Der Verlag Beck streicht also Nazi-Namen von einigen seiner berühmten juristischen Werke. So wird der „Palandt“, der wichtigste Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, umbenannt und auch die Gesetzessammlung „Schönfelder“ erhält einen anderen, wenn man so will, sauberen Namen und schließlich wird auch der wichtigste Kommentar zum Grundgesetz einen anderen Namen erhalten, der „Maunz/ Dürig“ wird künftig „Dürig/Herzog/Scholz“ heißen. Roman Herzog, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts und einstiger Bundespräsident, Rupert Scholz, Ex-Verteidigungsminister und Staatsrechtler. Und auch der Kommentar zum Steuerrecht, der „Blümich“, erhält einen anderen Namen. Walter Blümich war ab 1933 verantwortlich für die steuerliche Diskriminierung von Juden. Um gleich bei Maunz anzufangen: Der war ein einflussreicher Rechtsprofessor in der Nazi-Zeit. Und nach 1945 machte er einfach weiter- nun saß er im Gewand eines Demokraten am Tisch des in Herrenchiemsee tagenden Verfassungskonvents, der die Grundlagen der neuen Bundesrepublik schuf. Maunz gab sich so gewandelt, dass er Kultusminister wurde im Freistaat Bayern für die CSU. Erst 1964, so lese ich in einem Beitrag der SZ, wurde seine braune Vergangenheit enttarnt, Maunz musste zurücktreten und beriet dann jahrelang die rechtsradikale DVU des Verlegers Gerhard Frey und schrieb unter Pseudonym für dessen rechtsradikalen Blätter. Man fasst sich an den Kopf, dass ein solcher Nazi-Jurist jahrelang unbehelligt weiterarbeiten konnte. Er hatte wohl nur das braune gegen das weiße, wer will das weiß-blaue Hemd gewechselt.
Gewundert hat mich die Geschichte in der „Süddeutschen Zeitung“ nicht. Und auch wenn die Inhalte der erwähnten juristischen Standardwerke längst entnazifiziert wurden, die Namen Palandt, Maunz, Schönfelder standen für die Nazi-Gesinnung der Rechtsgelehrten. Aber wer sich mit der Geschichte der Bundesrepublik befasst, stößt immer wieder auf braune Flecken in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Man muss nur das Buch von Prof. Ingo Müller „Furchtbare Juristen“ lesen, der die Karrieren von Nazi-Juristen in der demokratischen Bundesrepublik nachgezeichnet hat. Oder man liest in dem Buch von SZ-Autor Willi Winkler „Das braune Netz. Wie die Bundesrepublik von früheren Nazis zum Erfolg geführt wurde“. Der Leser, der all die schmutzigen Geschichten der Nazis und ihrer Juristen kennt, bekommt einen dicken Hals.
Globke und die Nürnberger Rassegesetze
Auch 76 Jahre nach dem Ende der braunen Diktatur holt uns diese üble Zeit und die Verbrechen vieler Deutscher immer mal wieder ein, sie bringt sie uns in Erinnerung. Und vielen war es ja Recht, dass schon Konrad Adenauer, gewiss kein Nazi, sondern einer, der unter ihnen gelitten hatte, früh für einen Schlußstrich unter die Vergangenheit plädierte, die man einen Zivilisationsbruch, eine Katastrophe nennen kann, weil aus dem Land der Richter und Denker das Land der Richter und Henker geworden war.. Vielleicht als Zeichen der Versöhnung mit den alten Nazis und um sie für das neue demokratische Land zu gewinnen, stellte Adenauer den einstigen Nazi Globke als seinen engsten Mitarbeiter im Kanzleramt ein. Globke war kein Unbekannter, er hatte den entscheidenden Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen verfasst. Der Verwaltungsjurist Hans Globke „bestimmte, wer als Jude zu gelten hatte und wann Geschlechtsverkehr als Rassenschande galt“(Winkler:Das braune Netz). Er war verantwortlich dafür, dass Juden ab 1939 im Pass den Namen Israel beziehungsweise Sara zu führen hatten, um sie besser als Juden auszuweisen. Die Gestapo verhaftete nach Globkes Regelwerk, der Präsident des Volksgerichtshof, Freisler, lobte den Kommentar als nützlich.(Winkler)
Bei Prof. Ingo Müller beginnt das Standard-Werk über die Laufbahnen von Juristen im Dritten Reich mit dem Fall Filbinger. Der hatte es nach 1945 bis zum baden-württembergischen Ministerpräsidenten geschaff. Und hätte der Schriftsteller Rolf Hochhuth den CDU-Politiker nicht einen „furchtbaren Juristen“ genannt, weil dieser ehemalige Wehrmachtsrichter Dr. Hans Karl Filbinger „einige Urteile in der Kriegs- und Nachkriegszeit“ gefällt hatte, Filbinger hätte es zum Bundespräsidenten bringen können. Im Gespräch war er jedenfalls. Und man darf darauf hinweisen, dass Filbinger nicht in Demut fiel ob der Kritik des Literaten, oder sich entschuldigt hätte bei der Mutter jenes Sohnes, an dessen Todesurteil er mitgewirkt hatte, nein, er stellte Strafantrag. Aber er hatte Pech. Hochhuth wurde in der gerichtlichen Auseinandersetzung freigesprochen. Filbinger trat zurück. Zur Erinnerung: Filbinger sprach damals jene „ungläubige Äußerung, dass heute doch nicht Unrecht sein könne, was damals Recht war.“(zitiert nach Prof. Ingo Müller) Dieser Ausdruck der Unbelehrbarkeit machte den Fall so spektakulär, „das Beharren auf der Rechtmäßigkeit der unmenschlichen Justiz des Dritten Reiches, zeigte erst die ganze Furchtbarkeit jenes Juristen und vieler Berufskollegen seiner Generation, denn der Marinerichter a. D. Filbinger war kein Einzelfall“. (Ingo Müller)
Nazis saßen in den Parlamenten
Nein, die neue Republik war zwar eine demokratische, aber ein braunes Netz durchzog zum Beispiel den Bundestag. Nazis saßen wie selbstverständlich in den Länderparlamenten und im Bundestag, in allen Behörden, Ministerien, sie waren bei der Polizei, in der Justiz, überall. „Eine Partei der ehemaligen NSDAP-Mitglieder
hätte bis in die 60er Jahre die größte Fraktion im Bundestag stellen können.“(Winkler) Zudem wurde der Russe schnell zum größten Feind des Westens, der die Bundesrepublik als Bollwerk gegen den Kommunismus brauchte. Da war kaum Zeit, um sich mit den Verbrechen der Nazis zu befassen, die sie in weiten Teilen Europa begangen hatten, da war keine Zeit, um Auschwitz zu bewältigen, den Holocaust an sechs Millionen Juden. Man denke daran, dass die ersten Auschwitz-Prozesse erst in den 60er Jahren in Frankfurt stattfanden und dann noch gegen große Widerstände. Das Merkwürdige war ja auch, dass nach dem Krieg ganz plötzlich keiner mehr etwas gewusst haben wollte von all den Verbrechen der Nazis an Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten, Sinti und Roma. Und urplötzlich gab es auch keine Mitglieder der NSDAP mehr, einer Partei, der mindestens 10 Millionen Deutsche angehört hatten. Es wären sicher mehr gewesen, wenn die Partei nicht sehr früh einen Aufnahmestopp verhängt hätte.
In vielen Schulen wurde zwar über den bösen Kommunismus unterrichtet, das mit den Nazis wurde fast ausgeblendet, sicher wohl auch deswegen, weil der eine oder andere betroffen war, Nazi eben. So konnte einer wie Filbinger Karriere machen. Und als er starb, hielt einer seiner Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Öttinger, eine Rede, die ihn fast zum Widerstandskämpfer erhoben hätte. Scham über das Mitwirken, Mitlaufen, Mitmachen, über die Konzentrationslager, über ein Menschheitsverbrechen bisher unbekannten Ausmasses? Der deutsche Soldat, schreibt Winkler, galt in der ersten Zeit nach dem Krieg als Opfer, nicht der ermordete Jude. Den 12 Millionen Vertriebenen wurde gewiss Unrecht getan, Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Sowjet-Soldaten waren ein Verbrechen, keine Frage, aber dass diesen Verbrechen andere Verbrechen vorausgegangen waren durch deutsche Soldaten, dass ganze Dörfer in der Sowjetunion niedergebrannt worden waren durch die Wehrmacht und die SS, es wurde kaum erwähnt in jener Zeit. Erst Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach am 8. Mai 1985, 40 Jahre danach, von der Befreiung Deutschlands durch die Alllierten, die uns von der Nazi-Diktatur befreiten. 27 Millionen Tote hatte die Sowjetunion zu beklagen durch den Krieg, den Hitler-Deutschland mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 angefangen hatte.
Zurück zu den Juristen.Der ehemalige Richter am Volksgerichtshof, Dr. Paul Reimers, konnte unbehelligt bis zu seiner Pensionierung 1963 als Strafrichter in Ravensburg arbeiten. Er nahm sich das Leben, schreibt Prof. Ingo Müller in seinem erwähnten Buch. Kein Richter des Volksgerichtshofs wurde nach Müllers Erkenntnissen verurteilt. „Wären dessen Richter bestraft worden, hätte man die Vielzahl der Sonder-, Rassenschande- und Kriegsrichter nicht freisprechen können“. Wäre auch nur einer verurteilt worden, so das Urteil Müllers, „wäre eine Lawine losgetreten worden, welche die Mehrheit der Nachkriegsrichter erfasst hätte und die vor Mitgliedern des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts und sogar des Bundesverfassungsgerichts nur schwer hätte aufgehalten werden können.“ Der Friede mit den Tätern sei auf dem Rücken der Opfer geschlossen worden. Ein hoher Preis.
Carl Schmitt, der Staatsdenker der Nazis
Die von den Nazis vertriebenen und ermordeten Juristen seien nicht rehabilitiert worden. Auch Carl Schmitt, der schon am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten war und der früh „zum führenden Staatsdenker des Nazi-Reichs avancierte, konnte nach dem Krieg nach kurzer Pause weitermachen und wurde, wie Ingo Müller schreibt, aus Anlass hoher Geburtstage von der richterlichen Gesellschaft gefeiert- als wäre nichts gewesen. Müller präsentiert einige Zitate, die Schmitts widerliche Denkweise zeigen. Die Ausbürgerung vieler Intellektueller und die Verbrennung ihrer Bücher habe Schmitt mit den Worten kommentiert: „Auf jene deutschen Intellektuellen aber wollen wir verzichten.. Aus Deutschland sind sie ausgespien für alle Zeiten.“ Und auf dem 1936 von ihm organisierten Fachkongress „Das Judentum in Rechts- und Wirtschaftswissenschaften“ habe Schmitt dargelegt: „Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre, eine taktische und händlerische Beziehung… Mit großer Findigkeit und schneller Witterung weiß er das Rechte zu treffen. Das ist sein Instinkt als Parasit und echter Händler.“ Ob Schmitt wirklich später in der Zeit der ersten Großen Koalition (1966 bis 1969)“der heimliche staatsrechtliche Berater“ von Bundeskanzler Kiesinger gewesen ist, wie die „Frankfurter Rundschau“ nach Müller gemeldet habe, blieb laut Müller undementiert,
Soll man Namen ändern, wie jetzt durch den Verlag Beck, auf die man nicht stolz sein kann? Will man Geschichte ausradieren? Reinigen, weil NS-belastete Gründungsherausgeber damit befasst sind? Man kann, aber man sollte dennoch die Namen nicht aus dem Gedächtnis, dem Bewusstsein der Menschen, der Jura-Studenten löschen. Sie sollten schon wissen, was damals von ihren juristischen Vor-Vorvätern gemacht worden ist, wo und wie sie gefehlt haben. Der Jurist Carl Schmitt, das kann man bei Ingo Müller an vielen Stellen finden, war ein Karrierist und ein Nazi, ein Faschist, wie die SZ kommentiert. Dessen Schriften und Meinungen soll man nicht auslöschen, man muss sich mit ihm kritisch auseinandersetzen. Wie überhaupt mit der Nazi-Zeit. Es darf nicht vergessen werden, wozu Deutsche damals im Stande waren, auch und gerade als Juristen.
Quellen: Süddeutsche Zeitung, 28. 7. 2021. Willi Winkler: Das braune Netz.Rowohlt-Verlag Berlin, 2019. Ingo Müller: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit der Deutschen Justiz.Edition Tiamat. Berlin 2014.