In einem von der sozialdemokratischen Partei Deutschlands verbreiteten Spot wird eine kurze Geschichte erzählt: Ein leitender Mitarbeiter des Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet hat als junger Mann den Verzicht auf Sex vor der Ehe als richtig empfunden. Daraus wird heute geschlossen, dass künftig ein extrem konservativer Umgang mit der Sexualität größeren Einfluss haben könnte; nämlich dann wenn dieser Mitarbeiter größere Verantwortung übernehmen würde.
Ob diese kurze Geschichte einen Tabubruch aufweist, vermag ich nicht zu sagen. Gemessen an Gepflogenheiten in anderen Ländern sicherlich nicht. Neu ist das in Deutschland gewiss auch nicht, denn in den sogenannten „sozialen Netzwerken“ werden sexuelle Orientierungen, werden Auffassungen über sexuelle Orientierungen und anderes mehr längst thematisiert und in den allermeisten Fällen herabsetzend und diskriminierend vertreten. Der Grund ist einfach: Man vermutet, dass die auf- und angegriffenen Personen hier besonders verletzlich seien. Neu ist allerdings, dass dies „auf offener Bühne“ geschieht.
Hätte ich mich in der Rolle eines Ratgebers befunden, dann hätte ich davon abgeraten, diese Geschichte zu erzählen.
Denn sie ist angesichts der Umstände so gut wie nichtssagend: Der Mitarbeiter war damals 21 Jahre alt, heute geht er auf die 40 zu. Hier gilt nun mal Bert Brecht: „Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ „Oh!“ sagte Herr K. und erbleichte.“
Was die SPD- Führung mit diesem Spot bezweckte, ist nicht klar: Stilbildend für die Wochen bis zur Bundestagswahl wird er nicht werden, das würde Spitzenkandidat Olaf Scholz, so ist zu erfahren, nicht wollen und auch nicht tragen. Daher wird der Spot Episode bleiben, ein Fischen in einem Gewässer, in dem nicht gefischt werden sollte. Vielleicht ist einer der blassen Köpfe im Hintergrund in den „overdrive“ gegangen, hat gedacht, man müsse die Kontrahenten in der Union nur mal richtig reizen, dann würden die ihre wahren Gesichter zeigen . Reichlich pubertär gedacht, finde ich.
Von der Seite der Systematik her gesehen ist es so: Extreme Positionen nutzen die Möglichkeiten der Herabsetzung sehr viel häufiger als Mitte-rechts- und Mitte- links Parteien. Herabsetzen wird genutzt, um die politische Macht zu sichern oder um sie zu bekommen. Herabsetzen zielt auf Person und Charakter beziehungsweise auf politische Positionen, hinter denen Personen stehen. Das Ziel ist klar: Hinter einer als dubios bezeichneten Position muss ein dubioser Charakter stecken. Das kann man, wie die kleine Geschichte über Laschets Mitarbeiter zeigt, auf der Zeitebene hin und her schieben.
Warum Mensch das macht, ist unter den Experten umstritten. Furcht vor Verlust von Einfluss auf das Vorwahlgeschehen? Verlust der Übersicht und im Gegenzug größere Bereitschaft zu bedenkenlosem Handeln? Interessen jenseits dessen, was ein Spitzenkandidat oder einen Spitzenkandidatin wollen? Vielleicht hilft am Ende der Herr Keuner noch mal: „Woran arbeiten Sie?“ wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: „Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.“ Zitiert aus: Berthold Brecht – Geschichten vom Herrn Keuner.
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