Auftrag erledigt. Mit dieser Erfolgsmeldung ist Jair Lapid in letzter Minute zum israelischen Präsidenten gegangen. Der hatte ihm im März den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Zuvor war der langjährige Premier Benajamin Netanjahu wiederholt daran gescheitert und alles lief auf Neuwahlen zu – die fünften in zwei Jahren. Doch Oppositionsführer Lapid vollbrachte eine verblüffende historische Einigung. Unter dem Motto „Alle gegen Bibi“ schmiedete er eine Koalition aus acht (!) Parteien, die programmatisch unterschiedlicher nicht sein könnten und die allein das Ziel eint, Netanjahu und seine nationalkonservative Likud-Partei nach zwölf Jahren von der Macht fernzuhalten.
Die Erfolgsaussichten einer solchen Zweckgemeinschaft sind natürlich fraglich. Gemeinsame Regierungsprojekte bewegen sich eher im Verwalten als im Gestalten. Im Konflikt mit den Palästinensern sind die Positionen der ungleichen Partner diametral entgegengesetzt; sie reichen von vollständigem Abzug aus den besetzten Gebieten und Zwei-Staaten-Lösung bis hin zur gewaltsamen Annexion.
Bemerkenswert ist immerhin die Beteiligung einer rein arabischen Partei, der Ra‘am von Mansur Abbas, und dass auch die Falken mit denen in einer Regierung gemeinsame Sache machen. Allerdings ist noch ungewiss, ob wirklich alle Knesset-Abgeordneten des Bündnisses in der Parlamentsabstimmung zum Koalitionsvertrag stehen. Der sieht vor, dass zunächst Naftali Bennett von der ultrarechten Jamina-Partei neuer Regierungschef wird und Lapid ihn nach zwei Jahren ablöst. Bis dahin will der 57-jährige Chef der liberalen Zukunftspartei Außenminister sein. Das Innenministerium soll ebenfalls an Jamina gehen; als Verteidigungsminister ist Benny Gantz von der Zentrumspartei Blau-Weiß vorgesehen. Die linke Meretz-Partei erhält das Gesundheitsministerium; die Arbeitspartei das Transportministerium.
„Diese Regierung wird für alle Bürger von Israel arbeiten“, erklärte Lapid auf Twitter und: „Sie wird alles tun, um die israelische Gesellschaft zu einen.“ Auf der anderen Seite wird allerdings Netanjahu alles tun, um die Regierungsbildung noch zu verhindern. Der Likud-Politiker, dessen Karriere als Bürgermeister von Jerusalem begann, steht wegen Korruptionsvorwürfen juristisch unter Druck. Er weiß zwar, wie Opposition geht. Nach einer ersten Amtszeit von 1996 bis 1999 blieb ihm das Amt des Premierministers zehn Jahre versagt. Doch seither, seit 2009 war er durchgängig Regierungschef – so lange, wie keiner vor ihm – und hat die persönlichen Annehmlichkeiten des Amtes zu schätzen gelernt.
Er kämpft mit allen Mitteln um die Macht. Die jüngste Gewalteskalation mit der Hamas im Gazastreifen war ihm aus innenpolitischen Erwägungen heraus gelegen gekommen. Mit seiner massiven militärischen Reaktion zielte er bereits auf den erwarteten neuerlichen Wahlkampf. Die nächsten Tage bis zur Abstimmung im Parlament wird er nichts unversucht lassen, einzelne Abgeordnete aus der ungewöhnlichen Koalition herauszubrechen. Auch aus diesem Grund drängt Lapid auf eine möglichst rasche Entscheidung. Erst, wenn die Mehrheit in der 120-köpfigen Knesset steht, wird seine nächtliche Erfolgsmeldung an den Präsidenten bekräftigt und das große Experiment beginnt.
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