Die Uhr läuft. Nach fast zwanzig Jahren Einsatz in Afghanistan räumen die internationalen Truppen das Feld. Spätestens am 11. September werden die Kontingente abgezogen sein. Und für die Bundeswehr soll die schwierige Mission am Hindukusch schon im Juli endgültig Geschichte sein. Während die logistische Herausforderung der Rückverlegung zur Zufriedenheit des Bundesverteidigungsministeriums gemeistert wird, werden die Sorgen immer größer, was mit jenen Afghanen geschehen wird, die den Einsatz der fremden Truppen als „Ortskräfte“ ermöglicht haben: Übersetzer, Wachleute, Helfer in den Camps. Sie fürchten die Rache der Taliban dafür, da sie mit den „Besetzern“ kooperiert haben.
Nicht nur sie sehen diese Gefahr. Eine breite Initiative von Militärs, ehemaligen Generalinspekteuren, Politikern, Diplomaten, Journalisten, aktiven Bundeswehrsoldaten fürchtet um die Sicherheit dieser Helfer – sie haben die Bundesregierung aufgerufen, all diesen Menschen unbürokratisch die Ausreise nach Deutschland zu ermöglichen.
„Zurückgekehrte Soldaten, Entwicklungsexperten und Polizisten sind immer wieder voll des Lobes über die Ortskräfte, die oftmals ihre guten Kollegen und Kameraden wurden. Für sie ist es unbegreiflich und beschämend, wie abweisend inzwischen von deutscher Seite mit vielen ihrer afghanischen Kollegen und Kameraden umgegangen wird“, schrieb der ehemalige Grünen-Abgeordnete und Afghanistan-Kenner Winfried Nachtwei. Es sei „menschlich und politisch verheerend“, wenn diese Menschen von der deutschen Politik im Stich gelassen würden.
Für die Unterzeichner des von Thomas Rutig, langjähriger Diplomat und jetziger CO-Direktor der unabhängigen Forschungseinrichtung „Afghanistan analyst network“, initiierten Aufrufs, ist es unverständlich, dass das federführende Bundsinnenministerium nur den etwa 520 „Ortskräften“ Hilfe anbieten will, die in den letzten zwei Jahren für deutsche Einrichtungen gearbeitet haben. Rutig nennt in der Frankfurter Rundschau eine „nicht ganz niedrige vierstellige Zahl“ jener, die durch ihre Unterstützung deutscher Militär-, Entwicklungs- oder Polizeieinsätze gefährdet seien.
Zudem befürchtet die Initiative, dass das bürokratische Verfahren, in dem die Ortskräfte ihre Gefährdung nachweisen müssen, zu zeitaufwendig sei, um noch vor dem Abzug der Bundeswehr greifen zu können.
Erschwerend kommt hinzu, dass die deutschen Behörden den für die Ausreise anerkannten Ortskräften zumuten, sich selbst um Flüge nach Deutschland zu kümmern, statt den Transport als Service für lange willkommenen Helfer zu organisieren. Thomas Wiegold, Mitunterzeichner und Journalist des wichtigen sicherheitspolitischen Blogs www.augengeradeaus.net , verweist im Gegensatz dazu auf die offensichtliche Bereitschaft der US-Regierung, ihre Ortskräfte in großem Umfang auszufliegen. Während das Bundesverteidigungsministerium auf eine kulantere und unbürokratischere Hilfe für die verängstigten Afghanen drängt, beharren das Außenministerium und vor allem das federführende Innenministerium unter seinem Chef Horst Seehofer nach Medienberichten auf dem angesagten Vorgehen. Nach Informationen des Berliner Tagesspiegel will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt endlich des Themas annehmen. Viel Zeit bleibt ihr bis zum endgültigen Abzug der Bundeswehr im Juli nicht. Es wäre nur menschlich, wenn sie den einheimischen afghanischen Helfern mit ihrem Eingreifen signalisieren würde: Deutschlands Sicherheit ist am Hindukusch auch durch Ortskräfte, Übersetzer, Wachleute oder Köche verteidigt worden.
Bildquelle: ISAF Headquarters Public Affairs Office, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons