Für mich war es eine Sternstunde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ARD), als Report München gestern Abend die gesamte Sendezeit dafür nutzte, um einen Beitrag über den Ex-Gestapo-Chef von Wien, Franz-Josef Huber, zu senden. Ein Klasse-Stück mit viel Recherchearbeit über einen der einst führenden Nazi-Generale, der zeitweise Vorgesetzter von Adolf Eichmann und als solcher verantwortlich war für die Deportation und Ermordung von Zehntausenden von Menschen, darunter vielen Juden aus der österreichischen Metropole. Er war, wie es die „Welt“ getitelt hat in ihrem lesenswerten Beitrag, „Himmlers Statthalter in Wien“. Nach dem Krieg interessierten sich zunächst die Amerikaner für ihn, weil er als Kenner der Spionage gegen die Sowjetunion galt. Also stellten ihm die Amis eine Art Persilschein aus, später arbeitete er zwölf Jahre für den BND. Huber lebte unter seinem vollen Namen unbehelligt in München, seiner Geburtsstadt. Dort starb er 1975. Die Familie, so Report München, habe das Grab inzwischen auflösen-oder besser beseitigen?- lassen. Zu einem Interview war sie nicht bereit. So der Sender.
Beiträge dieser Art machen mich immer wieder sprachlos. Wie konnte es passieren, dass einer wie Huber in Nürnberg zwar vor Gericht stand, aber im Grunde davonkam? Er wurde in einem Spruchkammerverfahren 1949 als „Minderbelasteter“ eingestuft und erhielt eine lächerliche Strafe: Ein Jahr auf Bewährung plus eine Geldstrafe von 500 DM. Das Urteil wurde dann aufgehoben, die nächste Instanz verurteilte Huber zu fünf Jahren Arbeitslager, doch der Verurteilte verschwand von der Bildfläche. 1955 wurde auch dieses Urteil aufgehoben. Wer dahinter stand, wer geholfen hat, der BND, Gehlen etwa, die Amerikaner, die sein Netz für ihre Spionage in der UdSSR nutzten? Der BND wusste genau Bescheid über Huber, beschäftigte ihn dennoch von 1955 bis 1967. Offiziell arbeitete Huber nicht für den Geheimdienst, der sorgte dafür, dass Huber offiziell als Buchhalter in einem Münchner Unternehmen für Büromaschinen tätig war. Eine Tarnung des BND.
Er verhörte Georg Elser
Franz-Josef Huber wurde als SS-Obersturmbannführer 1939 von Wien nach München abkommandiert und leitete die Ermittlungen im Fall des von Georg Elser durchgeführten Attentats auf die gesamte NSDAP-Spitze im Münchner Bürgerbräukeller am 8. November 1939. Elser gestand die Tat, die er entgegen der Vermutung von Hitler, Himmler und Heydrich allein geplant, vorbereitet und ausgeführt habe, nicht im Auftrag der SS und auch nicht im Dienst des britischern Geheimdiestes. Er sei seinem Gewissen gefolgt, weil er überzeugt sei, dass Hitler Deutschland Unglück bringen werde. Das Attentat scheiterte knapp, Hitler und die anderen Nazi-Schergen überlebten.
„Report München“ berichtete zum Fall Huber, man habe Hunderte von Seiten aus bisher unbekannten Unterlagen aus dem Archiv des BND ausgewertet und sie hätten belegt, dass Huber in der erwähnten Zeit im Dienst des BND oder seiner Vorläuferorganisation gestanden habe. Die Zeitung „Die Welt“ weist daraufhin, dass diese Zusammenarbeit schon seit 2016 bekannt gewesen sei. Als Beleg dafür führt sie eine Doktorarbeit von Sabrina Nowack über „Sicherheitsrisiko NS-Belastung“ an. Sie habe auch der Historiker-Kommission angehört, die der damalige BND-Chef Urlau 2011 berufen hatte, um Verstrickungen des westdeutschen und später des gesamtdeutschen Auslandsnachrichtendienstes aufzuklären.
Gleichwie war der Bericht von Report München journalistisch fein gewirkt. Respekt. Die „New York Times“ hat die Recherchen der ARD-Fernseh-Journalisten aufgegriffen und dazu ergänzend herausgefunden, dass es in einer Memo des CIA geheißen habe, Huber könne für den US-Geheimdienst von gutem Nutzen sein, auch weil man sich neue Erkenntnisse durch das Netzwerk des einstigen SS-Generals erhoffte. Huber sollte eigentlich in Österreich als ein Kriegsverbrecher vor ein Gericht gestellt werden, aber das gelang dann nicht, weil er untertauchte und wie erwähnt von den Amerikanern eine Art Persilschein erhielt.
Stramme Antikommunisten gesucht
Das Interesse des BND an Huber erklärt der BND-Historiker Bodo Hechelhammer: „Der Hintergrund ist natürlich, dass man zu dieser Zeit im aufkommenden Kalten Krieg stramme Antikommunisten gesucht hat und die hat man leider allzu oft auch in den früheren Nationalsozialisten gesucht und gefunden.“ Die einstigen verbündeten Russen wurden nach 1945 sehr schnell zu Feinden, der Russe stand in Berlin, Deutschland war geteilt und die Angst vor den Russen sorgte dafür, die eigene braune und teils schlimme Nazi-Vergangenheit vergessen zu machen. Viele Nazi-Juristen konnten ihre Karriere unbehelligt fortsetzen, andere wie der Auschwitz-Arzt Mengele und Adolf Eichmann entkamen nach Südamerika.
Stichwort Eichmann: Er wurde wie Huber kurz nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland nach Wien versetzt, Huber wurde dort Gestapo-Chef und Leiter der oben erwähnten Zentralstelle für jüdische Auswanderung, die von Eichmann in Wien aufgebaut worden war. Für den österreichischen Historiker Thomas Mang ist Franz-Josef Huber „verantwortlich für die Massendeportation der jüdischen Bevölkerung Wiens.“ Eichmann wurde bekanntlich vom israelischen Mossad in Argentinien entdeckt und nach Israel entführt. Dort wurde ihm der Prozess gemacht, Eichmann sah sich als nicht schuldig an und stellte am Ende sogar ein Gnadengesuch, das abgelehnt wurde. Er wurde gehängt, die Asche wurde im Meer verstreut. Es war der Fall Eichmann, der Huber in München nervös machte, wie Report München herausgefunden hat. Er soll Sorge gehabt haben, dass er beobachtet werde und ließ Erkundigungen über Auto-Kennzeichen einziehen.
Zur Bedeutung Hubers noch ein paar weitere Angaben, gefunden in der „Welt“ und bei Wikipedia: Schon 1934 wechselte der gelernte Polizist zum Geheimen Staatspolizeiamt nach Berlin. 1938 mit dem Anschluss kam der Wechsel nach Österreich, Huber wurde Leiter der Stapo-Leitstelle Wien, eine regionale Filiale der Gestapo, die größte im ganzen Reich. Seit 1942 arbeitete Huber als „Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SS-Sicherheitsdienstes“ in Wien, ab 1944 als „Befehlshaber der Sicherheitspolizei“ und damit eben Himmlers Statthalter in Wien und zeitweise Chef von Eichmann. Er war damit auch zuständig für die Unterdrückung jeder Opposition und für antisemitische Politik. Von Wien aus führten Deportationen von Tausenden von Juden direkt in die Vernichtungslager im besetzten Polen. Der Historiker Stefan Meining stuft Huber so ein: „Der BND hat viele Nazis rekrutiert, aber kaum jemand hatte eine derart herausragende Position. Sie wussten genau, dass Huber kein kleiner Gestapo-Mörder war, sondern ein SS-General, der sich in den innersten Kreisen des NS-Terrorapparates bewegte und für den Tod Zehntausender Juden und Regimegegner verantwortlich war.“
Dass einer wie Franz-Josef Huber nicht bestraft wurde, sondern unbehelligt in München bis zu seinem Tod leben konnte, empfinde ich als Skandal und als eine Schande.
Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 183-R98680 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons