Was haben oder hatten wir eigentlich in Afghanistan zu suchen? Die Frage darf man stellen nach dem Rückzug der letzten deutschen Soldaten aus dem ewigen Krisengebiet am Hindukusch. Und sicher darf man fragen: War es das wert, hat es sich gelohnt, irgendeinen Nutzen gebracht? Oder zielt eine solche Fragestellung allzusehr auf den Eigennutz der Deutschen, auf unseren Egoismus? Weil Afghanistan 5000 Kilometer entfernt ist und wir in dem unruhigen Land, in dem schon immer Kriege geführt wurden, nur verlieren können? Oder sind wir dank unserer Mitgliedschaft in der UNO zur internationalen Solidarität stets verpflichtet, wenn die internationale Völkergemeinschaft einen Einsatz beschließt, einer militärischen Invasion also ein UNO-Mandat erteilt? 59 Tote hat das 20jährige Engagement der Bundeswehr gekostet, 160000 deutsche Soldaten waren insgesamt dort in einem gefährlichen Einsatz, viele sind traumatisiert zurückgekehrt in die Heimat und müssen behandelt werden.
Ich kann mich noch gut an Debatten erinnern vor dem Fall der Mauer und der deutschen Einheit, in einer Zeit also, da Deutschland in zwei Teile geteilt war, die verschiedenen Blöcken, der Nato und dem Warschauer Pakt angehörten. Die Bundesrepublik genoss noch keine volle Souveränität. An UNO-Einsätzen beteiligten sich die Westdeutschen nur in Form von Blauhelm-Missionen, die aber auch bewaffnet ausgelegt sein konnten, weil die Regionen der Welt, in denen man helfen wollte, nicht immer nur friedlich waren und unsere Helfer zum Beispiel bei Aufständischen stets willkommen gewesen wären. Wir beteiligten uns mit D-Mark an den Kosten der UNO-Einsätze. Die deutsche Mitwirkung war zu Hause mächtig umstritten. Die Befürworter von Einsätzen in aller Welt kritisierten die deutsche Haltung als Scheckbuch-Diplomatie, Hans-Dietrich Genscher, lebte er noch, er könnte davon erzählen. Wir zahlten, aber unsere Soldaten blieben zu Hause. An einem sicheren Ort. Auf einem SPD-Parteitag in Münster musste sich selbst ein Friedensnobelpreisträger wie Willy Brandt verteidigen, weil er daran erinnerte, dass die deutsche Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen nicht an Bedingungen, an Vorbehalte geknüpft war. Der Ex-Kanzler wusste, wovon er redete, er musste sich gefallen lassen, von einigen Genossen als Bellizist bezeichnet zu werden. Verkehrte Welt. Denn Willy Brandt wollte natürlich nicht in den nächstbesten Krieg ziehen oder irgendwo auf der Welt bewaffnete Hilfe leisten. Er beschrieb nur die Lage. Zur Diskussion damals gehörte, dass man im äußersten Fall robuste Blauhelm-Einsätze mittragen wollte, also mit Waffen, nicht nur mit Rotkreuz-Verbandskästen.
Aghanistan. Wer erinnert sich noch an den Einmarsch der Sowjets Weihnachten 1979 und die Reaktion der westlichen Welt. Man protestierte heftig, boykottierte die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Die Sowjets erlitten schwere Verluste, beklagten Tausende von toten Rotarmisten. Und Jahre später, 1989, mussten sie fluchtartig das Land am Hindukusch verlassen. Das Land versank im Bürgerkrieg.
Erst die volle Souveränität Deutschlands nach dem Fall der Mauer und den Zwei-Plus-Vier-Verträgen veränderte die politische Lage. Und dennoch dauerte es Jahre, ehe deutsche Soldaten sich wie im Jugoslawien-Krieg an einem Nato-Einsatz außerhalb des Nato-Gebiets beteiligten. Es löste eine heftige Debatte aus, dass die Bundeswehr erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg und dann noch unter einer Rot-Grünen Regierung, einem SPD-Kanzler Gerhard Schröder und einem Grünen-Außenminister Joschka Fischer sich an kriegerischen Maßnahmen der Nato aktiv mit Überwachungsflugzeugen beteiligte. Und als am 11. September 2001 Al-Qaida terroristische Anschläge in Amerika verübte, in New York und Washington, bei denen mehrere Tausend Menschen ums Leben kamen, betonte Bundeskanzler Schröder in einer Regierungserklärung: „Ich habe dem amerikanischen Präsidenten das tief empfundene Beileid des gesamten deutschen Volkes ausgesprochen. Ich habe ihm auch die uneingeschränkte- ich betone: die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands zugesichert.“ Und in Anwesenheit des amerikanischen Botschafters Dan Coats versicherte der Kanzler noch einmal ausdrücklich: „Die Menschen in Deutschland stehen in dieser schweren Stunde fest an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika.“ Und „selbstverständlich“ bot Schröder den Bürgern und Behörden der USA „jede gewünschte Hilfe“ an, „natürlich auch bei der Ermittlung und Verfolgung der Urheber und Drahtzieher dieser niederträchtigen Attentate.“ So weit der deutsche Bundeskanzler, der wie viele Beobachter der Anschläge am Bildschirm sichtlich ergriffen war von den Gewalttaten der islamistischen Terroristen.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass derselbe Schröder zwei Jahre später dem geplanten Irak-Einmarsch der US-Truppen zusammen mit Briten und einer sogenannten „Koalition der Willigen“ sein klares Nein entgegensetzte. Es folgte ein Krieg, der zum Sturz von Saddam Hussein führte, der aber auf einer Lüge aufgebaut war von den Amerikanern, weil es die behaupteten Massenvernichtungs-Waffen Saddams gar nicht gab. Einer der Initiatoren des Kriegs, US-Verteidigungsminister Rumsfeld, ist vor ein paar Tagen gestorben. Dieser Krieg hat den Irak ziemlich zerstört, er hat den Islamisten Zulauf verschafft und er hat die Arbeit der Bundeswehr und anderer in Afghanistan erschwert.
Der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck(SPD) verteidigte später den Sinn des Einsatzes der Bundeswehr im fernen Afghanistan mit den Worten: Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt. Man mag darüber heute sinnieren, damals war der Satz durchaus erklärbar vor dem Hintergrund der Anschläge in Amerika. Und 20 Jahre danach neigt sich der Einsatz dem Ende zu. Ein Einsatz in einem damals rechtlosen Land, ein guter Platz für Terroristen, die von Pakistan aus arbeiten konnten und versorgt wurden. Dort hatte Al-Qaida 9/11 geplant, Frauen und die Zivilgesellschaft, wenn es denn überhaupt eine solche damals gab, standen unter der Fuchtel der Islamisten, waren ihnen und ihrer Willkür und Macht ausgeliefert. In deutschen Medien ist immer wieder in all den Jahren über die Arbeit, wenn man so will die Entwicklungshilfe der Bundeswehr berichtet worden, den Aufbau von Schulen für Mädchen, beim Bau von Anlagen zur Wasserversorgung für abgelegene Bergdörfer, sie beteiligte sich am Wiedererwachen einer Zivilgesellschaft. Es gab und gibt Errungenschaften, die aber jetzt, da die Bundeswehr weg ist und Amerika seinen Einsatz im Grunde beendet hat, wieder von den Taliban einkassiert werden könnten, sie könnten die Uhren wieder zurückdrehen Richtung Mittelalter, wo Frauen nichts zu sagen haben und sich fürchten müssen, gerade so, wie sich alle Helfer der Bundeswehr vor der Wiederkehr der Macht der Taliban fürchten müssen.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer(CDU) hat einige Fehler des Einsatzes aufgelistet, darunter: die Ziele seien zu hoch angesetzt worden, ja unerreichbar gewesen die Vorstellung, man könne das Land in einen Staat europäischer Prägung transformieren. Eine Idee, die man ja immer wieder beobachtet, wenn der Westen, nicht nur Deutschland sich in ferne Angelegenheiten einmischt, um zu helfen und erklären, wie man alles besser machen könne.
Und dennoch die Frage: War es das wert? Oder war alles umsonst, nutzlos? Wird Afghanistan wieder in die Hände der Taliban fallen, werden diese die Frauen wieder entrechten? Oder kann die erneuerte Zivilgesellschaft sich ein Stück weit zumindest behaupten? Ist die afghanische Gesellschaft offener geworden, moderner, freier, wobei man bitte schön nicht deutsche Maßstäbe oder euopäische Vorstellungen zugrunde legen möge? Und was die Sicherheit betrifft: Darf man Afghanistan isoliert sehen oder ist Afghanistan eigentlich überall auf der Welt, also in Afrika, in Mali, wo sich die Bundeswehr in einem sehr gefährlichen Einsatz neben den Franzosen befindet? Quasi mitten in einem Bürgerkrieg. Der islamistische Terror ist nicht besiegt, ein völliger Rückzug der Deutschen würde ihnen Lücken freimachen, in diese stoßen und ihre tödlichen Ziele anwenden könnten. Am Ende wären noch mehr Fluchtboote auf dem Weg nach Europa, nach Deutschland. Die Heillosigkeit der Welt lässt uns wohl keine andere Wahl, als unsere Hilfe, so gefährlich sie sein möge für unsere Soldaten und all die anderen Helfer, weiter weltweit anzubieten. Die Insel der Seligen gibt es nicht. Wir können nicht abseits stehen, wenn es irgendwo brennt. Internationale Solidarität erfordert unser Mitwirken.Ungeachtet aller Gefahren, Mühen und Opfer.
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