Experten des Tierreichs kennen die Spezies der Chamäleons: Diese weisen einige typische körperliche Merkmale auf, einen gedrungenen Rumpf, hohen Rücken und kompakten Schädel. Ihr besonderer Charakter ist indessen die ausgeprägte Fähigkeit; ihre Farbe zu wechseln und ihre Körperform zu variieren. Kein anderes Team der 1. Bundesliga weist solche ähnlichen Fähigkeiten auf wie Borussia Dortmund.
Mit Manchester City auf Augenhöhe
Wer die BVB-Elf in dieser Saison Wochenende für Wochenende beobachtet, muss oft genug als Fan leiden, kann sich hin und wieder aber auch für Borussen-Spiele begeistern. Denn dem Unentschieden gegen den abstiegsbedrohten 1. FC Köln und der Heimniederlage gegen Eintracht Frankfurt folgte dann in der Champions League ein Klasse-Match gegen das derzeit beste Team Europas: Gewiss gegen Manchester City ging es am Ende etwas unglücklich mit 1:2 für die Borussia aus Dortmund aus. Doch die Mannschaft, der ein regulär erzieltes Tor von dem schwachen rumänischen Schiedsrichter aberkannt wurde, war wirklich nicht wiederzuerkennen. Dabei liefen bis auf eine Ausnahme exakt die Kicker im Stadion von Manchester auf, die in vielen Bundesligaspielen ihre Fans schier zur Verzweiflung getrieben haben.
Laufen und Kämpfen als große Tugend
In diesem Viertelfinal-Hinspiel traten die BVB-Spieler nicht den Ball, sondern spielten ihn durchweg gekonnt. Vor allem zeigten sie, dass sie das Laufen und Kämpfen beherrschen, dass sie den Ball nicht nur horizontal, sondern vertikal zu spielen imstande sind und das gegnerische Tor bereits nach kurzer Zeit entdecken können. Die erfahrenen Kicker Hummels, Can und Reus gingen in Manchester wirklich voran und trieben die jüngeren Kameraden wie Bellingham und Knauff engagiert an. Das Team von Pep Guardiola spielte erneut groß auf, mit Schnelligkeit und genauen Pässen sowie Überraschungsmomenten. So hatte Manchester City jüngst die kleine Borussia aus Mönchengladbach im Achtelfinale aus dem Wettbewerb geworfen. Gegen die Dortmunder taten sich die Millionen-Kicker von der Insel doch viel schwerer, um am Ende einen knappen Erfolg zu erzielen. Denn die Dortmunder hielten mit konsequentem Pressing dagegen, die Stürmer eilten zwecks Verteidigung zurück, die Verteidiger wagten sich vor in die gegnerische Hälfte.
Wechsel zwischen Welt- und Kreisklasse
Gewiss gab es auch kleinere Fehler -etwa bei Pässen. Ein solches Abspiel von Can im Mittelfeld hatte dann zur Folge, dass Manchester mit einem Tor in Führung ging. Doch Reus glich nach einem genauen Zuspiel von Erling Haarland, der nicht ganz so wirkungsvoll agierte, zum 1:1 aus. Das Siegtor für Manchester fiel zum Schluss des Spiels, als die sonst so aufmerksame Defensive der Borussen nicht mehr so konsequent verteidigte wie zuvor. Das war ein Wermutstropfen, doch mit dem auswärts erzielten Tor könnte der BVB schon bei einem 1:0-Sieg im Rückspiel ins Halbfinale einziehen. Dafür sollten sich die Borussen am nächsten Mittwoch noch ein wenig steigern, um Manchester zu besiegen. Wenn der BVB seine grandiose Leistung am kommenden Wochenende beim VfB Stuttgart wieder auf den Platz bringt, sollten auch dort drei wertvolle Punkte zu holen sein. Doch muss bei den Dortmundern leider immer wieder der Chamäleon-Effekt einkalkuliert werden. Deshalb befindet sich die BVB-Elf derzeit nur auf Platz 5 der Bundesliga-Tabelle, 7 Punkte hinter Eintracht Frankfurt und hinter einem 4. Rang, der den Einzug in die Champions League garantieren würde. Nur noch Siege in den noch verbleibenden Liga-Spielen könnten dazu führen, dass der BVB das rettende Ufer erreichen kann und in der nächsten Saison nicht in der Europa-League, der „Champions League der armen Leute“, spielen muss. Die finanziellen Folgen wären bei einem solchen Unfall verheerend.