Es sei, sagte Tino Chrupalla in seinem Schlusswort, ein sehr schöner AfD-Parteitag in Dresden gewesen. Dass Jörg Meuthen, Chrupallas Ko-Bundessprecher, der gleichen Meinung ist, muss man nicht vermuten.
Denn kurz vor dem Ende der zweitägigen Veranstaltung in einer Dresdner Messehalle hatten ihm die Delegierten eine empfindliche Schlappe zugefügt. Mit 217 zu 189 Stimmen forderten sie am Sonntagabend den Bundesvorstand auf, Roland Hartwig, den früheren Leiter der parteiinternen Arbeitsgruppe Verfassungsschutz, „mit sofortiger Wirkung“ wieder in sein Amt einzusetzen.
Im vorigen Dezember hatte eine Mehrheit im Bundesvorstand ihn abgesetzt.
Mehr und mehr hatte sich Hartwig zuvor zum Kritiker von Meuthen entwickelt. Vor Jahren noch für die „Alternative Mitte“ aktiv, in der sich angeblich „Gemäßigte“ in der AfD versammelten, fand der Jurist und Bundestagsabgeordnete zunehmend neue Freunde in „Flügel“-nahen Kreisen.
Sein Rauswurf sorgte für Empörung in der Partei, deutlich über den „Flügel“ hinaus. Schon der Bundeskonvent der AfD, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, hatte Ende Februar eine Revision der Absetzung verlangt. Doch der Bundesvorstand tat – nichts.
Dass der Antrag nun in Dresden eine Mehrheit fand, war auch ein Triumph für Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke. Ohnehin war der Vormann des Rechtsaußenlagers in der AfD in der sächsischen Landeshauptstadt aktiv wie noch bei keinem Parteitag zuvor. Er hielt nicht nur eine Laudatio auf Hartwig, sondern schaltete sich immer wieder in die Diskussionen über Sachanträge oder das Programm zur Bundestagswahl ein. Fast wirkte es, als wolle er sich revanchieren für den Spott und die Zurechtweisungen, mit denen ihn Meuthen im vorigen Jahr eingedeckt hatte. „Wer ist Björn Höcke?“, hatte Meuthen in die Fernsehkameras gefragt. Aus seinem Thüringer Sprengel traue er sich hinaus und solle als reiner Landespolitiker „den Ball ein wenig flach halten“. In Dresden nun votierten 53,45 Prozent der Delegierten für Höckes Antrag, nur 46,55 Prozent standen hinter Meuthen.
Riss mittendurch
Nicht nur an dieser Stelle zeigte der Parteitag erneut, dass der Riss nach wie vor ziemlich genau mitten durch die AfD geht. Schon bevor das eigentliche Tagungsprogramm begann, wurde das deutlich. Bei anderen Parteien sind „Beratung und Beschlussfassung der Tagesordnung“ Formalien, die beiläufig und rasch abgehakt werden. Bei der AfD füllen sich damit regelmäßig die ersten Stunden eines Parteitags: Es ist die Zeit für die ersten Machtproben, die Gelegenheit, Themen auf die Tagesordnung zu bringen, mit denen den Gegnern in der eigenen Partei geschadet und der eigenen Anhängerschaft genutzt werden kann. In der AfD, in der Meuthens Mehrheit im Bundesvorstand so offenkundig Teil und Instrument der Lagerkämpfe ist, geht es auch darum, der Führungscrew schon früh Grenzen aufzuzeigen.
Mal gelingt das, mal nicht. In den wichtigsten Fragen ist es aber immer knapp. Der Antrag von fünf Landesverbänden, begründet von Sachsens AfD-Chef Jörg Urban, anders als von Meuthen gewünscht schon in Dresden die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl zu bestimmen, scheitert.
49,1 Prozent der Delegierten wollen das. 50,9 Prozent lehnen das ab. Ein Antrag des sehr „Flügel“-nahen Landesverbandes Sachsen-Anhalt schafft es hingegen auf die Tagesordnung: Er verlangte die Abberufung von Meuthen-Anhänger Christian Waldheim, der im Bundesvorstand als „Landesbeauftragter“ für Sachsen-Anhalt tätig war. 51,2 Prozent stimmen für eine Diskussion, 48,8 Prozent dagegen. Beispiel drei: Mit 52,3 zu
47,7 Prozent votieren die Delegierten dafür, dass die Hartwig-Resolution auf die Tagesordnung kommt.
Fassade der Geschlossenheit
So eng die Entscheidungen in diesen Fragen ausfielen, so eindeutig war das Votum, als es um einen Abwahlantrag gegen Meuthen ging. Der schafft es gar nicht erst auf die Tagesordnung. Die für eine Abwahl erforderliche Zweidrittelmehrheit wäre ohnehin nicht zustande gekommen.
Abgerechnet wird beim kommenden Parteitag im November, wenn die Bundestagswahl Vergangenheit ist und regulär Vorstandswahlen anstehen.
Bis dahin sind Rüffel und Sticheleien erlaubt, die finale Demontage des Spitzenmanns ist es aber noch nicht.
Nicht einmal ein halbes Jahr vor der Wahl gilt es, trotz allem so etwas wie eine Fassade der Geschlossenheit aufzubauen. Nachdem sie sich durch mehr als 170 Änderungsanträge gearbeitet und dabei im Zweifel meist den radikaleren Varianten ihre Stimme gegeben haben, beschließen die rund
580 Delegierten einstimmig ihr 73-seitiges Programm zur Bundestagswahl.
Es atmet den Geist des vorigen Jahrhunderts, als die Familien noch heil und die Bundeswehr stark waren, als noch niemand über Klimawandel und Genderstudies sprach und man mit DM und nicht mit Euro zahlte.
„Deutschland. Aber normal“ soll der Slogan im Bundestagswahlkampf sein.
Dexit-Partei
Weitgehend basierte der Leitantrag auf AfD-Programmen für frühere Wahlen. Eine gravierende Änderung freilich gab es. Und auch sie ist für Meuthen (mindestens) ein Nadelstich. Bisher hatte er es erfolgreich verhindern können, dass seine AfD auch offiziell zur Dexit-Partei wurde – wenngleich der antieuropäische Affekt seit langem zur Grundausstattung der meisten Mitglieder gehört. Doch nun beschlossen die Delegierten mit großer Mehrheit: „Wir halten einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen
Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig.“ Meuthens Hinweis, mit einem Austrittsbeschluss würde nichts erreicht, zog nicht mehr. Im Programm steht nun: „Die Vehemenz, mit welcher die Europäische Union die Transformation zum planwirtschaftlichen Superstaat in den letzten Jahren vorangetrieben hat, ließ uns erkennen, dass sich unsere grundlegenden Reformansätze in dieser EU nicht verwirklichen lassen.“ Ein Delegierter, der sächsische Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse, begründete die Notwendigkeit, dass Deutschland die Europäische Union verlassen müsse, knapper: „Weil die EU sterben muss, wenn Deutschland leben will!“ AfD-Normalität.