„Schau mir in die Augen“, titelte die „Süddeutsche Zeitung“ ihre Seite-3-Geschichte des Gipfels der Präsidenten Biden/Putin, das mit Spannung erwartet worden war. Und wie selbstverständlich an einem so friedlichen Ort wie dem Genfer See stattfand, der Stadt des Friedens. Der SZ-Politikchef erinnert daran, dass hier 1864 „ein gewisser Henry Dunant die letzte Verhandlung zur ersten Genfer Konvention“ geführt habe. Dunant, der Begründer des Roten Kreuzes. Genf, überhaupt die Schweiz als der internationale neutrale Ort der Weltpolitik. Die Bilder für die Weltöffentlichkeit zeigen lächelnde Präsidenten der USA und Russlands, die sich die Hand geben. Man erinnert sich an Beleidigungen des einstigen US-Vizepräsidenten Joe Bidens vor zehn Jahren an die Adresse des damaligen Ministerpräsidenten Russlands, Wladimir Putin: „Ich denke nicht, dass Sie eine Seele haben.“ Und Putin reagierte kühl: „Wir verstehen uns.“ Dass Biden seinen Gegenüber auch schon mal einen Mörder genannt hatte, wird der Kreml-Chef nicht vergessen haben, aber es hielt ihn nicht von gespielter Freundlichkeit und entsprechenden Gesten zurück. Biden hatte schon vor dem Treffen in Genf ein paar nette Aufmerksamkeiten Richtung Putin gesagt und Russland die Rolle einer Weltmacht zugesprochen, die der frühere US-Präsident Obama dem Kreml mit der abschätzigen Bemerkung abgesprochen hatte, Russland sei nur noch eine Regionalmacht. Eine Kränkung Putins, wie Russland-Kenner urteilten.
Worüber die beiden mächtigsten Männer der Welt in Wirklichkeit gesprochen haben, interessierte zunächst nur am Rande. Wichtig war, dass sie überhaupt miteinander und nicht mehr übereinander gesprochen haben. Gerade nach der Präsidentschaft von Donald Trump blickt die Welt voller Erwartung und Hoffnung auf den 78jährigen Biden, der zumindest nicht so ungehobelt auftritt wie sein Amtsvorgänger, der zudem die Nähe des übrigen Westens wieder sucht, Biden, ein Mann, mit dem man wieder reden will, weil er es auch will. Wladimir Putin, der russische Machthaber, den Kritiker auch gern den „Agenten im Kreml“ nennen und nicht wie Gerhard Schröder einst einen „lupenreinen Demokraten“. Aber Biden muss mit Putin reden, damit sich das Wettrüsten nicht wieder hochschaukelt, weil jeder sich vom anderen bedroht fühlt. Mag sein, dass dieser Putin „in einer anderen Welt lebt“, wie Angela Merkel das mal gesagt hat. Aber richtig ist auch, dass dieser Westen, dass die EU Fehler gemacht hat im Umgang mit Moskau, dass man vor Jahren die Gespräche mit der Ukraine so führte, dass Putin befürchten musste, dieses alte russische Land werde bald Teil der Europäischen Union und der Nato und damit die Grenze des Westens um 1000 Kilometer Richtung Osten verschoben. Die Krim wäre Teil der Nato und der EU geworden, dort liegt die Schwarzmeerflotte der Russen mit dem Hafen Sewastopol. Der Rest ist bekannt, die Annexion der Krim durch Moskau, der internationale Proteste und Sanktionen folgten, der Krieg in der Ost-Ukraine. Andere Vorwürfe gegen Putin kommen hinzu, wie Cyberattacken, der Umgang mit Oppositionellen wie Nawalny, Syrien und das Thema Abrüstung.
Man mag die tief sitzende Angst in Russland vor äußerer Bedrohung in der übrigen Welt nicht verstehen, aber vergessen sollte man die Überfälle auf Russland in der Vergangenheit nicht: Napoleons Russland-Feldzug 1812 und der Angriff von Hitler-Deutschland, der sich in wenigen Tagen zum 80mal jährt. Putin könnte sich isoliert fühlen.
Zur Erinnerung: Einer von Putins Amtsvorgängern, Michail Gorbatschow, beendete einst den Kalten Krieg, das Wettrüsten zwischen Ost und West. Die Mauer fiel, die deutsche Einheit wurde möglich, weil Gorbatschow sie zuließ, ohne dass ein Schuss fiel. Der Sozialdemokrat Erhard Eppler, einer der großen Denker der SPD in der Zeit von Willy Brandt und Egon Bahr, den Architekten der neuen Ost- und Entspannungspolitik, hat sich mit dem damals neuen Denken von Gorbatschow beschäftigt. Eppler fasst zunächst die Gedanken Gorbis in einem Satz zusammen, „dass der Rüstungswettlauf auf einen Punkt zuführe, der menschliche Entscheidung über Leben und Tod unmöglich mache, ja ausschließen könne“. Um dann wörtlich aus Gorbatschows Rede zu zitieren: „Der Charakter der modernen Waffen lässt keinem einzigen Staat die Hoffnung, sich allein durch militärisch-technische Mittel zu schützen… Es wäre an sich absurd und unmoralisch, die ganze Welt zur nuklearen Geisel herabzuwürdigen.“ Hochrüstung könne sich „früher oder später jeder Kontrolle entziehen.“ Dass Wettrüsten, so kann man später von Gorbi hören, könne niemand gewinnen und den Nuklearkrieg schon gar nicht. Und ein solches Wettrüsten bringe „objektiv niemandem politischen Gewinn.“ 1985 sagte er vor französischen Parlamentariern: Daher müssen beide Seiten die nicht leichte Kunst erlernen, den Interessen des jeweils anderen Rechnung zu tragen.“ Im übrigen sprach er seinem damaligen US-Gesprächspartner, dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, die gleichen Sorgen um die Sicherheit der Menschen zu, wie er sie habe.
Willy Brandt hat mehrfach die Gedanken Gorbatschows aufgegriffen und etwa so zusammengefasst: Unsere Sicherheit ist eure Sicherheit, eure Sicherheit ist unsere Sicherheit. Heißt auch: Wenn wir uns sicher fühlen, müssen sich auch die Russen sicher fühlen. Gegenseitiges Verständnis ist erforderlich. So hatte Gorbatschow mal auf Fragen des früheren SPD-Chefs Brandt, was er sich denn vom Westen wünsche, geantwortet: „Mehr Verständnis.“ Sich in die Rolle Russlands versetzen, deren Interessen mit berücksichtigen, deren Wünsche, Sorgen. Es hilft nichts: Wir müssen Putin an den Verhandlungstisch bringen, mit ihm reden und nicht auf einen Regime-Change in Moskau spekulieren. Putin ist der Präsident, ob es uns gefällt oder nicht. Ohne ihn gibt es keine Lösung in Syrien, keinen Frieden im Nahen Osten, keinen Frieden in der Ukraine und keine Lösung des Konflikts in Belarus. Vom Spannungsfeld China nicht zu reden.
Die mediale Berichterstattung zum Biden-Besuch ließe sich etwas salopp so zusammenfassen: „Onkel Sam hat uns wieder lieb“. Der CDU-Außenpolitiker Röttgen ließ im DLF verlauten, wie froh er über die neue Führungsrolle der USA ist. So kann sich die EU wieder an den Rockzipfel der USA klammern und sich der überfälligen Aufgabe entziehen, eine eigenständige, an den Interessen Europas orientierte Außenpolitik zu entwickeln. Vor allem aber bleibt zu fragen: Wohin führt sie, die angeblich neue Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik? Doch wohl in die Konfrontation mit China und selbstverständlich Rußland? Dafür sollte sich die EU und vor allem auch Deutschland nicht instrumentalisieren lassen.
Auffallend ist, das die NATO seit geraumer Zeit ein neues Feindbild sucht, um ihre Daseinsberechtigung zu legitimieren. Da kommt China gerade recht. Natürlich geschieht das alles unter dem Signum „Menschenrechte und Demokratie“. Sind die USA wirklich der ideale Ratgeber in diesen Fragen? Die Zustände im eigenen Land sprechen für sich. Ein reiches Betätigungsfeld täte sich hier auf. In Wirklichkeit geht es um ökonomische Interessensphären und Hegemonie. So haben es die USA immer gehalten und waren in der Wahl ihrer Mittel und Partner nicht gerade zimperlich.
Es fragt sich mithin: Ist dass alles auch im Interesse der EU oder Deutschlands? Und: wo ist eigentlich die Stimme des deutschen Außenministers? Lediglich Rolf Mützenich, der SPD-Fraktionsvorsitzende, hat noch einmal darauf hingewiesen, dass Abrüstung und Verständigung die Säulen sein sollten, auf der die deutsche und EU-Außenpolitik ausgerichtet sein sollten.
Wenn ich mir vorstelle, dass künftig ein Herr Habeck Außenminister werden könnte. Davor graut mir!