Am 19. April wollen nicht nur die Grünen ihren Kanzlerkandidaten/in küren-ich tippe auf Annalena Baerbock- an diesem Tag ist auch „Bicyle Day“. So lese ich im Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“, dem Hauptstadt-Blatt. In Bonn hätten wir damals, als die kleine Stadt am Rhein Hauptstadt war, Tag des Fahrrads gesagt. Aber Berlin ist ja auch Weltstadt. Dies nur am Rande. Also sind wir, meine Frau und ich, schon am Sonntag aufs Rad, bei mäßigem Wetter, 12 Grad(plus), grauem Himmel, (noch) trocken. Zur Klärung, wir sind mit dem Pedelec gefahren, das ist gemütlicher, vor allem, wenn man den Venusberg hochradelt.
Dass es einen Tag des Fahrrads gibt, wusste ich gar nicht. Es lohnt sich immer mal wieder, einen Blick in die Hauptstadt-Presse zu werfen. Da lernt man dazu. Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock fährt übrigens auch Rad. Sie ist abgebildet in der besagten Zeitung, die Bild-Unterzeile ist vielsagend: Mit dem Rad ins Kanzleramt? Zunächst muss sie erstmal das Rennen gegen Robert Habeck gewinnen. Wussten Sie, dass 5000 Jahre vergingen zwischen der Erfindung des Rads und des Zweirads? Ich nicht. Karl Drais, lese ich weiter im Tagesspiegel, habe 1817, also kurz nach dem Wiener Kongress, ein Laufrad präsentiert, „später erst wurde der Drahtesel dann an die Kette gelegt.“
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Was ich da alles übers Radfahren lese! Mein Körper ist mein Motor, ich bin die Königin der Straße(es muss hier natürlich König heißen), schneller als Fußgänger. Gut, das habe ich vorher gewusst. Und dass ich wendiger sei als die Autofahrer, mag stimmen, darauf würde ich es aber nicht ankommen lassen. Die sind in ihrer Blechkiste einfach stärker und wenn die uns berühren oder streifen, wird es für Radler gefährlich. 80 Millionen Deutsche besitzen ein Rad, heißt es in der Zeitung weiter. Also fast jeder der 83 Millionen, aber da sind auch die Babies und Kleinstkinder mitgezählt, die noch nicht selber radeln. Zudem haben manche mehr als ein Rad. Wir zum Beispiel haben deren drei und zwei Pedelecs. Manche haben kein Fahrrad. Ich hörte von einem Freund, dass der, weil er nie fahre, sein Rad verkauft oder einfach verschenkt habe. So was gibt es also auch, Menschen ohne Rad. Die haben dann auch keinen Helm. Und kennen nicht das Gücksgefühl, mit dem Rad einen steilen Berg raufzustrampeln, mit letzter Kraft die Kuppe zu erreichen, atemlos, schwitzend, um dann die Abfahrt anzusteuern. Tempo 38 km/h zeigte der Tacho auf unserem Pedelec an, als wir an den Bonner Uni-Kliniken vorbei Richtung Kessenich sausten. Wer Kessenich nicht kennt: Ist Bonn schönstes Dorf.
Das mit dem Tag des Rads haben wir im Grunde einem Schweizer zu verdanken, schreibt die Zeitung. Die dazu gehörende Geschichte hat etwas mit der stimulierenden Wirkung des Radfahrens zu tun, man muss nicht das erwähnte Mittel einnehmen. Radfahren führe dazu, lese ich, dass man beim Radeln singt. Das ist neu für mich, weil wir noch nie beim Radeln gesungen haben. Aber in der Zeitung steht es.“Strampelnd und rollend wähnen sie sich im Einklang mit dem Universum und erheben fröhlich ihre Stimme.“ Was die Autorin alles weiß, aber die Geschichte steht ja auch auf der Seite „Kultur“.
Vom Glück auf zwei Rädern ist zu lesen und mehr. Dass Albert Einstein beim Radeln die Sache mit der Relativitätstheorie gekommen sei. Also wenn Sie mal etwas Kniffliges haben und nicht sofort die Lösung parat, in den Sattel und los. „Der Mensch, der ein Engel werden will und nicht mehr die Erde berührt“, das ist der moderne Radler, wird der italienische Anthropologe Paolo Mangegazza zitiert, der habe das schon 1893 so aufgeschrieben. Ja, die Italiener hatten es schon immer mit dem Radeln. Denken Sie an all die Kletterer im Sattel bei der Tour de France oder dem Giro d´Italia, an Fausto Coppi. Gut, wir haben den Rudi Altig, der war mal Weltmeister, als die WM auf dem Nürburgring ausgetragen wurde. Lange her. Aber es gab auch Rennen, hat die Autorin herausgefunden, bei denen der Sieger war, der als Letzter ins Ziel kam. Man stelle sich das mal in der Fußball-Bundesliga vor, Bayern Letzter und Schalke Erster. Toll, oder!
Aber lassen wir mal die Geschichte des Fahrrads beiseite. Radeln wir einfach. Dem Fahrrad gehört die Zukunft. Das hat übrigens schon mein Schwiegervater vor Jahrzehnten so gehalten. Er fuhr fast immer mit dem Rad, bei jedem Wetter. Er war der einzige radelnde Schulrektor in Oberbayern(oder mindestens im Landkreis Laufen, das ist nicht weit von Bad Reichenhall). Als wir nach dem Studium ins Ruhrgebiet zogen, hatten wir zwar ein Auto, aber die Wege zum Einkaufen oder in die Schule legte meine Frau mit dem Rad zurück. Die Leute staunten nicht schlecht, weil damals das Fahrrad eigentlich keine Zukunft oder dieselbe schon hinter sich hatte. Der Ruhri fuhr Auto, am liebsten Sechszylinder, tiefergelegte Opel oder Golf oder den VW mit dem eingebauten Porsche-Motor. Gab es alles.
Heute kennen wir nicht nur gemütlich dahinradelne Menschen wie wir, also Genussradler, sondern auch Kampfradler, die über dem Lenkrad liegen und dann ohne zu klingeln an einem vorbeisausen, geschätzt mit Tempo 30 km/h. Ein guter Freund von mir in München fährt Rennrad. Hin und wieder 90 Kilometer, für die er dann knappe drei Stunden reine Fahrzeit benötigt. Zwischendurch legt er eine Pause ein, um sich ein verdientes Weizenbier zu gönnen, was natürlich in Corona-Zeiten nicht geht. Die Biergärten haben geschlossen. Kulturbrüche gibt es.
Wie sich die Zeiten geändert haben. Dem Fahrrad gehört die Zukunft,wobei der Radler gelegentlich in Kauf nehmen muss, dass er bei Regen pitschenass wird. Ist uns heute passiert auf dem Heimweg, es fehlten zehn Minuten. Aber dann kam es von oben. Nass bis auf die Haut. Aber dennoch, Radfahren macht Spaß. Wir haben schon Touren gemacht um den Chiemsee, rund 60 Kilometer, so gut wie ohne Bergwertung. Oder von Ottobrunn Richtung München, irgendwann an der Isar entlang. Und wenn dann der Biergarten geöffnet hat…Und wir sind durch Berlin geradelt, mitten durchs Brandenburger Tor, dann über den Kurfürstendamm, als der für Autos mal gesperrt war. Oder über die A 40 in Bochum. Oder entlang der Ruhr, durch Oldenburg, wo der normale Mensch mit dem Rad zum Biertrinken fährt.
Ein Leben ohne Fahrrad- geht nicht. Die Literatur hat längst das Rad entdeckt, schreibt die vielwissende Autorin in ihrer feinen „kleinen Kulturgeschichte des demokratischsten Verkehrsmittels der Welt“. Mark Twain habe darüber geschrieben, Bert Brecht sein Gedicht „Radwechsel“ als Reaktion auf den Volksaufstand am 17. Juni in der DDR verfasst. Und nicht zuletzt die Musik habe die Kunst des Rollens auf zwei Rädern besungen, wie Palastorchester-Chef Max Raabe. „Manchmal ist das Leben ganz schön leicht/Zwei Räder, ein Lenker und das reicht.“ Bin gespannt, ob die Grünen, die zu Beginn ihrer Parlamentsjahre in Bonn Anfang der 80er Jahre ein Dienst-Fahrrad hatten, am Montag mit dem Rad zur Kür ihres Kanzler-Kandidaten/in kommen.
Quelle: Christiane Peitz: Engel der Straße. in Tagesspiegel am Sonntag.