Die NATO, präziser der amerikanische Präsident Joe Biden, hat beschlossen nach 20 Jahren Krieg gegen die Taliban den Krieg zu beenden. Die modernen hochgerüsteten Armeen waren erfolglos. Ein Guerilla-Krieg in dem 3.596 junge Nato-Soldaten, davon sind 57 Deutsche gestorben. Für wen, oder was, sind sie gestorben? Wer trägt dafür in einer Parlamentsarmee die Verantwortung? Sind sie tatsächlich für „Demokratie“ oder „Menschenrechte“ gefallen, wie uns die Bundesregierung und die NATO suggerieren wollten? Allein die deutschen Kriegskosten betrugen 47 Milliarden Euro. Die meisten deutschen Medien übten sich in Selbstzensur über die Kriegstoten und verbrannten Steuergelder.
Die USA hatten keine so hoch fliegenden Pläne wie die hilfswilligen Deutschen. Ihnen ging es wie immer um massive Wirtschaftsinteressen. Der Grund für die Intervention war die, seit den 90er Jahren von einem us-saudiarabischen Konzern projektierte Öl-Pipeline von Turkmenistan über Afghanistan, Pakistan bis nach Indien. Deshalb ließ der CIA die Mudjahedin hauptsächlich aus den Flüchtlingslagern in Pakistan und dem ngrenzenden
Iran bewaffnen. Daraus organisierten sich später die Taliban. Aus heutiger Sicht haben sich alle deutschen Regierungen als Hilfswillige immer den US-Machtinteressen unterworfen. Auch die deutschen Leitmedien wurden in diese geopolitische Strategie integriert. Erinnern wir uns an die Rücktrittsgründe vom Bundespräsidenten Horst Köhler: Er sagte in einem Interview während eines Rückfluges von Afghanistan: „Notfalls sei auch
militärischer Einsatz notwendig (…………) um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege.“ Ein Sturm der Entrüstung brach los, man warf ihm vor, die Bundeswehreinsätze in Zusammenhang mit deutschen wirtschaftlichen Interessen gebracht zu haben. Die Sätze des etwas naiven Präsidenten waren nichts als die Wahrheit. Den aktuellen Bundeswehreinsätzen z.B. in Mali geht es gemeinsam mit Frankreich um die Kupferlagerstätten am Horn von Afrika um die Handelsroute.
Als der verstorbene Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt mit der Aussage des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck konfrontiert wurde, dass Deutschland am Hindukush verteidigt werden müsse, meinte dieser in einer Talkshow nur kurz und klar: „Quatsch!“ Manche Kommentatoren in der deutschen Presse vermuteten daraufhin bei ihm ein „Opasyndrom.“
Um manches von dem erklären zu können, was Afghanistan im Jahr 2006 zermürbte, hilft ein Blick zurück auf die vergangenen Jahrzehnte – auf eine Periode, in der König Zahir Shah noch Galionsfigur einer maroden Monarchie war und ein Land zu regieren suchte, das schon damals mit seinen 27 Millionen Einwohnern und 5 ethnischen Stämmen nur äußerst fragile staatliche Strukturen zuließ.
Die Führer der wichtigsten Stämme – der Paschtunen, Tadschiken, Usbeken und Hazaras – rivalisierten miteinander und betrachteten den Staat – sofern sie ihn überhaupt akzeptierten – bestenfalls als Reservoir unerschöpflicher Pfründe, an denen man teilhaben wollte. Damals schon, Mitte der sechziger Jahre, stellte der Islam, zu dem sich 99 Prozent
der Afghanen bekannten, dank seiner vielen Strömungen alles andere als ein einigendes nationalreligiöses Band dar. Die Landbevölkerung entbehrte positive Erfahrungen mit der Zentralregierung, also galt ihre Loyalität zuallererst dem schützenden Stamm und seinen Führern und der Großfamilie.
Als nach einer verheerenden Hungersnot ein ohnehin schon riesiges Staatsdefizit regelrecht zu explodieren drohte, putschten am 17. Juli 1973 junge Offiziere, die der kurz zuvor gegründeten Volkspartei (DVPA Demokratische Volkspartei Afghanistans) angehörten. Der Monarch trat zurück. Ihr neuer Favorit hieß Mohammed Daud, ein Vetter
des Königs und dazu auserkoren, die vagabundierende Macht zu übernehmen. Die Kader der DVPA stammten vorzugsweise aus dem städtisch-kleinbürgerlichen Intellektuellenmilieu und hatten nur vage Vorstellungen von linken Theorien, wurden aber von ihren Feinden sofort als „Marxisten“, „Kommunisten“ – auf jeden Fall als hassenswerte „Ungläubige“ stigmatisiert. Mohammed Daud ließ sich von ihnen zum Präsidenten ausrufen, ging aber bald zur offenen Repression gegen die Volkspartei über. Als sich das Gerücht verbreitet hatte, Teile der DVPA-Führung sollten liquidiert werden, kam es zu einem weiteren Staatsstreich – diesmal gegen Daud.
Am 27. April 1978 übernahm Nur Mohammed Taraki für die DVPA das Amt des Premierministers, um postwendend radikale Reformen einzuleiten – neue Ehe- und Scheidungsgesetze, ein Programm zur Alphabetisierung und eine Agrarreform erschütterten die teils noch halbfeudalen Strukturen. Rückblickend meint dazu der heute im Exil lebende und an der Marburger Universität lehrende Professor Matin Baraki: „Bei der Bodenreform unterliefen den Verantwortlichen gravierende Fehler, indem sie die
Stammesrechte und die Rolle der Geistlichkeit schlichtweg ignorierten. Nicht selten waren die Großagrarier zugleich Stammes- oder geistliche Führer, was eine Aufteilung des Landes an Stammesmitglieder nicht eben erleichterte.“
US-Politik ohne Respekt vor Andersdenkenden
Die Radikalität der Reformversuche, Nepotismus und der Mangel an sensibler Konsenssuche bei potenziellen Partner jenseits des Säkularismus der DVPA und des Dogmatismus der Islamisten führten zum Erstarken der Gegner des Umbruchs. Bewaffnete Mudjahedin eroberten mehrere Provinzen, so dass die Regierung in Kabul gemäß Artikel 4 des afghanisch-sowjetischen Freundschaftsvertrages die Regierung in Moskau seit März 1979 mehrfach um Militärhilfe und die Entsendung von Truppen ersuchte. Als dann im September 1979 Vizepremier Hafizullah Amin an Stelle des mit
einem Kissen erstickten Taraki die Regierungsgewalt an sich riss und der innere Zwist die DVPA zu lähmen drohte, zeichnete sich mit dem Vormarsch der Mudjahedin erstmals die Möglichkeit eines wachsenden Einflusses der USA auf Afghanistan und damit in direkter Konfrontation zur Sowjetunion ab. Die daraufhin im inneren Führungszirkel des damaligen
Parteichefs Leonid Breschnew Ende 1979 beschlossene Intervention von 80.000 sowjetischen Soldaten sollte sich bald als gravierende Fehlentscheidung erweisen. Aber erst jetzt wurden die inneren Konflikte Afghanistans endgültig internationalisiert.
Rigoros, ja pathologisch, wie US-Administrationen im Kalten Krieg auf alles reagierten, was nach Kommunisten roch, waren die Mudjahedin bereits vor dem Einmarsch der Sowjets über Pakistan unterstützt worden. Der ehemalige CIA-Direktor Robert Gates schreibt in seinen Memoiren: „Wir haben die Russen nicht gedrängt zu intervenieren, aber wir haben die Möglichkeit, dass sie es tun, wissentlich erhöht.“
Unter der Regie der CIA und des pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI wurde Afghanistan zu einem Frontstaat des Kalten Krieges, in dem eine islamische Guerilla gegen die sowjetische Armee kämpfte. Allerdings gelang es den Mudjahedin trotz des massiven Beistands der Amerikaner bis zum Abzug der Sowjets im Februar 1989 nicht, die größeren Städte zu erobern. Erst am 25. April 1992 wurde Kabul durch Vermittlung der UNO kampflos übergeben und mit Seb Jhatulla ein gemäßigter Islamist erster Präsident
der „postkommunistischen Ära“.
Der von den Menschen sehnlich erhoffte Frieden kehrte freilich nicht ein. Die Sieger kämpften gegeneinander und gegen die „Ungläubigen“ im eigenen Volk. Eine Fraktion in diesem immer erbarmungsloser geführten Bürgerkrieg bildeten die Taliban, die hauptsächlich in pakistanischen Flüchtingscamps rekrutiert wurden. Die Entscheidung, sie als eigenständige militärische und politische Einheit operieren zu lassen, ging auf die
Regierungen der USA, Pakistans und Saudi-Arabiens zurück, die nicht zuletzt an einem Pipeline-Projekt interessiert waren, mit dem Öl und Gas aus Mittelasien über Afghanistan zum Indischen Ozean transportiert werden sollte. Die nach 1992 gebildete Regierung des Präsidenten Burhanuddin Rabbani hatte das Versprechen, dieses Vorhaben zu fördern,
nicht einhalten können.
Schlange im Ärmel
Es war nie ein Geheimnis, dass an der seit 1994 zugunsten der Taliban forcierten militärischen Eskalation reguläre pakistanische Trupppen beteiligt waren. Geld für die Gotteskrieger aus dem Medrasa, den traditionellen islamischen Schulen, kam besonders aus saudischen Quellen, glaubte doch die Führung in Riad, die Taliban könnten eine Form
des Wahhabi-Islam, wie er in Saudi-Arabien herrscht, in Afghanistan durchsetzen. Der saudische Geheimdienst Prinz Turki al-Faisal arbeitete eng mit Pakistan zusammen und schenkte den Taliban Tausende von Geländefahrzeugen.
Als die Gotteskrieger schließlich am 27. September 1996 Kabul eroberten, war die USRegierung unter Bill Clinton nicht nur zu fortgesetzter Hilfe bereit, sondern erkannte aus das theokratisch-autoritäre Regime des Mullah Mohammed Omir Akhund umgehend an. Doch war es selbst den Taliban nicht möglich, die Sicherheit beim Bau der Öltrasse vom
turkmenischen Daulat Abach durch Afghanistan nach Moltan in Pakistan zu garantieren. Die Unacal Corporation, Mehrheitsgesellschafter des amerikanisch-saudischen Ölkonzerns Centgas, musste das Projekt 1998 wegen fehlender Sicherheit auf Eis legen – die Alliierten in Kabul hatten versagt, also wurden aus „islamischen Freiheitskämpfern“ bald „menschenverachtende Terroristen“, die nach dem 11. September 2001 das Feinbild Nr. 1 auf der „Achse des Bösen“ abgaben. „Wer eine Schlange in seinem Ärmel hausen lässt, wird eines Tages von ihr gebissen“, lautet ein afghanisches Sprichwort.
Zwar haben die USA die afghanischen Kartenhäuser ihrer egozentrischen Außenpolitik letzten Endes selbst zum Einsturz gebracht, freilich ohne dabei irgendwas zu riskieren – geschweige denn zu lernen. Nach ihrer Intervention, die am 7. Oktober 2001 begann und zum Sturz der Taliban führte, setzten sie sich in Kabul mit Hilfe einiger „US-Afghanen“ wie
des späteren Staatschefs Hamid Karzai auf die gewohnt rüde Weise durch. Der im Dezember 2001 vom damaligen deutschen Außenminister Fischer gefeierte diplomatische Erfolg der Petersburger Afghanistan-Konferenz sollte unter diesen Umständen zum Public-Relations-Blendwerk degradiert werden. Die heutige afghanische Regierung fühlt sich längst nicht mehr an die „Bonner Vereinbarung“ gebunden.
Einst war das Land ein Schwerpunkt deutscher Entwicklungshilfe. Heute sind es nur noch einige Helfer die das Land mit den armen Menschen unterstützen.
So gründete der Bundeswehroberst a.D. und Arzt Reinhard Erös in Afghanistan 30 Schulen, unter anderem für Mädchen, ohne von den Taliban behelligt zu werden. Er sieht nach dem Abzug der NATO-Truppen die Lage optimistischer, weil die Aufständischen bereits, unter anderem durch das Internet, ein anderes Weltbild hätten. Er ist der Auffassung dass die innenpolitische Situation durch die Afghanen am besten selbst
geregelt werden kann.