Die Opposition ist in diesen Wochen ohne Chance. Das hat eine der Anführerinnen der belarussischen Opposition, Svetlana Tichanovskaja, in ihrem Exil in Litauen gesagt. Alexander Lukaschenko, der Machthaber hat seine Reihen zusammen- und geschlossen gehalten. Seine Gegner hat er bedrängt, verfolgt, verprügelt, verhaftet, vor Gericht gestellt, eingesperrt. Im letzten halben Jahr sollen es mehr als 35 000 sein. Mehr als 3000 Gerichtsverfahren hängen noch an.
Die Opposition – das ist sein erklärtes Ziel – soll vernichtet, ein weitgehend unabhängiger Journalismus abgeschafft werden. Internetforen verboten. Deren Mitarbeiter festgenommen. Das ist der Politik-Stil des Diktators. Tichanoskaja, ihre Freunde, ihre Verbündeten sagen, sie seien derzeit chancenlos. Das sah vor einem dreiviertel Jahr – kurz nach den wohl sehr betrügerischen Wahlen in Belarus-noch ganz anders aus: „Der belarussische Protest trägt etwas Naturartiges in sich“, schreibt Iryna Herasimovich, Übersetzerin, Kuratorin und Lektorin in Minsk, und fährt fort: „…er ist wie eine Pflanze, die in vielen Richtungen wachsen kann, sie kann groß oder klein sein, manchmal schon fast nicht mehr zu erkennen, um sich dann mit neuer Kraft an die Oberfläche zu wagen. Wie alles Naturartige ist der Protest und verletztbar zugleich, vor allem aber birgt er die Energie von etwas Lebendigem.“
Sie hat das – wie gesagt – im September vorigen Jahres geschrieben …Und heute, in diesen Tagen, wie ist die Situation der Opposition, die Lage im Land? Vitali Alekseenok ist 30 Jahre alt. Er ist Belarusse, Dirigent, hat im März dieses Jahres im S. Fischer Verlag sein Buch „Die weißen Tage von Minsk – Unser Traum von einem freien Belarus“ veröffentlicht. Alekseenok erinnert sich an das Land, welches er im September 2020 so froh und voller Hoffnung verlassen hat und in das es vor einigen Wochen zurückkehrte: „Auf den Straßen stieß ich auf kaum etwas, das von den Ereignissen der vergangenen Monate zeugte. Mein Minsk sah aus wie ein Atlantis mit versunkenen Hoffnungen, es war eine Nekropole voller Gedenktafeln.
Die Cafes, in denen wir uns nach den Protesten im September trafen, waren nun geschlossen und ihre Besitzer verhaftet. Auch die Gäste waren unauffindbar: Viele befanden sich im Ausland, einige im Gefängnis.“ Und dann: „Während im vorigen Jahr die Gewalt unmittelbar sichtbar war und sich auf bestimmte Tage der Proteste konzentrierte, erstreckt sie sich jetzt sehr viel weniger merklich über Monate.Das Regime hat die Flammen der Repression geschürt, die einen großen Teil des Protestes aufzehren…. den Menschen wird ihre Zukunft gestohlen.“ Die Pflanzen der Opposition, von denen Iryna Herasimovich schreibt, sollen herausgerissen, zertrampelt, verbrannt werden. Unter den Augen der Vertriebenen, ins Exil gegangenen Frauen und Männer, unter dem zynischen Grinsen der verkleideten Narren der Macht in Minsk, unter den Augen Europas. Die Protestlieder auf den Straßen von Hrodna, Witebs, Baryssau und Minsk sind verklungen, selbst das bekannte „Kapulinka“, wohl so etwas wie die Hymne der Opposition. Jeder kennt es… auch die uniformierten OMON – Schläger der Macht. Es ist das Lied von einer Frau, die Rosen schneidet, die sich die Hände dabei verletzt. Den Refrain singen alle: „Dunkle Nacht, doch wo ist Deine Tochter, Kapulinka?“
Sehr viele Mütter wissen nicht, wo ihre Töchter, wohin verschwunden sie sind nach den Demonstrationen. Was ihnen geschah? Die Zeiten, in denen es in Belarus gemütliche, bequeme Ecken hab, sind vorbei und werden es für lange Zeit auch bleiben. Die Menschen sind erschöpft. das Land ist es auch. Dennoch: der Protest kann in diesen Wochen nicht mehr stattfinden, aber er ist nicht weg.
Die illegale Festnahme des jungen Bloggers Roman Protassewitsch ist ein Beleg dafür, aber auch ein Beweis der Macht des Systems mit einer Botschaft an die Opposition: Verhandelt wird nicht! Und eben genau das war es, was Svetlana Tichanovskaja gewollt hatte, verhandeln. Daraus wird auf absehbare Zeit nichts. Auch nichts wird daraus, daß der Machthaber sich Sanktionen beugen wird. Muß er es aus seiner und aus Moskauer Sicht auch nicht. Die EU – Sanktionen pieksen, sie verletzen, sie schmerzen nicht, bedrohen das System nicht. Das ist schlecht für die vielen Inhaftierten, Verschwundenen, Angeklagten, Exilanten. Die oben, die Machthaber in Minsk, können noch. Und die unten wollen noch, obwohl sie in großer Bedrängnis sind.
Bildquelle: Kremlin.ru, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons