst das allzuleicht, weil es die Mauer nicht mehr gibt seit dem 9. November 1989, als dieses Monster von den Bürgerinnen und Bürgern der DDR beseitigt wurde. Mit Kerzen gegen Gewehre. Es fiel kein Schuß. Dank des neuen Machthabers im Kreml, Michail Gorbatschow. Die sowjetischen Panzer und die in der DDR damals noch stationierten Rotarmisten blieben in ihren Kasernen.
SED- die Partei des Unrechts
Man vergisst allzuleicht jene Zeit, die nicht einfach war für die Menschen hinter der Mauer. Sie durften ihr Land nicht verlassen, reisen nur in sozialistische Bruderländer, es gab keine freie Presse, man denke nur an das“ Neue Deutschland“, das SED-Verlautbarungsorgan, langweiliger hätte ein Blatt nicht sein können. Die SED war die Allmacht-Partei, die sich sogeannnte Blockflöten in Form von Ost-CDU leistete, um den Anschein zu erwecken, es gebe auch andere Parteien. Die SED und die von ihr eingerichtete Stasi beherrschten das Land und ihre Bewohner, wer widersprach, musste mit mindestens Schikanen rechnen, viele wurden auch eingesperrt, abgehört. Ohne SED-Parteibuch gab es für die Kinder kein Gymnasium, kein Studium. Wir diskutieren gelegentlich über das System der DDR, über den Unrechtsstaat. Es war die SED, die alles in ihren Händen hielt und über Recht und Unrecht entschied. Der fast alles gehörte, merkwürdig der bis heute nicht geklärte Verbleib ihres milliardenschweren Vermögens. Aus der SED wurde die PDS, daraus die Linke, die im Osten mit Bodo Ramelow einen der ihren als Ministerpräsidenten stellt, wobei Ramelow aus dem Westen kommt. Im Westen der Republik hat die SED alias PDS alias Die Linke nie eine Rolle gespielt, im Osten dagegen hatte sie in den ersten Jahren nach der Wende erstaunlich viel Zulauf, was wohl damit zusammenhängen mag, dass noch im Oktober 1989 die SED rund 2,3 Millionen Mitglieder hatte, also auch über eine Organisation verfügte,die quasi in jedem Dorf der DDR vertreten war.
60 Jahre danach, das ist kein Grund der DDR nachzutrauern, zumindest nicht jenem sozialistischen Gebilde, in dem Walter Ulbricht und Ericht Honecker das Sagen hatten und ihre SED. Mit Demokratie hatte das nichts zu tun, auch wenn sie den Begriff fälschlicherweise in ihrem Namen führten. Auch die Bundesrepublik hatte und hat ihre Macken, Schwächen, Fehl-Entwicklungen, die zu korrigieren die Parteien des Bundestages aufgerufen sind, die sich gerade im Wahlkampf befinden, wo am Ende über die Nachfolge von Angela Merkel entschieden wird. Die Pfarrerstochter, die aus dem Osten kommt, die die Mauer und all die Willküren der SED-Alleinherrschaft erlebt hat und die Bundeskanzlerin geworden ist. Vor 16 Jahren. Kritik an der SED bedeutet keine Verurteilung der Menschen, die in der DDR groß geworden sind und deren Leistungen nicht hoch genug geschätzt werden dürfen. Sie hatten es schwerer als wir im Westen, sie mussten mehr zahlen für die Verbrechen der Nazis und das Leid, das der von Hitler-Deutschland entfachte Zweite Weltkrieg über Europa gebracht hat. Peter Merseburger zitiert in seinem erwähnten Werk über Brandt Helmut Kohl, der Kanzler der Einheit der Brandt als Mann genannt habe, der Brücken gebaut habe über Mauern und Stacheldraht hinweg. Das soll nicht vergessen werden.
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