Früher hieß es, Fußball sei die schönste Nebensache der Welt. Ob das so gestimmt hat, lass ich mal dahingestellt. Aber richtig war, wir haben als Kinder gern gekickt, gepölt, haben wir gesagt. Wir haben gegen alles getreten, was sich bewegen ließ: Getränkedosen, Lumpen, die rund zusammengenäht waren, Gummibälle, denen aber sehr schnell die Luft ausging, wenn sie auf einen Holz- oder Glassplittter trafen. Lederbälle waren reiner Luxus, die gab es nur in Vereinen, sie waren ziemlich schwer und hatten in der Mitte einen Lederriemen, mit dem das runde Etwas zusammengenäht worden war. Wehe, man köpfte den nassen, schweren Ball und traf mit der Stirn auf diesen Riemen. Dann hatte man ein paar Zeichen auf der Haut. Warum ich das aufschreibe? Weil Fußball damals Spaß machte. Damals, Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre. Außer Fußball gab es auf dem Dorf wenig bis nichts.
Luxus waren auch Sportschuhe oder gar Fußballschuhe. Meine ersten Fußballschuhe hat mir als Kind- ich war wohl sechs oder sieben, ging zur Volksschule- der Schuster im Dorf zusammengenäht und genagelt. Ich habe ihn nach der Schule gelegentlich in seiner Werkstatt besucht, es faszinierte mich, wie er Schuhe per Hand nähte. Und dann hatte er die Idee mit dem Fußballschuh. Er hatte alte Kinderschuhe und schnitt aus Lederstücken Stollen, die er dann auf Sohle und Absatz nagelte. Mein erstes Paar Fußballschuhe.
Diese Welt des Fußballs gibt es nicht mehr. Auf unseren Plätzen- die nur Rasenreste hatten, das meiste war eine Mischung aus Erde, Steinen und Sand- würden die Kicker von heute nicht mehr spielen. Wäre viel zu gefährlich. Wer da hinfiel aus vollem Lauf, der brauchte ein Pflaster, um die Wunde am Knie zu versorgen. Sie spielen heute auch nicht mit Bällen aus Leder, sondern aus Kunststoff. Die Bälle, die ich als Kind mühsam treten musste, um sie zum Mitspieler weiterzuleiten oder gar ins Tor, waren schwer. Wir spielten zunächst nur quer über den Platz, auf kleine Tore. Romantisch? Na ja. Nach dem Spiel- auch im Winter und nach Regen und Schnee- konnten wir uns unter einer kalten Dusche abwaschen, selbstverständlich war der Raum nicht geheizt, der Beton-Boden war eiskalt. Wo das war? In Meckinghoven, einem Vorort von Datteln im Kreis Recklinghausen. Die Germania aus Datteln spielte in der höchsten Amateur-Klasse, die Spvgg Erkenschwick kickte in der Oberliga West. Als A-Jugendmannschaft haben wir gegen beide Klubs gewonnen.
„Die Welt des Fußballs“ heißt die Unterzeile des Buchs von Philipp Lahm, das den Titel trägt: „Das Spiel“. Der frühere Nationalspieler, Kapitän der deutschen Weltmeister-Mannschaft 2014 in Brasilien unter dem Trainer Yogi Löw, versucht in diesem Buch das Fußballspiel zu erklären, also auch Dinge wie Dreier- oder Viererkette, dann werden die Spieler wie auf einem Tisch verschoben, nach vorn oder sie ziehen sich zwecks Verteidigung zurück. Es ist kein spannendes Buch des Philipp Lahm, vielleicht eignet sich die Lektüre für Väter und Mütter von ganz jungen Kickern, die den Traum des Fußball-Profis in sich haben. Und denen man rechtzeitig abraten muss, einen solch riskanten Weg einzuschlagen. Denn nicht jeder hat das Zeug zum Profi, hat den Ehrgeiz, tagaus, tagein zu trainieren, sich zu schinden. Nicht jeder hat das Talent, um bei den Bayern Millionen zu verdienen oder bei der Borussia aus Dortmund oder bei RB Leipzig. Die Verletzungsgefahr ist groß. Wenn das Knie kaputt ist, kann das auch das Ende einer solchen Karriere sein. Hinweise darüber finden sich in dem Buch von Lahm, der auch Homosexuelle davor warnt, sich öffentlich zu outen.
Fußball und der Aktienmarkt
Fußball, das ist längst ein Geschäft geworden, ein Geschäft, in dem es um viele Millionen Euro geht. Um Sponsoren, um Investoren, die Eintrittsgelder sind im Grunde nur ein Beiwerk, mit dem aber die horrenden Gehälter der Kicker nicht bezahlt werden können. Der deutsche Aktienmarkt dürfte für manche Manager von Bundesliga-Klubs interessant sein, weil er dort die Entwicklung der Aktien seiner Investoren täglich ablesen kann, von VW, Audi, Daimler-Benz, Bayer, Adidas und so weiter. Im Grunde könnten sich die Vereine auch umbenennen: 1. FC Volkswagen, FC Adidas-Audi. Lahm streift das Thema, wie er auch Rassismus behandelt, fremdenfeindliche Beschimpfungen von gegnerischen Spielern, weil sie eine dunkle Hautfarbe haben. Man frage mal den sympathischen früheren Schalker Nationspieler Gerald Asamoah, was der sich alles anhören musste. Warum da nie der Präsident des gastgebenden Vereins eingeschritten ist, um diese Rabauken aus dem Stadion zu werfen, ist mir ein Rätsel. Es war mir auch immer fremd, wenn der Bayern-Torwart Oliver Kahn, einer der Besten seiner Zunft, mit Bananen beworfen wurde und sogenannte Fans Affenlaute von sich gaben. Widerlich.
Die Welt des Fußballs. Dazu gehört ein Verein wie Paris Saint-Germain, der der katarischen Investmentgesellschaft Qatar Sports Investment gehört. Mit den Öl-Milliarden aus diesem autoritär regierten Land kaufte man sich einen Klub von Weltklassespielern zusammen, der es immerhin ins Halbfinale der Champions-League geschafft hat. Gegner dort war Manchester City, früher ein mittlerer englischer Klub, der unter der fußballerischen Dominanz von Manchester United gelitten hatte. Heute ist Man City „Aushängeschild der City Football Group, die an weiteren neun Fußballvereinen auf der Welt beteiligt ist und mehrheitlich aus Abu Dhabi finanziert wird“(SZ). Also ein Spiel Emirate gegen Katar. Dort soll ja im nächsten Jahr die Fußball WM stattfinden. Darf man sagen, dass sich Katar diese WM gekauft hat?
Die Welt des Fußballs. Die Superreichen, denen PSG und Man City usw gehören, wollten noch mehr Geld in Umlauf bringen, um noch mehr Geld scheffeln zu können und brachten die Idee einer Super League unter die Leute. Die Idee wurde aber sofort wieder beerdigt. Was nicht heißt, dass sie in Zukunft nicht wieder belebt wird, worauf ich wetten würde. Denn nur so kann man noch mehr Geld verdienen, denn darum geht es. Um Geld. Fußball ist nur das Vehikel. Wenn die Bundesliga zu langweilig wird, weil der reichste Klub, nämlich der FC Bayern München, Jahr für Jahr Meister wird- gerade zum 9. Mal hintereinander-, dann wird man doch überlegen dürfen, gegen wen die Bayern denn spielen sollen, damit es spannend wird. Gegen Mainz und Freiburg, das lohnt nicht mehr, gut gegen den BVB können sie mal verlieren oder gegen Leipzig, aber am Ende sind sie Meister. Punkt. Auch nächstes Jahr.
Die Fans, das ist nur noch Staffage. Sie mögen im nächsten Jahr, wenn wir gelernt haben mit Corona zu leben, wieder die Ränge in den Stadien füllen, mögen ihre Gesänge abliefern, um die eigene Mannschaft anzufeuern oder den Gegner niederzubrüllen, die Spieler lassen sich von diesen Fans nicht mehr beeindrucken. Sie spielen ohnehin nur noch für sich und ihr Bank-Konto. Zwar zeigen sie gelegentlich auf das Trikot des Vereins, für den sie gerade spielen, aber am nächsten Tag schon könnte die Reise weitergehen. Sie sind Söldner, deren Wirken weltweit ausgerichtet ist. Sie folgen dem Ruf des Geldes, sonst ist da nichts. Sie haben Berater, die an ihren Vermittlungskünsten verdienen.
Die Superreichen und das Spiel
Die Welt des Fußballs. Tradition und Moderne. Das muss kein Gegensatz sein, wenn man dabei Maß und Mitte beachtet. Es geht nicht um die gute alte Zeit, die es wiederzuleben gilt, das wäre Rückschritt. Das Spiel, da hat Philipp Lahm recht, hat sich enorm weiterentwickelt, es ist schneller geworden, athletischer, weil mehr Geld in das Spiel und seine Spieler gesteckt wird, in die Gesundheit der Kicker, in Trainingszentren, ist das Spiel besser geworden. Alles richtig. Aber anders als früher, wo nicht alles besser war, wird der Fußball von den Reichen und Superreichen dominiert, sie leisten sich halt, weil sie das Geld haben, diesen Sport und die besten Kicker, die sie in der Welt des Fußballs ausfindig machen durch ihre Scouts. Diese neuen Besitzer der Klubs bestimmen diesen Fußball, nicht die Fans. Es muss jedes Jahr mehr werden, die Einnahmen sind irgendwann nicht mehr zu steigern, nicht durchs Fernsehen und den Eintrittspreis schon gar nicht.
Es geht um das Geschäft. Um die Gier der Menschen. Um mehr Wachstum, Turbo-Kapitalismus nennt man das. Auch die Bundesliga macht da mit, man verteilt die Spiele auf mehrere Tage in der Woche, in der Champions-League wird der Rahmen immer mehr ausgeweitet, mehr Vereine, die teilnehmen, mehr Spiele, alles ist auf ein Wachstum der Einnahmen ausgerichtet. Ob das die Spieler gesundheitlich aushalten? International hat sich dieses Denken längst breit gemacht. Die Europameisterschaft wird nicht mehr mit 16 Teilnehmern ausgespielt, sondern mit 24. Ob das fußballerisch sinnvoll ist, spielt keine Rolle. Der Ball muss laufen, rund um die Uhr. Und um die Welt. Und wenn eines Tages eine Super-Euro-League nicht mehr ausreicht, um die Gier der Investoren zu befriedigen, könnte man eine Welt-Liga ins Spiel bringen, um an den US-Dollar heranzukommen. Der heimische Fan kann sich das Theater im Fernsehen anschauen. Aber was erfinden die Milliardäre der Welt dann, wenn der amerikanische Markt nicht mehr hergibt, der asiatische nicht?
Die Maßlosigkeit und die Gier machen am Ende den Fußball kaputt. Oder glaubt jemand daran, dass Vernunft einzieht? Weniger ist mehr? Im Fußball? Die Bundesliga ist langweilig geworden, weil das Dauer-Abo der Bayern auf die Meisterschaft dem Spiel jede Spannung nimmt. In Europa kann das ähnlich werden. Wer möchte schon täglich Madrid gegen Barcelona im Fernsehen anschauen? Nein, ich will nicht zurück zur Oberliga West. Aber auf die Dauer kann auch ein Spiel Inter Mailand gegen Real Madrid langweilig werden.
Philipp Lahm: Das Spiel. Beck-Verlag München. 2021. 272 Seiten. 19.95 Euro. 978 3 406 75622 1
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