56 Jahre wurde die Bundesrepublik von Kanzlern der CDU und der SPD regiert, von Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder und die letzten 16 Jahre von Angela Merkel. Sie war die erste Frau im Kanzleramt. Jetzt könnte es zum ersten Mal passieren, dass eine Grünen-Politikerin, dass Annalena Baerbock, eine 40 Jahre alte verheiratete Mutter von zwei Kindern, die politische Führung der Republik übernimmt. Ein solcher Machtwechsel rückt in der Tat näher, weil sich die Stimmung im Land verändert hat in Richtung Grünen-Partei und weg von den alten Regierungsparteien CDU, CSU und SPD. Wer bisher einen solchen Wechsel für Grünen-Träumerei gehalten hat, für Spinnereien, der muss sich jetzt zumindest mal an den Gedanken gewöhnen: Sowohl der Deutschlandtrend der ARD als auch das Politbarometer des ZDF sehen in neuesten Umfragen die Grünen als stärkste Partei, liefern Zahlen, wonach die Union aus lichten Höhen abgestürzt ist auf Platz zwei.
Es kann nicht mehr die Rede sein von einem Hype, der flüchtig ist und sich wieder verzieht, nein, dieser Trend hat sich in den letzten Wochen fort- und ja festgesetzt. Und nichts deutet zur Zeit auf eine Wende dieser Stimmung hin, zumal sich mehr Wählerinnen und Wähler in nächster Zeit darauf einstellen werden, dass Merkel wirklich geht, abtritt. Also wird erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik der Kanzler-Bonus keine Rolle mehr spielen. Die Karten werden neu gemischt.
Wir haben im Blog-der-Republik vor kurzem die missliche Lage der ältesten deutschen Partei beschrieben und dieser Geschichte den Titel gegeben: Die SPD im Niemandsland. Daran hat sich nichts geändert, die einst stolze Sozialdemokratie liegt in Umfragen abgeschlagen bei 14/15 Prozent. Und wer die Debatten der letzten Wochen verfolgt, muss einräumen, dass die SPD im Grunde gar nicht präsent, nicht auf dem Platz ist, dass das Rennen zwischen der Union und den Grünen ausgetragen wird. Und dass der Eindruck sich verfestigt, als liefen CDU und CSU den Grünen schnaufend hinterher- ohne eine Chance sie einzuholen. Sie kopieren die Umweltfreunde mehr als dass sie eigene Konzepte liefern. Das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfasssungsgerichts scheint ihnen den letzten Rest gegeben zu haben, dabei haben die obersten Richter nur festgestellt, dass dieser Planet vor weiterer Zerstörung geschützt werden muss- und zwar jetzt und nicht erst in 30 Jahren. Dass man schnell Bekenntnisse abgab, um der Öffentlichkeit zu versichern, man werde sein Bestes geben, um den jüngeren Generationen die Lebensgrundlage nicht zu stehlen, wirkte fast ein wenig lächerlich, peinlich. Ich habe das dazu passende Interview im ZDF gehört, habe die Sprechblasen von Wirtschaftsminister Peter Altmeier(CDU) verfolgt und nur den Kopf geschüttelt. Das war nichts, gar nichts.
Vergleich mit dem Fliegenpilz
Und wenn dann dieselbe CDU in einer Analyse des Grünen-Wahlprogramms den Vergleich mit einem Fliegenpilz wagt, schön anzusehen, aber ungenießbar, dann ist das ein Rückfall in alte Rote-Socken-Kampagnen der Christdemokraten, mit denen sie früher die SPD überzog, um sie in die Nähe der Kommunisten zu rücken. Die Zeiten sind andere, das müsste doch eigentlich auch einer wie Paul Ziemiak, der Generalsekretär der CDU, begreifen, der aber exakt auf dieser biederen Linie zu finden ist, und der gegen die Grünen ins Feld führt, sie würden doch alles nur verhindern. Als wenn das, was die CDU so aufführt in den letzten Monaten, so vorbildlich wäre, wünschenswert für diese Republik! Da spürt man die Hilflosigkeit einer Partei gegenüber einer Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die sich sicher auf dem Podium präsentiert, modern, fortschrittlich, fröhlich und nicht so altbacken wie die Kandidaten der CDU.
Wer erwartet hatte, dass sich CDU und CSU nach dem langen Streit und Fingerhakeln zwischen Armin Laschet und Markus Söder geschlossen zeigen würden, um sich mal wieder der aktuellen Probleme und deren Lösung zu widmen, wie zum Beispiel der Pandemie und den Fragen, wie es denn um die Folgen von Corona für uns alle bestellt sei, wie es weitergehen solle mit dem Standort Deutschland, sah und sieht sich getäuscht. Laschet, der nur mit Ach und Krach sich durchsetzen konnte gegen Söder, wirkt nicht überzeugend. Er muss sich mal wieder mit Personalfragen befassen, die ihn und die Zukunft der NRW-CDU betreffen und die mögliche Nachfolge im Amt des Ministerpräsidenten. Ja, der Amtsinhaber muss sich entscheiden und dabei aufpassen, dass er am Ende nicht mit leeren Händen dasteht. Was macht er, wenn er die Wahl verliert? Oppositionschef in Berlin, als Fraktionschef der Union? Dort hat er doch jetzt schon keinen Rückhalt, wie wir alle erleben konnten. Nach einer Niederlage bei der Bundestagswahl wird das nicht besser für ihn. Ob er sich eine Rückfahrkarte besorgt für den Fall, dass er nicht Kanzler wird? Natürlich ist das möglich, das hat auch der SPD-Kandidat Johannes Rau 1987 so gemacht, als er gegen Helmut Kohl verlor. Rau blieb Ministerpräsident, er wurde erst 12 Jahre später Bundespräsident. Auch Strauß und Stoiber blieben nach ihren Wahlniederlagen gegen Helmut Schmidt und Gerhard Schröder in Bayern. Andererseits ist zu beobachten, dass einige seiner sogenannten Parteifreunde sich schon auf einen Wechsel an Rhein und Ruhr einstellen. In der FAZ stellte Laschet zwar klar: „Mein Platz ist in Berlin“, aber ob das wirklich eine „Rückfahrkarte“ ausschließt, sei mal dahingestellt.
Wenn Söder hinter einem steht..
Laschet hat es nicht leicht, weil sein im Rennen um die Kanzlerkandidatur unterlegener Kontrahent Söder keine Ruhe gibt. So also sieht das aus, wenn ein Bayer wie Söder sagt, er werde eine Entscheidung des CDU-Präsidiums für Laschet ohne Groll akzeptieren. Söder hat in Erklärungen im Nachgang deutlich gemacht, dass er sich für den Besseren hält. Der Franke stichelt und lässt sticheln gegen Laschet, fordert vom Kandidaten bei der Wahl mindestens 35 Prozent zu holen. Im Moment liegt die Union bei unter 25 Prozent. So also ist zu verstehen, wenn ein bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef dem gemeinsamen Kanzlerkandidaten zusichert, man stehe geschlossen hinter ihm und werde diesen mit aller Macht unterstützen. Besser, Söder und seine CSU stünden vor Laschet, da hätte er sie im Auge. Söder hält sich nun mal für den Größten und verwechselt Länge-er misst 1,94 Meter- mit Größe. Insofern ist er auf Augenhöhe mit Leuten wie Uli Hoeneß vom FC Bayern: Mia san mia und machen, was wir wollen. Der wird nicht aufhören, dem Mann aus Aachen seine Sicht der Dinge öffentlich zu erklären, um den anderen bloßzustellen.
Dabei haben Söder und seine CSU selber keine so großen Beliebtheitswerte in Bayern. Hatten sie bei der letzten Landtagswahl eines der schlechtesten Wahlergebnisse in den letzten Jahrzehnten erzielt mit gerade mal rund 37 Prozent der Stimmen, so hat die CSU in neuesten Umfragen diesen Wert mit 34 Prozent noch unterschritten. Söder hat damals den leichteren Weg gewählt und eine Koalition mit den Freien Wählern abgeschlossen, die ihm im Grunde aus der Hand fressen, weil sie froh sind, dass sie mitregieren dürfen im Freistaat. Für den Bund sagt derselbe Söder, mit der FDP wäre es leichter zu regieren-haben Sie gehört, Herr Laschet?-, aber mit den Grünen wäre es spannender. Der Mann ist wandlungsfähig, ähnelt darin seinem ungeliebten Amtsvorgänger Horst Seehofer, der von seinen Kritikern gern Drehhofer genannt wurde. Seit Monaten begegnet Söder der Kanzlerin mit großer Demut, fährt mit ihr in der Kutsche über die Insel Herrenchiemsee, lobt sie über den Schellenkönig, weil er wohl die Unterstützung von Angela Merkel erwartet hatte beim Kampf gegen Laschet. Derselbe Söder hat vor Jahren heftig die Flüchtlingspolitik von Merkel kritisiert und Geflüchtete als Asyltouristen diskriminiert. Der Mann, der früher sich nicht um die Umweltpolitik gekümmert hat, hat auch dort die Wende eingeläutet, die damit begann, dass er ein Volksbegehren zur Rettung der Bienen schnell als seine ureigene Sache zu drehen versuchte, und der sich dann noch fotografieren ließ, als er einen Baum umarmte. Schöne Bilder, aber mehr auch nicht.
Zu Söders Bilanz als Regierungschef gehört, dass er in der Pandemie zwar gern den Oberlehrer spielt, der alles besser weiß und macht, daheim in Bayern aber dennoch ziemlich hohe Corona-Zahlen vorzuweisen hat. Er markiert gern den starken Mann und versucht die Probleme wegzudrücken, die er mit Maskenaffären seiner Parteifreunde wie Sauter und Nüßlein hat. Da wäre mehr Haltung angebracht, wozu auch Zurückhaltung zählte, zumal seine Minister in der Bundesregierung nicht unbedingt Kronzeugen bester bayerischer Regierungskunst sind. Andreas Scheuer, der Bundesverkehrsminister, ist eine Zumutung, er gehörte längst entlassen, aber Söder lässt ihn mitregieren. Blamabel ist das für eine Partei wie die CSU, die gern von sich behaupet, das schöne Bayern erfunden zu haben(der früh verstorbene SZ-Reporter Herbert Riehl-Heyse) und es als Vorstufe zum Paradies preist.(Seehofer)
Landtagswahl in Sachsen-Anhalt
Ein kleines Risiko für die Grünen könnten die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im Juni bedeuten. Der Osten der Republik wählt nun mal anders, dort ist die rechtspopulistische AfD sehr stark vertreten mit ihren nationalistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen und ihrer ablehnenden Haltung zur Corona-Politik der anderen Parteien. Das könnte eine kleine Delle geben, aber auch die CDU muss dort kämpfen, dass sie nicht weiter an Boden verliert.
Armin Laschet hat es bisher nicht geschafft, die politische Bühne für seinen Wahlkampf einzunehmen. Seine Parteifreunde hatten mit seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten mit Rückenwind gerechnet, der aber ist ausgeblieben, eher bläst der Wind den Christdemokraten ziemlich ins Gesicht. Ob der Schachzug, einen Friedrich Merz ins engste Wahlteam zu berufen, wirklich ein kluger Zug war, wird sich noch zeigen. Merz war viele Jahre nicht präsent in der Politik, sondern war in der Wirtschaft aktiv, wo er erfolgreich war und Millionen verdiente, was ihm nicht vorzuwerfen ist. Seine jüngste Äußerung bezog sich gegen die Grünen. Er würde einer Annalena Baerbock Deutschland nicht anvertrauen. Das muss er auch nicht, zeigt aber, wie abgehoben der Merz immer noch ist und dabei verkennt, dass er nicht mal die Mehrheit in der eigenen Partei, der CDU, gewinnen konnte.
Insgesamt dürfte der Kampf gegen die Grünen, die ja wohl der Hauptgegner der Union sein werden, schwierig werden. Man denke an die gemeinsamen Koalitionen in Baden-Württemberg, wo Grüne und Schwarze seit ein paar Jahren miteinander regieren- unter Führung des Grünen MP Kretschmann, der dafür gesorgt hat, dass es im Musterländle des sozialen Kapitalismus keine Vorbehalte der Unternehmer gegenüber den Grünen mehr gibt, dass den einstigen Protestlern alle Türen offenstehen. Bei der letzten Wahl haben übrigens sogar die meisten der über 60jährigen Wählerinnen und Wähler für die Grünen gestimmt. Wer noch Zweifel daran haben könnte, dass diese Grünen längst bürgerlich geworden sind, auf dem Weg zur Volkspartei, sollte sich auch vergegenwärtigen, dass in einem weiteren erfolgreichen industriellen Land wie Hessen zwar der CDU-Politiker Volker Bouffier MInisterpräsident ist, in seinem Kabinett aber der Grüne Tarek Al-Wazir Wirtschaftsminister ist, einer, der früher gegen den Bau von Autobahnen auf die Straße ging, der aber heute nicht gegen den Weiterbau von Schnellstraßen kämpft, die genehmigt sind. Recht und Gesetz gilt auch für ihn. Übrigens ist der Flughafen Frankfurt kein Gegenstand von Straßenschlachten mehr.
Wahlkampf in der Urlaubszeit
Die Partei-Strategen der Union wollen ihre Kampagne irgendwann im Sommer starten. Dass sie sich dabei nicht verrechnen! Die Sommer-Ferien dauern über die Monate Juli und August, Wochen, in denen sich die corona-gestressten Deutschen von der Politik ab- und dem Urlaubsgefühl zuwenden. Die Pandemie wird zudem große Massen-Veranstaltungen in Hallen und auf Marktplätzen nicht zulassen. Selbst die finale Zeit des Wahlkampfs wird also eher leise ausfallen. Dazu kommt, dass viele Bürgerinnen und Bürger, viel mehr als einst, per Brief wählen werden und somit ihre Wahl-Entscheidung sehr früh treffen. Die Stimmung in der Republik quasi auf den letzten Metern zu drehen, dürfte schwerfallen, weil der Höhenflug der Grünen eine Entwicklung darstellt, die sich verstetigt hat. Sie sind vorn, seit Wochen. Wie sagte Wolfgang Schäuble, der Bundestagspräsident, der seit 1972 im Bundestag sitzt, angesprochen auf einen möglichen Machtwechsel: Das Wählerverhalten sei volativer geworden, alles verändere sich, das müsse nicht schlecht sein. „Übrigens ist 1969, als Kiesinger für Brandt gehen musste, die Welt nicht untergegangen und 1998, als Kohl Schröder unterlag, auch nicht.“ Und was er noch sagte: „Die Parteien müssen besser werden.“ Wenn ich mich nicht ganz täusche, meinte der alte CDU-Fuchs damit auch seine eigene Partei.
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