Die Entscheidung von Winfried Kretschmann, dem alten Grünen-Vormann in Baden-Württemberg, eine Koalition mit der CDU einer Ampel vorzuziehen, hat mich nicht überrascht. Kretschmann hat einen Beschluss herbeigeführt, der zunächst allein Bedeutung für das Land hat. Und da Baden-Württemberg weiter auf der Erfolgsspur ist, hatte er auch keinen Grund, den Partner zu tauschen. Zudem ist die einst siegestrunkene CDU im Ländle derart geschunden, dass es für Kretschmann ein leichtes Spiel sein wird, mit ihr die Arbeit fortzusetzen. Die Christdemokraten haben eine so schwere Niederlage bei der jüngsten Landtagswahl erhalten, dass sie dem Grünen Chef in der Staatskanzlei aus der Hand fressen werden. Sie werden alles mitmachen, was er will, sie werden nicht aufmucken, weil sie froh sind, dass sie weiter mitregieren dürfen.
Und Kretschmann wird seine Arbeit in der bekannten Art fortsetzen, leise und bedächtig wird er das Land und die Strukturen verändern, die meisten Leute werden es kaum merken. Das ist sein Stil und der ist erfolgreich. Wie anders wäre sein haushoher Sieg in einem Land zu erklären, das 58 Jahre von der CDU regiert worden war und das nun schon seit zehn Jahren von einem Grünen regiert wird? Revolution war nie seine Sache. Als junger Mann war er zwar kurze Zeit ein Kommunist und fiel unter den Radikalenerlass, was seinen Einstieg in die Lehrerlaufbahn einst erschwerte. Aber anders als die meisten anderen, die damals Berufsverbote erhielten wegen dieses Radikalenerlasses, den der damalige Kanzler Willy Brandt als “ meinen Fehler“ bezeichnet hat, hat Kretschmann sich darüber nicht beschwert, sondern stuft es als seinen Irrweg ein. Er will keine Entschädigung, keine Entschuldigung staatlicher Organe, er nimmt es hin. Ruhig wie er ist, fast ein wenig in sich gekehrt.
Er ist längst der Landesvater in diesem wirtschaftlich so erfolgreichen Land, das weltweit Anerkennung findet für seine Produkte. Das „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ könnte von ihm stammen. Auch die konservativen Landeskinder, wenn ich das mal so sagen darf, haben ihn teils mitgewählt. Er hat sie rübergezogen in sein Lager, sie mögen ihn und seine Art. Die Grünen, einst als Schreckgespenst verschrieen, vor allem in der Union, sind bürgerlich geworden. Dass es fast überall in der Republik Gedankenspiele über Schwarz-Grün oder sogar Grün-Schwarz gibt, das hängt eben auch mit einem wie Kretschmann zusammen. Vor ihm und seiner Politik fürchtet sich kein Großindustrieller von Daimler-Benz, kein Klein-Aktionär und kein Mittelständler.
Nein, eine Signalwirkung für den Bund hat die Entscheidung von Kretschmann zunächst nicht. Allerdings würde ich nicht ausschließen, dass gerade auch er an die Bundestagswahl im September gedacht haben wird, als er für die Fortsetzung von Grün-Schwarz in Stuttgart und Umgebung plädierte. Weil Grün-Schwarz in Baden-Württemberg dem politischen Gegner, nämlich der CSU und der CDU im Bund, die Argumente aus der Hand schlägt, mit einem Grünen als Kanzlerin oder Kanzler beginne der Untergang Deutschlands.Es ist meiner Meinung nach absurd, wenn sich junge Grüne und ältere Grüne und linke SPD-Politiker darüber beschweren, dass Kretschmann nicht mit der SPD und der FDP koalieren will. So einig sind sich Grüne und Liberale, egal wo sie sind, nun wirklich nicht. Sie sehen sich eher als Gegner, der eine wie der andere. Wobei die Grünen viel stärker geworden sind, als es die FDP je war. Mehrheitsbeschaffer können sie zwar beide auch sein, aber die Grünen könnten anders als die Freidemokraten auch den Regierungschef stellen. Wie in Baden-Württemberg geschehen, ohne dass dort die Welt unterging. Und genauso könnte es im Bund geschehen, dass Annalena Baerbock oder Robert Habeck ins Kanzleramt einziehen. Ausgemacht ist das nicht, noch liegt die Union in Umfragen vorn, aber der Abstieg von CDU/CSU hat eine für ihre Regierungsfähigkeit bedenkliche Fahrt aufgenommen, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Dazu kommt die ungeklärte Frage, wer denn Kanzlerkandidat der Union wird, Armin Laschet, der unglücklich hantierende Parteichef und NRW-Ministerpräsident, oder doch Markus Söder, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, der offiziell zögert und sich nicht erklärt, aber mit Sticheleien gegen Laschet dessen Ansehen nicht unbedingt stärkt.
Die Union könnte, wenn sie ihren teils selbstverschuldeten Absturz nicht stoppen kann, in der Opposition landen. Der Niedergang der SPD macht einigen in der Union ziemliche Sorge. Die Sozialdemokraten, vor Jahren noch stärkste Partei, können von der Schwäche der Union nicht profitieren und wären schon froh, wenn sie 20 Prozent erreichen würden. Welch ein Jammer! Was ist aus dieser einst zu Recht so stolzen Volkspartei nur geworden?! Ihre elf Prozent in Baden-Württemberg verkaufen sie fast als Erfolg, weil die andere Volkspartei bei rund 24 Prozent gelandet ist. Für Häme ist kein Grund, für niemanden. Das politische Gleichgewicht in dieser Republik, die Balance, wurde über Jahrzehnte durch die beiden Volksparteien garantiert. Das ist Geschichte.
Nein, ein Signal ist die Entscheidung des alten Grünen-Vormannes für den Bund wohl nicht. Aber eines hat die Wahl gezeigt und die Debatte danach: Es gibt keine Garantie fürs Kanzleramt, weder für die Union, die mit Adenauer, Erhard, Kiesinger, Kohl und Merkel fünf Kanzler stellte, und schon gar nicht für die SPD, aus deren Reihen mit Brandt, Schmidt und Schröder drei Regierungschefs kamen. Also die Grünen? Wenn der Höhenflug in den Umfragen nicht bei der Wahl zu einer harten Landung wird. Umfragen geben Stimmungen wieder, sie sind noch keine Stimmen.