„Machtwechsel kein Weltuntergang“. So die Überschrift eines Textes mit Wolfgang Schäuble im „Tagesspiegel am Sonntag“. Da stutzt man als älterer Zeitgenosse. Machtwechsel, da war doch mal was vor Jahrzehnten. Ist es wieder so weit? Ja, zumindest wird darüber geredet, weil die Union schwer angeschlagen ist durch Affären um Masken-Geschäfte und Nebeneinkünfte einiger ihrer Mandatsträger. Schäuble sagt sowas ja nicht ohne Grund. Er ist einer der ältesten Bundestagsabgeordneten und Präsident des Parlaments, er ist ein alter Fuchs, der außer Bundeskanzler und Bundespräsident so ziemlich alles gewesen ist in der Politik. Gerade hat er im „Spiegel“-Interview die Möglichkeit eines Regierungswechsels im Herbst eingeräumt und eingestanden: „Übrigens ist 1969, als Kiesinger für Brandt gehen musste, die Welt nicht untergegangen und 1998, als Kohl Schröder unterlag, auch nicht.“ Da hat er Recht, der Schäuble, wenngleich bei einem Mann mit seiner Erfahrung auch andere Hintergründe eine Rolle gespielt haben könnten bei seinen Gedankenspielen im Hambuger Nachrichtenmagazin.
Schäuble ist Baden-Württemberger, ein Land, das 58 Jahre von den Schwarzen regiert wurde. Und in dieser einstigen Hochburg der CDU ist der Grünen-Politiker Wilfried Kretschmann Ministerpräsident seit zehn Jahren. Und Kretschmann führt nach seiner gewonnenen Landtagswahl in der kommenden Woche entscheidende Gespräche sowohl mit der CDU wegen der möglichen Fortsetzung eines Bündnisses als auch mit Vertretern von SPD und FDP über eine mögliche Ampel-Koalition. CDU-Verhandlungsführer ist Thomas Strobl, der Schwiegersohn von Schäuble. Wenn der einflussreiche Kretschmann, der einzige Grünen-Regierungschef in der Republik, sich für eine Allianz mit der CDU entscheidet, könnte das auch als ein Signal Richtung Grün-Schwarz in Berlin gedeutet werden. Für den Fall, dass die Grünen stärkste Fraktion im nächsten Bundestag werden sollten. Was möglich ist. Kretschmann gilt als ein längst gemäßigter, eher konservativer Grüner, von dem gesagt wird, er schätze die Kanzlerin. Aber Angela Merkel hört ja auf. Noch weiß niemand, ob Armin Laschet als Kanzlerkandidat antritt oder Markus Söder. Wenn der überhaupt will.
Um eines richtig zu stellen: So friedlich, wie Schäuble das hier darstellt, war der Wechsel im Kanzleramt 1969 nicht. Zumal kaum jemand damit rechnete. Das änderte sich ein wenig, als Gustav Heinemann am 5. März 1969 im dritten Wahlgang mit den Stimmen der SPD und der FDP zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Walter Scheel hatte seine Freidemokraten auf den SPD-Kandidaten Heinemann eingeschworen, damit aber zumindest offiziell nicht die erklärte Absicht verbunden, nach der Bundestagswahl im Herbst desselben Jahres mit der SPD von Willy Brandt eine Regierungskoalition zu bilden. Aber der Begriff Machtwechsel wurde nach Heinemanns Wahl-gegen den CDU-Kandidaten Gerhard Schröder- durch Heinemann selber in die Welt gesetzt. Der Essener Rechtsanwalt, der als Justizminister im Streit mit Konrad Adenauer wegen dessen Wiederbewaffnungspolitik das Kabinett verlassen hatte und über den Umweg der GVP zur SPD gewechselt war, hatte nach seiner Wahl von „einem Stück Machtwechsel“ gesprochen. Eine Bemerkung, die ihm die Union verübelte, aber die Christdemokraten waren ohnehin nicht gut auf ihn zu sprechen, weil er parteipolitisch die Seiten gewechselt hatte.
Dieser Machtwechsel kam am späten Wahlabend 1969 zustande. Kurt-Georg Kiesinger sah sich über Stunden nach Bekanntgabe des knappen Wahlergebnisses als Sieger, ließ sich vom US-Präsidenten schon zur Wiederwahl gratulieren, als Willy Brandt, der Vizekanzler unter Kiesinger, mit Walter Scheel, dem FDP-Chef, über eine sozialliberale Koalition verhandelte. Und gegen Mitternacht konnte Brandt die Einigung verkünden. Die CSU um Franz-Josef Strauß tobte ob der roten Republik, die Union setzte in den folgenden Jahren alles daran, die Ostpolitik von Brandt/Scheel zu torpedieren, ein Misstrauensvotum gegen den Kanzler Willy Brandt scheiterte knapp, auch weil Geld geflossen war, es kam zu Neuwahlen, die die SPD als erstmals stärkste Fraktion des Bundestages für sich entschied. Es war in der Tat nicht der Weltuntergang, wie die Unions-Opposition damals behauptete, sondern ein ganz normaler Wechsel in einem demokratischen Land. Allerdings setzten Brandt und Scheel neue Themen, man wollte mehr Demokratie wagen und ein guter, friedlicher Nachbar in Europa sein, die Aussöhnung mit dem Osten, mit Polen, der UdSSR beherrschte auf Jahre die politische Debatte in Deutschland.
Auch das gehört hierhin. 1969, oder besser schon 1966 war die Union ziemlich am Ende, personell ausgebrannt, konzeptionell in der Adenauer-Zeit stehengeblieben. Der Alte aus Rhöndorf hatte halt zu lange regiert, der Übergang zu Ludwig Erhard klappte nicht, Kiesingers Kanzlerzeit war auch geprägt von Notstandsdebatten und einer stürmischen politischen Jugend, die gegen den Vietnam-Krieg der Amerikaner auf die Straße ging. Der Bildungsnotstand war ein weiteres Thema, das die Studenten massenweise protestieren ließ. Die SPD bot mit Brandt, Schmidt, Erler, Leber, Schiller, Wehner ein Personal-Tableau auf, das ungleich frischer wirkte.
Wechsel nötig und möglich
Ob es eine Wechselstimmung gab damals? Spiegel-Chef Rudolf Augstein schrieb: „Wir alle, denen die Dauerherrschaft der CDU/CSU zum Himmel stinkt, haben …erfahren, dass ein Wechsel nicht nur nötig, dass er auch möglich ist.“
Um mit Schäuble fortzufahren: Kohl unterlag Schröder 1998. Damals gab es eine Wechselstimmung nach 16 Jahren Kohl. Umfragen signalisierten Monate vor dem Wahltermin den Sieg des SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder, der die Kandidatur durch seinen absoluten Wahlsieg bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Frühjahr 1998 in Händen hielt. Noch am Nachmittag des Wahltages rief ihn SPD-Chef Oskar Lafontaine zu Hause in seiner Wohnung in Niedersachsen an und begrüßte ihn mit den Worten: „Hallo Kanzlerkandidat.“ 1998 war die Lage für die SPD personell ähnlich wie 1969. Die Partei mit Schröder, Lafontaine, prägte eine Aufbruchsstimmung, der Koalitionspartner, Die Grünen, hatten vor allem Joschka Fischer(gertenschlank, weil er täglich joggte), Jürgen Trittin, um nur zwei zu nennen, zu bieten, die für ökologische Themen eintraten und für den Ausstieg aus der Atomenergie. Und die CDU musste sich zunächst mit Helmut Kohls Spenden-Skandal herumschlagen. Es dauerte Jahre, ehe Angela Merkel Kohl aufs Altenteil setzte und die Macht in der Union übernahm.
Vor Wochen hätte kaum jemand von einer Wechselstimmung gesprochen. CDU und CSU lagen in Umfragen bei fast 40 Prozent der Stimmen, es schien nur ein Juniorpartner gesucht zu werden, der dann mit einem CDU- oder CSU-Kanzler eine Koalition bilden würde. Doch die Stimmung hat sich massiv gedreht, auch weil die Dauer-Kanzlerin Angela Merkel an Glanz verloren hat. Sie hat nicht mehr die Stärke von einst, man sieht das in den Runden mit den Regierungschefs der Länder, wo längst nicht alle ihr mehr folgen, sondern mehr und mehr machen, was sie wollen. Dabei wird ein Konzept gegen die Corona-Pandemie gesucht, das niemand zu haben scheint. Hier rückt ein Stück Machtwechsel heran, je näher der Wahltag im September kommt. Der dramatische Sinkflug der Union scheint nicht zu stoppen zu sein, auch weil immer wieder neue Affären um Geld das Vertrauen in die Union erschüttern. Auch ein Markus Söder, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, scheint da eher machtlos zu sein. Zu sehr ist die Geschichte seiner CSU um Spezl-Wirtschaft geprägt, vor allem noch aus der Zeit von Franz-Josef Strauß. Mir scheint es fraglich zu sein, ob ausgerechnet Söder, der ein Fan von Strauß ist , érfolgreiche Aufräumarbeiten leisten kann.
Er oder Sie, Sie oder Er.
So wird in den Medien die Frage gestellt: Er oder Sie oder besser nach grüner Art: Sie oder Er. Annalena Baerbock oder Robert Habeck. Sie müssen die K-Frage noch unter sich klären. Und da hat Frau Baerbock, die 40jährige verheiratete Mutter zweier kleiner Kinder, nunmal das erste Wort. So ist das bei den Grünen, die längst die SPD hinter sich gelassen haben. 15, 17 oder 18 Prozent, das ist der Stand der SPD seit Monaten, während die Grünen auf ihrem Höhenflug sind, der sie in Kürze an die Spitze heben könnte, vorbei an einer alten Regierungspartei, die konsterniert zugeben muss: Es gibt für uns keine Garantie aufs Kanzleramt. So ist es. Sie mögen das warnend in die Welt rufen, quasi als Schreckgespenst. Aber das wird nicht mehr funktionieren wie einst, als man die SPD mit einer rote-Socken-Kampagne in die Flucht schlagen konnte. Das ist vorbei. Grün ist in. Und zwar fast überall. Man frage die Wirtschaft, die Habeck und Baerbock die Türen offenhalten.
Sie oder Er. Das ist die Frage. Und man mag schon daran glauben, dass das Duo sich auch durch diese Frage nicht auseinanderdividieren lässt. Der politische Gegner wird fehlende Regierungserfahrung in den Wahlkampf werfenund fragen, ob die Baerbock denn das überhaupt könne? Das mit dem Kanzleramt. Dass die Frau stark in der Sache sei, wird akzeptiert, aber sie habe kein Ministerium geleitet, keine Regierung geführt. Habeck ja, der war mal Minister in Schleswig-Holstein. Aber ob diese Argumente verfangen angesichts der Präsentation der Grünen, die man ja fast meisterhaft nennen muss. Olaf Scholz wirkt dagegen grau, blass, was man auch als Stärke auslegen kann, als seriös. Einer wie Söder muss sich vor allzu harten Attacken hüten, sonst holt ihn die ganze CSU-Amigo-Strauß-Streibl-Kapfinger-Affären-Geschichte ein. Die Archive sind voll davon. Und die heutigen Medien auch Beispiele gefällig? Auf der Seite 2 der SZ vom letzten Freitag hat die CSU folgenden Titel: Der Frontmann des Herr Baron. Da geht es um Gauweiler, man kennt ihn aus Strauß-Zeiten, um Millionen Honorare. Das Bild dazu zeigt Gauweiler und den Baron August von Finck. Darunter eine weitere CSU-Geschichte: „Wo der Spezl noch spuckt“. Mit einem Foto von Seehofer und Gauweiler. Daneben liegt die Seite 3 des Blattes, immer schon auch der Stolz des Mediums. Das Aufmacher–Bild präsentiert die fröhlichen Habeck und Baerbock mit bunten frischen Blumensträußen in den Händen. So sehen Sieger aus.
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