Mit trauriger und tödlicher Regelmäßigkeit bricht der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern wieder auf. Die Eskalation der Gewalt birgt die Gefahr eines weiteren Krieges im Nahen Osten. Um diese Gefahr zu bannen und die Region dauerhaft zu befrieden, helfen die alten Rezepte nicht. Gebraucht wird eine Friedenskonferenz für den Nahen Osten, in der – nach dem Vorbild der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) – ein umfassender und gerechter Ausgleich entworfen wird.
Der Konflikt ist vielschichtig, und herkömmliche diplomatische Bemühungen haben sich als untauglich erwiesen. Nach den Osloer Verträgen, die zentrale und bis heute ungelöste Streitfragen – auch den Status von Jerusalem – ausklammerten, hat es keine nennenswerten Fortschritte gegeben. Das hat viele Ursachen, und die wohl gravierendste liegt in den jeweiligen Regierungen beider Konfliktparteien.
Der langjährige israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat keine Anstrengungen erkennen lassen, eine belastbare gewaltfreie Beilegung des Konflikts auch nur anzustreben. In seiner gegenwärtig misslichen innenpolitischen Lage kommt ihm die Aggression der radikalen Hamas sogar zupass. An Deeskalation zeigt er kein Interesse, solange ihm Machtverlust und juristische Verfolgung drohen. Die einstmals starke israelische Friedensbewegung ist in der nationalistisch radikalisierten Innenpolitik unter die Räder gekommen.
Auf der anderen Seite spitzt sich der innerpalästinensische Machtkampf zwischen der Hamas im Gazastreifen und der gemäßigten Fatah im Westjordanland zu. Die nach 15 Jahren längst fälligen Wahlen sind erneut verschoben. Die Unzufriedenheit mit der eigenen politischen Führung wächst. Das unerfüllte Versprechen einer demokratischen Entwicklung befördert den Beifall für die gewalttätige Konfrontation. Das Gefühl von Unterdrückung und Ausgeliefertsein führt den terroristischen Scharfmachern neue Anhänger zu.
Die Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten sind katastrophal. Die aggressive Siedlertätigkeit, die sich jetzt auch auf Ostjerusalem erstreckt, schafft demütigende Fakten. Der Gazastreifen wird lange schon als größtes Gefängnis der Welt bezeichnet. Das Tunnelsystem, das die israelische Luftwaffe in diesen Tagen gezielt bombardiert, ist die Verbindung nach draußen. Lebenswichtig für alle Güter, hier werden Nahrungsmittel, selbst Wasser und Medikamente transportiert ebenso wie Waffen und Munition.
Mit massiven Bombardements antwortet Israels Regierung auf den Raketenhagel aus dem Gazastreifen. Netanjahu demonstriert Entschlossenheit, nicht nur die militärischen Anlagen der Hamas, sondern auch ihre Führung zu treffen. In Israel selbst entfacht die kriegerische Gewalt Hass zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung. Die Gefahr eines Bürgerkriegs zieht auf. Ein Anhalten der Gewaltspirale ist nicht in Sicht. Aus eigener Kraft finden die politischen Führungen beider Seiten keinen Ausweg.
Die Vereinten Nationen bemühen sich redlich um Mäßigung, doch ihr Einfluss ist durch die Selbstblockade im Sicherheitsrat begrenzt. Die USA haben in den unseligen Trump-Jahren wichtige Fäden zerrissen und die Akzeptanz eines fairen Vermittlers verspielt. Wenn US-Präsident Joe Biden zwar mit Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas telefoniert, aber keinen auch nur geheimen Kontakt zu Hamaschef Ismail Hanija hat, geht der gute Wille ins Leere.
Die Europäische Union zeichnet sich ebenfalls durch Untätigkeit aus, und die arabische Welt, die mit den vielen anderen Konfliktherden in der Region genug zu tun hat, scheint das Interesse an den Palästinensern verloren zu haben. Die jedenfalls fühlen sich von den jüngsten Schritten zur Normalisierung zwischen Israel und einigen arabischen Ländern verraten. Sie hätten sich gewünscht, dass an solche Vereinbarungen Verbesserungen für die besetzten Gebiete geknüpft würden.
Eine große Nahostkonferenz ist das Gebot der Stunde, damit sich für die Region eine friedliche Perspektive entwickeln kann. Daran muss insbesondere auch Europa mit seiner Nähe zu dem Pulverfass ein Interesse haben, und die Erfolgsgeschichte der KSZE ist ein Anlass, die Initiative zu ergreifen. Natürlich sitzen in einer solchen Konferenz dann auch missliebige Gesprächspartner mit am Tisch, neben Hanija und seiner Hamas auch Russlands Präsident Wladimir Putin. Das mag nicht jedermann gefallen, aber wenn die Gewalt verstummen soll – dauerhaft, und nicht nur in einem brüchigen Waffenstillstand – führt an einem ehrlichen Dialog kein Weg vorbei. Wegsehen, Verweigern und Ignorieren jedenfalls sind angesichts der blutigen Eskalation nicht länger zu ertragen.
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