Rechtlich ist es vielleicht nicht anders möglich, aber ungerecht und unsolidarisch ist es trotzdem. Der Bundestag hat dafür votiert, jetzt ganz schnell Corona-Geimpfte zu bevorzugen, bei Ihnen Einschränkungen zu lockern, die Millionen andere noch ertragen müssen.
Das Argument scheint zwingend, und es ist seit Wochen das Mantra der FDP, Partei der Leistungsträger und des Sozialdarwinismus: Freiheits- und Grundrechte werden vom Staat nicht per Gnadenakt gewährt. Wenn sie wegen außergewöhnlicher Gefahren eingeschränkt wurden, müssen sie zwingend dem Einzelnen sofort zurückgegeben werden, wenn die Gefahr vorbei ist. Und mit der Impfung ist die Infektionsgefahr gebannt. Also alles ganz logisch, aber alles auch ungerecht und unsolidarisch.
Solidarisch wäre es hingegen, mit den Lockerungen generell solange zu warten, bis alle, die geimpft werden wollen, auch wirklich die zweite Spritze bekommen haben.
Ganz persönlicher Einschub: Ich bin 76, meine zweite Impfung ist in Sicht. Ich empfinde ich es als großes Privileg und bin dankbar dafür, dass ich schon sehr bald keine Angst mehr haben muss, wegen Corona auf einer Intensivstation zu landen oder gar elend zu krepieren. Dieses Privileg genieße ich vor den Jüngeren, die mit der Impfung noch warten müssen. Ich zähle qua Alter zur stärker gefährdeten sogenannten vulnerablen Gruppe und bekam den knappen Impfstoff deshalb früher. Die Jüngeren mussten also für mich zurücktreten. Die Priorisierung zu meinen Gunsten ist nicht mein Verdienst. Sie ist das Geschenk einer solidarischen Gesellschaft.
Jetzt alles mal ein wenig überhöht: Was wollen wir Alten den Jungen eigentlich noch zumuten ? Wir werden ihnen eine Welt hinterlassen, die wir ökologisch soweit runtergewirtschaftet haben, dass nachfolgende Generationen auf Vieles verzichten und erhebliche Reparaturarbeiten leisten müssen, soll es für sie noch ein lebenswertes Leben geben. Meine Generation kann nun wirklich nicht mehr für sich beanspruchen, Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut zu haben. Das waren unsere Eltern. Aber sehr viele von uns, die wir jetzt alt sind, genießen eine Altersversorgung, von der die Jungen nicht einmal träumen dürfen, wollen sie nicht in kollektive Depression verfallen. Und jetzt, wo das Ende einer schrecklichen Pandemie in Sicht ist oder wir uns gegen das Virus wehren können; – jetzt sollten wir nicht mal ein paar Wochen oder Monate warten, bis alle wieder zusammen Party machen dürfen ?
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Lieber Christoph, Du sprichst mir aus der Seele. Viele Grüße, Dagmar