„Kennt einer von Ihnen Adolf Eichmann“, fragte die sachkundige Frau, die eine Schulklasse im Alter von 16 bis 17 Jahren durch das Haus der Wannseekonferenz am Großen Wannsee in Berlin führte. Ich stand als Besucher dieser Ausstellung direkt neben der Gruppe. Adolf Eichmann, der unscheinbare Schreibtischtäter in der Nazi-Zeit, die zentrale Figur der Deportation von Millionen Juden in Ghettos und Vernichtungslager, ein Massenmörder. Keine Frage. Hier in dieser Idylle am See, umgeben von Bäumen, Gärten und Villen, einem Yachtklub, in einem Segler-Paradies saßen 15 hohe Nazi-Beamte am 2. Januar 1942 um einen großen Esstisch des erwähnten Hauses auf Einladung von Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichts-Sicherheitshauptamtes, um die Endlösung der Juden zu besprechen. Mit dabei als Protokollchef Adolf Eichmann, Obersturmbannführer. Man hatte eine Liste aller in Europa lebenden 11 Millionen Juden zusammengestellt, sechs Millionen von ihnen wurden ermordet, vergast, zu Tode geprügelt, erschossen, Kinder, Mütter, Alte. Sie saßen da und entschieden bei einem Glas französischen Cognacs über das Leben von Menschen, die vernichtet werden sollten, weil sie Juden waren. Auch Roland Freisler war zugegen, der berüchtigte Chef des Volksgerichtshofs, einer der furchtbaren Juristen jener Jahre.
Ob einer der Schülerinnen und Schüler Eichmann kannte? „Ja, ich habe von ihm gehört“, antwortete ein Mädchen. „Er war irgendwo im Exil“. Dass die Schüler keine Ahnung von Eichmann hatten, dem Organisator der Endlösung der Judenfrage, hat mich nicht gewundert. Im Geschichts-Unterricht werden sie dieses schlimme Kapitel der Nazi-Zeit kaum behandelt haben. Und als Eichmann damals vom israelischen Geheimdienst Mossad aufgespürt und ihm in Israel ab dem 11. April 1961, heute vor 60 Jahren, der Prozess gemacht wurde, waren die Schülerinnen und Schüler noch nicht geboren. Eichmann wurde zum Tode verurteilt und am 31. Mai 1962 hingerichtet, seine Asche im Meer verstreut. Die Führerin durch die Gedenkstätte erklärte den tödlichen Sinn dieser Konferenz in dieser noblen Gegend.
Als die Mörder unter sich waren
Beim Prozess in Jerusalem beschrieb Eichmann die lockere Atmosphäre der Wannsee-Runde. „Fröhliche Zustimmung“ habe er am Ende der 90minütigen Sitzung geerntet, fröhliche Zustimmung bei der Diskussion von Fragen zur Koordination der Behörden, deren Aufgabe es war, die Millionen Juden in allen Teilen Europas-damals besetzt von Nazi-Deutschland, von der Wehrmacht, der SS,- aufzuspüren mit dem Ziel, sie zu vernichten. Fröhlich, locker, dazu einen Cognac, die Mörder waren ja unter sich, sie waren sich einig, es gab keinen Streit, weil der erklärte Feind gar nicht körperlich anwesend, aber schon im Zielfernrohr ausgemacht war. An der Wand der Gedenkstätte konnte man auf einer Tafel ablesen, wo die Juden überall lebten: in Frankreich 165000, in Ungarn 742000, in der Sowjetunion fünf MIllionen, Millionen in Polen, zusammen über elf Millionen, so die Todestabelle der NS-Bürokraten.
„Ich habe damit nichts zu tun“, hörte sich eine der Antworten von Adolf Eichmann an, als die Anklageschrift gegen ihn in Jerusalem verlesen wurde. Die erste Anklage lautete: „Verbrechen gegen das jüdische Volk.“ Eichmann redete sich raus, argumentierte mit dem sogenannnten Befehlsnotstand. Dabei war er u.a. Chef der Sonderkommission in Budapest gewesen, wo 1944 die Deportation von Hunderttausenden von Juden ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau beschlossen und ausgeführt worden war. Und dieser Eichmann, der den Holocaust organisiert hatte, stellte doch tatsächlich ein Gnadengesuch an den damaligen israelischen Präsidenten, weil er ja angeblich nur getan hatte, was man ihm befohlen habe.
Ja, es waren Bürokraten am Werk. „Das Unerhörte“, so ist in Band III „Deutschland im Spiegel“ zu lesen, „das wahrhaft Entsetzliche der Judenvernichtung lag darin, dass Tausende biederer Familienväter dem öffentlichen Geschäft des Mordens nachgingen und sich am Feierabend in dem Gefühl streckten, gesetzestreue, ordentliche Bürger zu sein, denen es nicht einfallen würde, einen Schritt vom Pfad der Tugend abzuweichen…Beamtenseelen, die in ihrem grotesk-heuchlerischen Selbstmitleid sich als tragische Menschen vorkamen.“ Leute wie Adolf Eichmann, die mit dabei waren und mitmachten, als speziell für den Massenmord an Juden eine Mord-Industrie errichtet wurde, Gaskammern und Zyklon B. Dafür stehen die Namen wie Auschwitz und ja wie Adolf Eichmann.
Über die Rattenlinie nach Argentinien
„Ohne jede Reue“, so der Titel einer ganzseitigen SZ-Geschichte über den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem. „Sechs Millionen Juden klagen an.“ Heißt es in der Unterzeile weiter. Aber wie gesagt, er war ja nur Befehlsempfänger, der Cheforganisator des Holocaust, der nach dem Krieg zunächst in Deutschland untergetaucht war, weil er eine Verhaftung gefürchtet hatte, und dann 1950 über Italien nach Argentinien entkommen war, über die sogenannte Rattenlinie. In Buenos Aires arbeitete er als Schweißer bei Daimler-Benz, ehe er aufgespürt und von den Israelis nach Jerusalem entführt wurde.
Dieser Prozeß machte erstmals der Welt das Ausmaß der Vernichtung der Juden deutlich, dieser Prozeß gab den jüdischen Opfern eine Stimme und er gab dem Massenmord ein Gesicht: Adolf Eichmann. Das Bild des im Glaskasten sitzenden Eichmann ging um die Welt, ich erinnere mich noch genau daran. Der Mann im dunklen Anzug, mit Hemd und Krawatte, dunkler Hornbrille. Drei Ankläger, Überlebende des Holocaust, berichteten vor Gericht über die Gräueltaten der Nazis. Und mittendrin im Glaskasten der Nazi Eichmann. Mit strammer Haltung, wie die Zeitung „Die Welt“ damals notierte. Und an anderer Stelle wurde auf die Augen des Angeklagten hingewiesen, „diese eiskalten Augen“, die die Zeugen der Nazi-Verbrechen damals gesehen hatten im Gesicht des Adolf Eichmann. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der wenig später gegen viel Widerstand die ersten Auschwitz-Prozesse in Frankfurt führen konnte, hatte den Israelis den entscheidenen Hinweis auf den Aufenthaltsort Eichmanns in Südamerika gegeben. Bauer, selber Jude, traute der deutschen Polizei nicht. Der Fernsehfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ beschreibt das auf nachdrückliche Art.
Das Schicksal jüdischer Kinder
Verbrechen gegen das jüdische Volk, gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation. Der Prozess in Israel rief bei vielen Menschen in aller Welt die Nazi-Zeit und ihre Verbrechen wieder ins Gedächtnis. Sieben Stunden dauerte die Anklageverlesung durch Oberstaatsanwalt Gideon Hausner. Hausner beschrieb, wie ich das in der erwähnten SZ-Geschichte gerade nachlese, vor allem das Schicksal jüdischer Kinder, „wie man sie vor den Augen der Mütter in Stücke riss, wie man den Kleinen den Kopf am Boden zerschmetterte, sie in die Luft warf und mit der Spitzen des Gewehrs auffing.“ Ich war mehrfach in Auschwitz, habe solche Schilderungen gelesen, sie machen einen sprachlos, nehmen einem die Luft zum Atmen, bringen andere zum Weinen. Aber einer wie Adolf Eichmann hatte mit all dem nichts zu tun. Der Bürokrat der Todesmaschinerie, der nach Augenzeugenberichten so gar nichts Diabolisches an sich hatte, den der Publizist Uri Avnery, ein Prozessbeobachter, als „Null, als ein Nichts“ beschrieb(so steht es in der SZ). Und Hanna Arendt, die auch von dem Prozess berichtete, sprach von der „Banalität des Bösen“.
„Ich habe nur Befehle ausgeführt“, hat Eichmann auf Deutsch seine Unschuld beteuert. Der Mann, der am Wannsee jene Liste des Todes zusammenstellen half bei einem Glas Cognac, um alle Juden dieser Welt zu vernichten. Durch den Prozess in Jerusalem gegen einen wie Eichmann wurde etwas bewusst gemacht, was man sich eigentlich nicht vorstellen kann- wüsste man es nicht besser. Man gehe nach Berlin und schaue sich das Mahnmal in der Nähe des Brandenburger Tores an, geschaffen von Peter Eisenmann, der einst bei der Einweihung auf eine entsprechende Frage eines Journalisten, der das Werk des Erbauers nicht nachvollziehen, nicht verstehen konnte, geantwortet hatte: „Können Sie den Holocaust begreifen, den Mord an sechs Millionen Juden.“