Parteitage der AfD sind selten das, was sie doch eigentlich sein sollen. Ein „Sozialparteitag“ war angekündigt, als sich mehr als 500 Delegierte Ende vorigen Jahres im niederrheinischen Kalkar trafen. Zwar beschlossen sie ein Papier zur Renten- und Gesundheitspolitik. Aber tatsächlich wird der Parteitag aus einem ganz anderen Grund in Erinnerung bleiben: weil einer ihrer beiden Bundessprecher ganz offen mit seinen Gegnern in der AfD abrechnete und weil die anderntags zum Gegenschlag ausholten.
Am kommenden Wochenende lädt die AfD erneut ihre Delegierten ein. Ein „Wahlparteitag“ soll es werden. Doch schon jetzt ist absehbar, dass es in den Dresdner Messehallen vor allem um die Frage gehen wird, wer in der Partei das Sagen hat: Bundessprecher Jörg Meuthen, der unter der Drohung einer Verfassungsschutzbeobachtung seiner AfD eine verbale Mäßigung verordnen will. Oder die Anhänger des „Flügels“, ergänzt um jene Gruppe in der Partei, die mit Höcke‘schem Gedröhn zwar wenig zu tun haben will, hinter Meuthens Seriositätssimulation jedoch die Gefahr einer Spaltung wittert.
Meuthen, der einst selbst die „Flügel“-Nähe suchte, schwebt eine AfD vor, die sich am „Erfolgsrezept“ einer FPÖ oder einer „Lega“ orientiert: Radikal rechts soll die Partei sein, aber tunlichst nicht als Outlaw erscheinen, der als Bündnispartner von Konservativen von vornherein ausscheidet. Vor allem, aber nicht nur im Osten hält man von derlei verbaler Leisertreterei wenig. Und die Landesverbände dort können auf Erfolge verweisen. Während die AfD im Westen unter zehn Prozent bleibt und in einigen Bundesländern in Umfragen sogar Mühe hat, die Fünf-Prozent-Marke zu überspringen, erfreut sie sich in aktuellen Umfragen ihrer 20 und mehr Prozent.
„Früh und konsequent gegen den Flügel“
Mal um Mal haben Meuthens Gegner in der Partei für die Bundestagswahl ein Spitzenduo Chrupalla/Weidel ins Gespräch gebracht. Taktisch war das nicht ungeschickt. Mann/Frau, Ost/West, ein als „Sozialpatriotismus“ titulierter Volksgemeinschaftsgedanke hier, ein nationalistisch aufgeladener Marktradikalismus dort. Doch klar war: Meuthen, der selbst nicht für das Berliner Parlament kandidiert, weil er in seinem heimatlichen Landesverband Baden-Württemberg vermutlich keine Mehrheit gefunden hätte, würde nicht tatenlos zusehen, wenn zwei seiner Gegenspieler öffentlichkeitswirksam die große Bühne bespielen und er nur am Rande steht.
Eine Zeitlang galt Rüdiger Lucassen als Meuthens Favorit für die Spitzenkandidatur. Doch der Oberst a. D., MdB und AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, scheint aus dem Rennen zu sein, nachdem er sich mit den „gemäßigten“ Strippenziehern im eigenen Bundesland überworfen hat. Stattdessen wird nun die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar als westliches und weibliches Pendant zu Chrupalla präsentiert. Die 48-jährige Digitalpolitikerin aus dem Kreis Gießen kennt zwar kaum jemand, doch sie bietet für Meuthen den Vorteil, dass sie treu an seiner Seite steht. Oder wie Uwe Junge, Ex-AfD-Landeschef in Rheinland-Pfalz, meint: „Cotar hat sich früh und konsequent gegen den Flügel positioniert. Das qualifiziert sie vor vielen anderen.“ Über Chrupalla sagt Junge hingegen, der sei „für jeden intelligenten Leistungsträger eine echte Zumutung“.
Sieben Landesverbände für rasche Entscheidung
Entscheiden soll der Parteitag über die Spitzenpersonalien nicht, geht es nach Meuthen. Seine Mehrheit im Bundesvorstand setzte eine vorläufige Tagesordnung durch, die ganz ohne Kandidatenfrage auskommt. Bestätigt fühlen kann er sich durch eine Befragung der Mitglieder. 87 Prozent der Teilnehmenden votierten dafür, dass erst in einer weiteren Mitgliederabstimmung nach dem Parteitag eine Entscheidung fallen soll. Allerdings: An der Befragung beteiligte sich noch nicht einmal ein Viertel der AfD-Mitglieder, deren Zahl im Übrigen in den ersten drei Monaten des Superwahljahrs weiter gesunken ist.
Schon bevor die Ergebnisse dieses Mitgliedervotums vorlagen, hatten sieben AfD-Landesverbände eine Entscheidung durch den Parteitag verlangt. Mit dabei: die Landesverbände aus den fünf ostdeutschen Bundesländern sowie aus Niedersachsen und dem Saarland. Ob die Anträge aufrechterhalten werden, ist bislang offen. Wahrscheinlich ist es, denn die Landesverbände drängen auf ein rasches Votum.
Abwahlantrag gegen Meuthen
Die 600 eingeladenen Delegierten haben auch über einen Antrag zu entscheiden, der auf Meuthens Abwahl abzielt. Die Antragsteller fahren massives Geschütz auf. Sie attestieren ihrem Parteisprecher „ungehöriges“ Verhalten gegenüber AfD-Abgeordneten und -Funktionären, einen „Konfrontationskurs gegenüber einer Strömung seiner Partei“ und vor allem, dass er im Zusammenhang mit seinem Spendenskandal die AfD – bislang ohne erkennbare Konsequenzen – um mindestens 270.000 Euro geschädigt habe. „Pervertieren wir nicht den Begriff der Bürgerlichkeit zu einer Vokabel, die Korruption und Fehlverhalten ohne persönliche Verantwortung als Selbstzweck zulässt“, schreiben die Antragsteller.
Dass eine für Meuthens Abwahl erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit zustande käme, ist völlig unwahrscheinlich. Zweifelhaft ist schon, dass es der Abwahlantrag überhaupt mit einer einfachen Mehrheit auf die Tagesordnung schafft. In der AfD weiß man, wie sich vor wichtigen Wahlen der ganz große Eklat vermeiden lässt. So war es 2017, als Parteichefin Frauke Petry erst am Tag nach der Bundestagswahl davonzog. Und so wird es 2021 sein: Zur großen Abrechnung kommt es in den Tagen und Wochen nach der Wahl im September, nicht früher.
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