Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir noch einmal die Rezension vom 25. Mai 2021 der Autobiographie über Kamala Harris. Die Vizepräsidentin könnte als erste Schwarze Präsidentin der USA werden, nachdem Joe Biden auf eine erneute Kandidatur verzichtet hat.
„Du kannst die Erste sein, aber bleib nicht die Einzige“, lautet einer der Kernsätze von Kamala Harris, der heutigen Vizepräsidentin der USA, in ihrer Autobiographie „Der Wahrheit verpflichtet„. Der Kernsatz stammt von ihrer Mutter Shyamala und er beschreibt ihren Ehrgeiz, den sie braucht, um den Weg nach fast ganz oben erfolgreich zu gehen. „Du musst als Einwandererkind besser sein als andere und jederzeit alles geben.“ Kamala Harris will mehr Gerechtigkeit in ihrem Land, auch und gerade für Einwandererkinder, für Schwarze, mehr Gleichberechtigung, die Tochter eines jamaikanischen Wissenschaftlers und einer indischen Krebsforscherin kämpft gegen Rassismus in den USA. Es ist meiner Meinung ein lesenswertes Buch, auch wenn der Chef-Kritiker aus Köln, Denis Scheck, dessen Rezensionen ich sehr schätze und die ich oft im Berliner „Tagesspiegel am Sonnstag“ lese, das Werk der Autorin verrreißt, weil er es als „populistisch und flach“ einstuft. Es bricht ihm fast das Herz, lese ich Denis Schecks Kritik, „dass eine kluge Frau wie sie, ein Symbol meiner Hoffnung“, eine solche Autobiographie schreibe.
Das Buch beschreibt das Leben der Kamala Harris. Ja, es ist schade, dass es 2019 endet und damit weit vor ihrer Nominierung und ihrer Wahl, vor dem Sieg von Joe Biden und der Niederlage von Donald Trump. Aber wer diese Frau bei der Amtseinführung im Fernsehen gesehen, ihre Ausstrahlung genossen hat, die fröhlich war, der ist neugierig auf den Lebensweg dieser zielstrebigen Juristin, die kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn sie die beklagenswerten Zustände im reichsten und mächtigsten Land der Welt anklagt, die Armut und die Ungerechtigkeit, die Millionen und Abermilllionen von Amerikanern täglich erfahren, während die wenigen Reichen im Land immer reicher werden. Wer etwas über Amerika lesen will, der sollte das Buch zur Hand nehmen.
Der amerikanische Traum
Der amerikanische Traum erfüllt sich nicht für jeden, sondern im Grunde nur für eine MInderheit. Es ist ein Zufall, dass ich das Buch von Kamala Harris jetzt gerade zu Ende gelesen habe, da Amerika des Todes von George Floyd gedenkt, der vor einem Jahr von einen weißen Polizisten derart mit dem Knie am Hals mälträtiert wurde, dass ihm die Luft wegblieb und er starb. Aber es ist eines ihrer Themen, ihrer Schwerpunkte, die sie in dem Buch bewusst setzt. Die Sprache der Gewalt und die fehlende Gleichberechtigung, die mangelnde Gerechtigkeit, die sozialen Klüfte in Amerika. Dass Joe Biden anders ist als Trump, dass er und Kamala Harris ein menschlicheres Amerika wollen, zeigt schon die Tatsache, dass der US-Präsident die Verwandten, die Hinterbliebenen von Floyd an dessen Todestag aufsucht, etwas, was der Amtsvorgänger Trump nicht fertigbrachte.
„In den Jahren, die seither vergangen sind (gemeint seit der Wahl Trumps)musste ich mit ansehen, wie die Regierung sich zu Hause auf die Seite der Rassisten stellte und im Ausland bei Diktatoren einschmeichelte; wie sie Müttern ihre Babies entriss und damit in grotesker Weise gegen Menschenrechte verstieß; wie sie Konzerne und Reichen riesige Steuergeschenke machte und die Mittelschicht vergaß; wie sie unseren Kampf gegen den Klimawandel torpedierte, das Gesundheitswesen sabotierte und das Recht der Frauen in Frage stellte, über ihren eigenen Körper zu bestmmen; und wie sie gleichzeitig auf alles und jeden einschlug, darunter auch auf die freie und unabhängige Presse.“ Das ist auch Amerika, oder war es unter Trump. Ob Harris Recht behält mit ihren Sätzen: „Das sind wir nicht. Wir Amerikaner wissen, dass wir besser sind. Aber wir müssen es unter Beweis stellen“, wird sich zeigen. Denn die gleiche Harris räumt ein, dass in den USA „der Rassismus eine Realität ist, und die Polizei ist davon nicht ausgenommen.“ Und noch eine andere Wahrheit müsse ausgesprochen werden: „In den Vereinigten Staaten sind brutale Übergriffe der Polizei an der Tagesordnung.“ Man könne nicht mehr so tun, als gäbe es das nicht. „Wir können nicht mehr wegsehen, wenn wir das Video des unbewaffneten Walter Scott sehen, der vor einem Polizeibeamten flüchtet und von diesem in den Rücken geschossen wird. Wir können nicht mehr weghören, wenn Philando Castiles Freundin entsetzt aufschreit, nachdem ein Polizeibeamter sieben Mal auf ihn geschossen hat, weil er seinen Führerschein herausholen wollte.“ Oder ein paar Zeilen weiter: „Wenn Menschen fürchten müssen, von der Polizei auf der Straße schikaniert, geschlagen und getötet zu werden, können wir dann wirklich behaupten, dass wir in einer freien Gesellschaft leben?“
Zugegeben, die Tonlage ähnelt dem Kampagnenmodus. Manches Detail wirkt überflüssig, sprachlich überbordend, eben das typisch amerikanische Pathos, aber das hört man selber, wenn man durch Amerika fährt und es mit Amerikanern zu tun hat. Andererseits ist ihre Sprache unmissverständlich. Sie zählt auf, was in ihrem Land real ist, dass dazu Rassismus und auch Antisemitismus gehören sowie Sexismus. Die Beispiele, die sie aufschreibt, sind erschütternd. „In Städten wie Baltimore, in denen die Rassentrennung bis heute real ist, haben die Bewohner von armen Schwarzen Vierteln eine um zwanzig Jahre geringere Lebenserwartung als die Bewohner wohlhabenderer weißer Viertel.“
Kampf gegen Banken und für Bürger
„Ich will die Wahrheit aussprechen.“ Betont die 1964 in Oakland geborene Frau, die nach dem Jurastudium Bezirksstaatsanwältin von San Francisco wird, später Generalstaatsanwältin, zur Justizministerin von Kalifornien aufsteigt und schließlich 2017 US-Senatorin der Demokraten wird. Und immer verschreibt sie sich ihren Themen, kämpft gegen soziale Diskriminierung. Ihr Lebensweg zeigt den Mut dieser Frau, ihr Rückgrat, das sie braucht, als sie sich mit den mächtigen Banken anlegt und dem Big Business, um den einfachen Bürgern zu helfen. Die Immobilienkrise hat vielen Amerikanern das Haus gekostet und sie in Schulden gestürzt.
Dass Kamala Harris Vizepräsidentin der USA geworden ist in einem Moment, da das Land gespalten ist wie lange nicht, ist gewiss mehr Zufall denn Schicksal, aber es passt. Weil Gleichheit und Einheit zu dieser Amerikanerin passen. Die Karriere dieser Frau muss noch nicht zu Ende sein, da der amtierende Präsident Biden-er wird im November 79- in einem Alter ist, das man vorgerückt nennen darf. Und man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass die erste Schwarze als Vizepräsidentin eines nicht zu fernen Tages durchaus als erste Schwarze auf dem Stuhl des Präsidenten der USA Platz nehmen könnte. Auch das macht das Buch interessant.
„Der Wahrheit verpflichtet“? Als Chefstaatsanwältin beugte sie das Recht in zahllosen Fällen, hielt erwiesen Unschuldige im Knast und deckte Ankläger, die unter Eid logen, sowie Mitarbeiter, die Drogen dealten und Beweise fälschten:
https://www.nytimes.com/2019/01/17/opinion/kamala-harris-criminal-justice.html
https://www.sfgate.com/bayarea/article/Judge-rips-Harris-office-for-hiding-problems-3263797.php
https://www.abajournal.com/news/article/epidemic_of_brady_violations_decried_in_kozinski_opinion
http://www.allgov.com/usa/ca/news/california-and-the-nation/kamala-harris-flips-on-murder-case-after-federal-court-rips-prosecutorial-misconduct-150204?news=855570
https://www.huffpost.com/entry/kamala-harris-truancy-arrests-2020-progressive-prosecutor_n_5c995789e4b0f7bfa1b57d2e
https://youtu.be/wO9EV3-fd1o?si=kpa9siZ57Fvsphk8 (CNN)