Wir kennen nicht seinen Namen, wir wissen nichts Genaues über sein Schicksal, wir können heutzutage mit ihm keine freudigen Reaktionen bei Kindern mehr auslösen: mit dem Teddy, den seine Besitzerin dem zukünftigen Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalens zur Verfügung gestellt hat und den sie als kleines Mädchen 1947 bei ihrer Übersiedlung aus dem Osten im Gepäck hatte. Dieser Teddy mit seinen gestickten Augen und der kurzen Wollhose kann eine Geschichte erzählen, nicht nur über Flucht und Vertreibung, sondern auch über seine Besitzerin und ihre Familie, über die Nachkriegsjahre im Rheinland und in Westfalen, und auch darüber, dass derartiges, „selbst gestricktes“ Spielzeug heute von Kindern nicht mehr benutzt, geschweige denn geliebt wird. Und genauso kann das Firmensignet der Bochumer Opel-Werke, der Blitz, eine Geschichte erzählen, nämlich vom Aufbruch des Ruhrgebiets in eine neue industrielle Zeit nach Kohle und Stahl, aber auch von deren Krise und den Herausforderungen des Strukturwandels in der Region, die nach wie vor daran arbeitet. In einer Ausstellung ist es jeweils der Gegenwartsbezug, der viele Exponate erst interessant und oft auch emotional erlebbar macht.
Man darf gespannt sein, welche Ausstellungsstücke in den nächsten 4 bis 5 Jahren aufgespürt werden und es schließlich in die Dauerausstellung des Landesmuseums schaffen. Diese soll, so die Planung, im Jahr 2028 präsentiert werden, wenn das Museumsgebäude, nämlich der Behrensbau am Düsseldorfer Mannesmannufer, in allen Funktionsbereichen nutzbar ist. Von daher ist der 75. Geburtstag Nordrhein-Westfalens, der im August diesen Jahres gefeiert wird, ein willkommener Anlass, das Museumsprojekt in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken. Die Ideen und Pläne für ein derartiges Unterfangen gibt es schon lange, aber jetzt ist endlich ihre Realisierung in Sicht. Durch ein entsprechendes Gesetz hat der Landtag, übrigens im überparteilichen Konsens, die formellen Grundlagen für eine vom Land getragene Stiftung geschaffen, die als Träger des Museums fungiert und deren Finanzierung über den Haushalt des Landtags gesichert ist.
Was sich seit der Gründung Nordrhein-Westfalens durch die britische Besatzungsmacht politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, technisch oder kulturell im Land zwischen Rhein und Weser entwickelt und ereignet hat, soll ab dem 26. August 2021 zunächst in einer Jubiläumsausstellung gezeigt werden. Diese will Geschichten erzählen, etwa dreißig an der Zahl, und soll danach vier Jahre durch das Land wandern und in jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt gastieren. Dabei sollen regionale Eigenarten auch inhaltlich berücksichtigt und nicht nur ganz nebenbei, sondern gezielt Exponate aufgespürt und eingesammelt werden. Schon diese Vorgehensweise sollte garantieren, dass es sich um keine reine Betrachtung der Vergangenheit handelt, sondern es immer auch um Bezüge zur Gegenwart geht. Denn nur mit einem derartigen, thematisch breit angelegten, regional verzahnten und insbesondere partizipativen Konzept kann das gelingen, was sich die Verantwortlichen erhoffen, nämlich das historische Bewusstsein zu fördern über die Erfolge und Misserfolge in der Geschichte Nordrhein-Westfalens wie auch über die bereits bewältigten und die noch kommenden Herausforderungen für das Land und seine Bewohner.
Es ist den Machern zu wünschen, dass ihr Konzept inhaltlich, zeitlich und auch finanziell aufgeht. Die Grundlagen sind vorhanden, der politische Wille ist da, die Motivation bei allen Beteiligten stimmt. Mit dem Präsidenten des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Hans Walter Hütter, der ehemaligen Direktorin des LVR-Landesmuseums in Bonn, Gabriele Uelsberg, und dem Direktor des Ruhrmuseums in Essen, Theo Grütter, sind drei ausgewiesene Museumsexperten an Bord, die das Projekt steuern. Neben dem Aufbau der Sammlung und den geplanten Ausstellungen sollen begleitende Veranstaltungen und eigene Publikationen die Landesgeschichte Nordrhein-Westfalens weiter aufarbeiten. Die historische Forschung dazu ist längst vorhanden und umfangreich, aber natürlich gibt es noch und immer wieder genügend unbearbeitete Felder. Von daher kann das Ganze auch für eine Belebung der wissenschaftlichen Landes- und Zeitgeschichte sorgen, wenngleich das primäre Ziel die Wirkung in die Breite, also die Stärkung des historischen Bewusstseins bleibt. Deshalb darf und muss auch von Anfang an der Besuch möglichst vieler Schulklassen aus dem ganzem Land mitgedacht werden, aber bitte nicht nur. Historische und politische Bildung ist nämlich ein gesamtgesellschaftliches Desiderat.
Der Teddy, von dem sich seine Besitzerin erst getrennt hat, als ihre Kinder und Enkel damit nichts mehr anzufangen wussten, wird im Haus der Geschichte einen angemessenen Platz finden. Vielleicht steht ihm ja noch eine besondere Karriere bevor, denn in Zeiten von Virtual und Augmented Reality könnte er zumindest für die ganz jungen Besucher ein idealer Museumsführer sein. Aber auch alle anderen kann er mitnehmen auf eine Reise durch die Vergangenheit, die zum Verständnis der Gegenwart notwendig ist. Sein Einzug ins Museum ist, zusammen mit schon jetzt ständig hinzukommenden Exponaten, ein guter Start. Für Franz Meyers und Johannes Rau, die sich als Ministerpräsidenten am sichtbarsten um die Identitätsbildung des Landes bemüht haben, ist dies eine späte Bestätigung. Nicht nur diese beiden, sondern auch viele andere hätten das gerne schon viel früher gesehen. Aber jetzt wird es etwas, endlich!