Was der Hubert Aiwanger, seines Zeichens Chef der Freien Wähler in Bayern und deswegen Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident im Kabinett von CSU-Chef, Markus Söder, zugleich Ministerpräsident des Freistaats, sich beim Thema Corona und Impfen leistet, geht nicht auf die berühmte Kuhhaut. Es ist im Grunde eine Unverschämtheit, wie sich Aiwanger aufführt und gegen das Impfen Politik macht. Jawohl, das tut er, indem er sich selber nicht impfen lässt und den Eindruck erweckt, als sei das Impfen gegen Corona gefährlicher als die Weigerung, sich den Piks in den Oberarm geben zu lassen. Anders kann man das Interview im Deutschlandfunk, dessen Inhalt wir in einer eigenen Geschichte dargestellt haben, kaum interpretieren. Zu Recht schreibt die „Süddeutsche Zeitung“: „Nüchtern betrachtet bricht Aiwanger in dem Interview mit der Corona-Politik der Regierung, der er selber angehört.“ Und wie ernst man in der CSU Aiwangers rhetorisch fragwürdige Kunststücke nimmt, belegt CSU-Generalsekretär Markus Blume: „Hubert Aiwanger nähert sich gefährlich den Kreisen von AfD und Querdenkern. Er muss aufpassen, dass er nicht selbst zum Querdenker wird und damit die Freien Wähler insgesamt in Misskredit bringt. “ Recht hat er, der CSU-General.
Eigentlich müsste Söder den Aiwanger rausschmeißen, weil er seine Corona-Politik unterläuft und sie in Zweifel zieht. Und das in einer lebenswichtigen Frage. Und in einer Zeit, in der die Zahl der Infizierten wieder ansteigt. Über 90000 Tote bisher durch die Pandemie in Deutschland. Täglich werden es mehr. Impfen rettet Leben, impfen, impfen, impfen, das haben wir in all den Monaten gelernt, als es noch nicht genug Impfstoff gab. Jetzt gibt es ihn, jetzt könnten sich alle impfen lassen, wir könnten die 85 Prozent erreichen, ab der man von einer Herdenimmunität spricht. Hier sind sich alle einig im Bund und in den Ländern, dass wir die Unsicheren und Verweigerer überzeugen müssen. Ja es wird sogar als ultima Ratio nachgedacht über eine Impfpflicht, um Leben zu retten, um zu verhindern, dass diejenigen, die aus Gesundheitsgründen-weil sie krank sind- oder aus Altersgründen- weil sie noch Kinder sind- nicht geimpft werden können, angesteckt werden. Nur Aiwanger stellt sich quer. Das ist verantwortungslos, Aiwanger müsste Vorbild sein, was er nicht ist. Lieber ist er dagegen. Gemeint gegen das, was die da oben machen, dabei gehört er selbst dazu. Deshalb plädierte er damals für eine „kleine Ersatz-Gedenk-Wiesn“, als sein Chef, und das ist nun mal der Söder, zuvor das weltberühmte Oktoberfest abgesagt hatte. Wegen Corona, weil das Risiko in so einem Zelt mit Tausenden von Gästen, die trinken, essen, singen und sich nahe kommen, sehr hoch ist, angesteckt zu werden. Ernstzunehmende Zeitgenossen bezweifeln das nicht. Die SZ erwähnt ein weiteres, um Aiwangers fehlende Loyalität zu belegen: als Söder vor den Risiken des Weihnachtseinkaufs warnte, habe Aiwanger die „vielfältigen Freuden des Shoppings“ gepriesen. Man fasst sich an den Kopf.
Söders Vorbild Franz Josef Strauß
Dass gerade einer wie Söder ob dieser Alleingänge sauer ist, darf man als gesichert annehmen. Söder ist nicht unbedingt ein harmoniesüchtiger Politiker, er gilt auch nicht als der Erfinder der Politik “ Versöhnen statt Spalten“. Der Franke kann schon ganz gut zulangen, auch wenn er jetzt gern Softie spielt, der die CSU jünger machen, Frauen fördern will, Bäume umarmt, um seine neue Liebe zur Umwelt zu zeigen. Und er ist nun mal der geborene Einzelspieler, auch wenn er einem Kabinett vorsteht und gern als solcher den Teamplayer gibt. Und Aiwanger und seine Freunde dürfen davon ausgehen, dass der Markus Söder irgendwann die Faxen dick haben wird. Weil er sich selber für den Größten hält. Man vergesse nicht, dass Söder entgegen der Annahme mancher CSU-Freunde selber gern Kanzlerkandidat geworden wäre und dass er nur ungern dem Armin Laschet Platz gemacht hat. Wohl, weil die CDU die zahlenmäßig weitaus stärkere Abteilung ist als die bayerische Schwester, nicht weil er Laschet für den geborenen Kanzler hält. Der CDU-Chef wird sich warm anziehen müssen, wenn es schiefgeht am 26. September. Das weiß Laschet, das wissen seine Anhänger. In dem Fall wird Söder im Stil seines großen Vorbilds Franz Josef Strauß dem Mann aus Aachen die Leviten lesen, wird ihm sagen, dass der Wahlkampf zu lasch war, lauwarm, ohne Aggressivität.
Und das mit der Loyalität ist auch so eine Sache, die Söder selber nicht unbedingt immer beherzigt hat. Man frage Horst Seehofer, der ihm mal „Schmutzeleien“ unterstellte. Auch die Kanzlerin hat ihre Erfahrungen mit Söder gemacht, sie wird sich erinnern an die Zeit, da Flüchtlingsströme Richtung Deutschland unterwegs waren und sie grünes Licht gab, weil man diese armen Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen wollte. Damals gab es viele Proteste durch die CSU. Nicht vergessen ist auch, als die CSU-Führung mit Seehofer und Söder den umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Orban in München empfing und ihm den roten Teppich auslegte. Später ließ sich Söder gemeinsam mit Angela Merkel per Schiff über den Chiemsee gleiten und das gemeine Volk staunte nicht schlecht über die Bilder von der Kutschenfahrt Söder/Merkel- königlich-kitschig, fast wie zu Ludwigs Zeiten.
Aber zurück zu Aiwanger und dessen riskantem Spiel. Söder hatte nach der bayerischen Landtagswahl, wo er für CSU-Verhältnisse sehr bescheiden abgeschnitten und mit gut 37 Prozent die absolute Mehrheit im Freistaat glatt verfehlt hatte, den Grünen, die 17,6 Prozent der Stimmen gewonnen hatten, einen Korb gegeben. Er wollte sie nicht unnötig aufwerten, die Ökofreunde, sie waren ihm ohnehin schon zu stark geworden. Und CSU und Grüne, das passt noch immer nicht so richtig zusammen. Also machte er den Freien Wählern-Wahlergebnis: 11,6 vh- ein Angebot und seither regieren sie miteinander. Aiwanger zur Freude, wie man damals lesen konnte, es gefiel ihm, in den Dienstwagen zu steigen und neben der CSU auf der Bühne der Politik zu sein, auf Augenhöhe, wie Aiwanger das wohl am liebsten sieht, entgegen der Meinung des Markus Söder.
Da bleibt einem die Spucke weg
Gerade jetzt, da die Politik im Bund und in den Ländern noch einmal die Ärmel hochkrempelt und Gas geben will gegen die vierte Corona-Welle, da man Kontrollen an den Grenzen einführt, darüber nachdenkt, wann und wie die Jüngeren ab 12 Jahren geimpft werden können, darüber diskutiert, dass es dieses Mal keinen Lockdown geben darf, weil irgendwann es nicht mehr auszuhalten sein wird für alle Beteiligten, die Wirtschaft wie die Verbraucher, in einer Zeit, wo man hofft, dass endlich wieder Präsenz-Unterricht stattfinden kann, ausgerechnet jetzt öffnet einer wie Aiwanger eine Flanke und schürt die Angst, die er angeblich nicht schüren will. Indem er davon schwadroniert, „dass man in seinem persönlichen Umfeld immer mehr von Fällen hört, die massive Impfnebenwirkungen auszuhalten haben. Da bleibt einem schon die Spucke weg.“ Ja, die bleibt dem Bürger, dem Leser und Hörer wirklich weg, wenn er Aiwanger zuhört, der weiter davon faselt, „vielleicht ist am Ende irgendwann ein Geimpfter, der meint, er ist auf der sicheren Seite und er testet sich nicht, das größere Risiko, weil er jemanden infiziert, während der andere getestet rausgefischt wird.“ Und er warnt ausdrücklich davor, die Jagd aufzunehmen auf die, „die nicht geimpft sind.“ Es sei „unehrliche Politik“, alle schnell durchimpfen zu wollen.“ Der Mann sieht nach eigenen Worten seine „Verantwortung“ darin, „nicht alles zu tun, was das politische Establishment erwartet.“ Man schüttelt mit dem Kopf. Aiwanger ist der Stellvertreter des Ministerpräsidenten, der natürlich der Runde mit der Bundeskanzlerin, dem Bundesfinanzminister und den anderen Ministerpräsidenten angehört, wo die Diskussionen über Corona stattfinden, wo der weitere Weg beschlossen wird, der dann im Bundestag debattiert und verkündet wird. Es geht um Riesen-Aufgaben, die zu stemmen sind. Will Aiwanger diesem Establishment nicht angehören? Dann sollte er freiwillig gehen.
Markus Söder, der sich gern als Krisenmanager darstellt, was nicht immer glaubwürdig rüberkommt, weil auch der Freistaat seine Probleme hat im Kampf gegen die Seuche, wird sich seine Gedanken machen. Jetzt Aiwanger rauswerfen, das wird er mitten im Wahlkampf nicht tun. Wer soll den Platz der Freien Wähler im Kabinett einnehmen? Andererseits wird der Franke über die Strategie des Hubert Aiwanger sinnieren. Die Freien Wähler treten schließlich als neue Kraft bundesweit an, sie wollen nach ihrem Erfolg in Bayern in den Bundestag. Zur Zeit haben sie in Umfragen gerade mal drei Prozent. Das muss nicht das Ende der Hoffnungen Aiwangers sein, dem man unterstellen darf, mit seinen Freien Wählern für alle Impfgegner und -spektiker, Querdenker und wer weiß wen noch eine Art Auffangbecken zu sein. Dann allerdings könnte das problematisch werden, fischen die Freien Wähler doch gern in den konservativen Wassern der CSU.
Es geht um Verantwortung der Politik für die Gesellschaft. Aiwanger glaubt den gesunden Menschenverstand auf seiner Seite zu haben. Den will er in Berlin einbringen, weil dieser dort fehle. Er fühlt sich dann missverstanden, weil er verkürzt zitiert werde, zugespitzt, verrissen werde er, lese ich in der SZ. Irgendwie finde ich das alles mehr als komisch. Wirtschaftsminister, Vize-Ministerpräsident. „Mei“, sagt Aiwander laut SZ, „es gibt immer Leute, die Dinge komisch finden.“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass darüber noch einer lacht. Es geht schließlich um Leben und Tod.
Bildquelle: Pixabay, Bild von Gerd Altmann, Pixabay License