Diese Große Koalition, die dritte unter Angela Merkel, kam zustande, weil FDP-Chef Christian Lindner sich im Herbst 2017 weigerte, in die Jamaika-Koalition einzuwilligen. Wörtlich sagte er: „Es ist besser nicht zu regieren als falsch zu regieren.“ Und verschwand mit den Worten „Auf Wiedersehen“ an diesem Abend von der politischen Bühne, auf der eine Regierungs-Allianz aus CDU/CSU, den Grünen und der FDP gebildet werden sollte. Wochenlang hatte man gesprochen, auf Balkonen sich abbilden lassen, alles für die Katz. Erst danach nahm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Parteichefs von CDU, Angela Merkel, CSU, Horst Seehofer und SPD, Martin Schulz, in die Pflicht. Das Staatsoberhaupt redete ihnen in Vier-Augen-Gesprächen ins Gewissen. Und am Ende ließ sich Martin Schulz, ließen sich die Sozialdemokraten überreden, ihr Nein zu einer erneuten Groko zu überdenken und aus staatspolitischer Verantwortung wieder in die Regierung Merkel einzutreten. Man kann das als Fehler bezeichnen, wie es die „taz“ getan hat, als „letzten großen Fehler“, weil die SPD als Juniorpartner der Union zwar „ordentliche Gesetze“ machte, die aber „auf freundliches Desinteresse stießen“(taz).
So kann man das sehen, man kann aber auch die Leistung der SPD und von Martin Schulz und später von Andrea Nahles hervorheben, sich erneut in die Pflicht nehmen zu lassen von einem Bundespräsidenten, der als SPD-Minister selber Mitglied einer Groko gewesen war und der mit seinen Gesprächen mit den Parteichefs verhindern wollte, dass auf eine Bundestagswahl eine Neuwahl folgte, weil sich die Parteien nicht hätten verständigen können. Etwas, was der parlamentarischen Demokratie nicht unbedingt genutzt hätte. Die SPD hat also durchaus geliefert, gedient, um es etwas hochtrabend zu formulieren, die Groko hat mit Hilfe der SPD eine ganze Reihe ordentlicher Gesetze gemacht, hat mitgeholfen, dass das Land und die Menschen durch die Pandemie finden, dass der Laden am laufen gehalten wurde, wie es die Kanzlerin ausdrückte. Aber, gemessen an den Umfragewerten, hat der Wähler diese Arbeit der SPD nicht gedankt, sondern sie abgestraft. Während die Union wieder bei knapp unter 30 Prozent angelangt ist und die Grünen auf Platz 2 liegen mit rund 20 Prozent, rangieren die Sozialdemokraten hinter den Grünen, eingemauert irgendwo bei 15/16 Prozent.Dass das Willy-Brandt-Haus in Berlin eher wie im Tiefschlaf wirkt statt im Wahlkampfmodus, erschwert die Lage der SPD, ihre Erfolge in der Regierung werden nicht entsprechend vom Generalsekretär der Partei herausgestellt und gefeiert. Man wartet wohl- ja auf was eigentlich?
So ist die Lage, auch wenn gerade eine Umfrage meldet, dass Grüne und SPD sich annäherten, die Grünen nun unter 20 Prozent abgerutscht wären und die SPD bei 17 Prozent läge. Ob ich das glauben soll? Oder ob mit Umfragen Stimmung gemacht wird in dem beginnenden Bundestagswahlkampf, um die Stimmung zu beeinflussen? Wollen die Wählerinnen und Wähler nicht lieber bei den Gewinnern sein als bei den Verlierern? Wird deshalb Stimmung gemacht, um den Hype der Grünen zu beenden? Immerhin sind die Grünen inzwischen abgesackt, sie lagen mal vor der Union, aber inzwischen sollen sich diese Stimmungen wieder zugunsten der Konservativen gedreht haben. Und es gibt ja Umfragen, die die FDP plötzlich nur noch knapp hinter der SPD sehen wollen, was zur Folge haben könnte, dass sogar ein liberal-konservatives Bündnis wieder möglich sein könnte. Wie in NRW, wo Armin Laschet mit der braven FDP geräuschlos regiert, mit nur einer Stimme Vorsprung. Wenn man den Zahlen glauben will, ich habe da meine Zweifel.
The winner takes it all
Die „taz“ erwähnt in ihrem Stück „Das Dilemma der Sozialdemokraten„, dass Angela Merkel 2019 die Ehrendoktorwürde in Harvard erhielt, „unter anderem für den Mindestlohn, den sie sich von der SPD hatte aufnötigen lassen.“ Verkehrte Welt, oder? Und man könnte all die Gesetze erwähnen, die unter der Regie von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil(SPD) beschlossen und verkündet wurden, damit das mit dem Home-Office funktionierte, damit Teilzeit gearbeitet werden konnte wegen Corona. Dieser Arbeitsmarkt wurde doch im Grunde auf Zeit neu aufgestellt, ja umgekrempelt, um mit der Pandemie fertig zu werden. Was hat man nicht alles aus dem Boden gestampft?! Und hier wäre auch der Bundesfinanzminister Olaf Scholz, zugleich Kanzlerkandidat der SPD, zu erwähnen, der mit einem „Wumms“ das Milliarden-Programm der Bundesregierung verkündete, damit die vielen Unternehmen ihre Leute bezahlen konnten, ihre Mieten und andere Lasten, weil sie doch auf Monate keine anderen Einnahmen hatten. Eine wirkliche Ausnahmesituation, die aber nur der Mehrung des Ruhms der Kanzlerin und ihrer Partei diente denn dem Juniorpartner SPD. Von wegen, Regierende profitieren von Krisen, weil sie entscheiden und machen können. The winner takes it all, die Kanzlerin eben, der andere, der mithilft, mitentscheidet, mit Verantwortung trägt, geht leer aus. Und die Parteizentrale und ihre Macher dort halten nicht dagegen.
Das Dilemma der SPD besteht -und bestand schon früher- immer auch darin, dass diese Partei gern regieren und zugleich opponieren wollte.So ähnlich hat mir das mal vor Jahrzehnten der einstige Bundesminister Jürgen Schmude erklärt. Dass so eine Haltung nicht unbedingt die Glaubwürdigkeit fördert, liegt auf der Hand. So hat die SPD in der Vergangenheit den Fehler gemacht und die eigenen Kanzler geschwächt. So geschehen bei Helmut Schmidt, dessen Außen- und Sicherheitspolitik von den eigenen Genossen nicht mehr akzeptiert wurde. Beispiel: der Nato-Doppelbeschluss. Auch die Finanz- und Sozialpolitik Schmidts wurde von den Parteifreunden mehrheitlich abgelehnt. Später bereuten viele Sozialdemokraten ihre Haltung zum eigenen Kanzler und ließen ihn im Alter hochleben. Auch Willy Brandt hat in seinen Regierungsjahren nicht nur Freunde in der eigenen Partei gehabt. Gerhard Schröders Agenda-Politik wurde zunächst akzeptiert, Erhard Eppler und Hans-Jochen Vogel verteidigten sie gegen Kritik aus den eigenen Reihen auf einem Parteitag in Berlin, weil diese Reformen dazu beitrugen, die Arbeislosenzahlen, die damals bei fünf bis sechs Millionen lagen, zu reduzieren. Später gingen die Sozialdemokraten der Wahlkampf-Polemik der Linken in die Falle. Auf deren Plakaten hieß es: „Hartz IV, das ist Armut per Gesetz.“ Die Parteifreunde hatten wohl auch Schröders spätere Einlassungen überhört: Hartz IV seien nicht die zehn Gebote und er, Schröder, nicht Moses. Womit er sagen wollte, die entsprechenden Gesetze sollten im Licht der Entwicklung überprüft werden. Was man eigentlich von anderen Gesetzen auch erwarten sollte. Zu Schröder gehört auch, was schnell vergessen wurde: Er sorgte mit seinem Nein dafür, dass deutsche Soldaten nicht in den Irak-Krieg entsandt wurden. Es war die damalige CDU-Chefin Angela Merkel, die in einem Gastbeitrag der „Washington Post“ diese Kriegs-Ablehnung des SPD-Kanzlers kritisierte: „Gerhard Schröder spricht nicht für alle Deutschen“.
Die SPD darf jetzt nicht in den Fehler verfallen, sich weinerlich zurückzuziehen und ihre missliche Lage zu beklagen. Sie muss alle Kräfte bündeln, die Ärmel hochkrempeln und kämpfen. Sie muss ihre immer noch stattlichen rund 400000 Mitglieder bundesweit dazu bringen, den Stolz auf ihre Partei nach draußen zu tragen, auf ihre Geschichte, die sie hat und niemand sonst in diesem Land. Diese Partei, die Bismarcks Sozialistengesetz überlebte, des Kaisers Unwillen über die Sozialdemokratie, die Hitler überdauerte, wenngleich unter großen Verlusten, die die Kommunisten überlebte, von denen sie früher drangsaliert und verboten wurden. Die älteste deutsche Partei hat diese Republik geprägt. Was wäre die Sozialgesetzgebung ohne die SPD? Gesetze über Arbeitszeiten, Mitbestimmung, Löhne und Gehälter, über Zustände am Arbeitsplatz, über Gleichberechtigung von Männern und Frauen, über die Fünf-Tage-Woche, Renten, Pflege und so weiter. Immer war die SPD führend dabei. Sie hat keinen Grund, sich kleinzumachen, sie muss den Kampf aufnehmen gegen die Rechten, die Populisten, Rassisten und Fremdenfeinde, Neonazis, Antisemiten Der frühere langjährige SPD-Fraktions- und Parteichef Hans-Jochen Vogel, OB von München, Minister in den Kabinetten von Willy Brandt und Helmut Schmidt, hat in Gesprächen über die desolate Lage seiner Partei mehrfach mahnend und an den Stolz der Mitglieder appellierend erinnert: „Herrgott nochmal, wir haben doch eine Geschichte!“ Weiß Gott, das hat die SPD und die sollte sie nie vergessen. Und darauf aufbauend den Streit aufnehmen um die Zukunft dieser Republik. Die SPD ist die Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Betriebsrat der Nation, die Partei der kleinen Leute, der Benachteiligten. Man möchte ihnen den Spruch des gerade abgestiegenen Bundesliga-Klubs Schalke 04 vorhalten, damit sie ihn ummünzen auf ihre Partei: Steht auf, wenn ihr Sozialdemokraten seid!
Scholz will mehr Gerechtigkeit
Der Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, mag kein Entertainer sein, aber das ist ja wohl auch nicht gefragt, wenn sich jemand um das Amt des Bundeskanzlers bewirbt. Dass er sich das Amt zutraut, ist eine Selbstverständlichkeit. Er ist Vizekanzler und Bundesfinanzminister, war Arbeitsminister, Bürgermeister der Hansestadt Hamburg. Scholz hat Regierungserfahrung, die andere nicht haben. Die Partei und ihre vielen Mitglieder müssen ihn stützen, draußen auf der Straße, in den Fußgängerzonen, bei Gesprächen am Arbeitsplatz. Scholz steht für ein Programm, mit dessen Hilfe mehr sozale Gerechtigkeit einkehren soll in Deutschland. Scholz will, dass Geld, Vermögen besser verteilt wird, dass die Vermögenden mehr bezahlen, die breiten Schultern mehr tragen. Das Credo der Liberalen und Konservativen, also großer ‚Teile der Union, will ungerechte Vermögensverhältnisse zementieren. Wir brauchen stattdessen mehr Steuergerechtigkeit, sagen selbst Leute, die nicht Mitglied der SPD sind, aber gemerkt haben, wie ungerecht die Lasten- und Vermögensverteilung in Deutschland ist. Da kann sich die SPD, da kann sich Scholz abheben von einem Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, der „dauerfreundlich in alle Richtungen“ (taz)ist, der die Reichen beglücken will und anderes weglächelt. Allein die Streichung des Soli, von dem die obersten fünf Prozent der Erwerbstätigen profitieren, würde diesen Vermögenden zehn Milliarden Euro im Jahr bringen. Ein Fakt, den die Unions-Anhänger, auch wenn sie Durchschnittsverdiener sind, gern hinnehmen, weil sie sich einreden, selber dem elitären Kreis der Wohlhabenden anzugehören.
Die 19. Wahlperiode des deutschen Bundestages ist im Grunde am letzten Freitag mit der voraussichtlich letzten Sitzung des Parlaments zu Ende gegangen. Damit ist die Ära Merkel so gut wie vorbei, auch wenn die Kanzlerin und ihre Regierung noch im Amt bleiben über den 26. September hinaus, dem Tag der Wahl. Es wird wohl auch zumindest vorerst keine Neuauflage der großen Koalitionen geben. Schwarz-Grün, Jamaika oder was immer es für eine Farben-Konstellation geben wird. Eines sollten die anderen Parteien vom Abstieg der Volksparteien lernen, der ja auch die Union in gemilderter Form trifft: Nichts ist von Dauer und auf ewig. Jede Bundesregierung hat nach der Wahl gewaltige Lasten zu schultern, darunter den Klimawandel und die damit einhergehenden Kosten und eine Rentenreform, die den Namen verdient und die die jüngere Generation und deren Zukunft mit berücksichtigen muss. All das und Weiteres wird nicht nach dem Motto des Weiter-So geleistet werden können, auch nicht allein durch Wachstum. Manches Versprechen vor der Wahl wird sich als Versprechen herausstellen- man hat sich eben versprochen. Dann wird man sehen, ob die Wählerinnen und Wähler wie oft in der Vergangenheit allzu schnell vergessen, was ihnen einst verheißen wurde. Ich kann mich noch gut an die blühenden Landschaften des Kanzlers Helmut Kohl erinnern. Und was daraus wurde? In einigen Regionen blühte zumindest der Flachs. Der Soli wurde eingeführt, auch wenn man anderes versprochen hatte.
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