Man nennt das Schaulaufen, wenn ein Hauptdarsteller die Bühne freigibt, (aber noch nicht abtritt), und jene, die sich berufen fühlen, auf die Bühne drängen. Fordern, reklamieren, sich brüsten. Seht her, ich kann es, ich will. Ich bin dabei. Ein solches Schaulaufen hat in Berlin begonnen, wobei die politische Bühne nicht nur im Reichstag zu finden ist, sondern überall dort, wo die Möchtegerne-Kanzlerinnen und -Kanzler ihre Chance wittern. Die Chance ist da, weil wir in jedem Fall im Herbst eine neue Regierung bekommen, in jedem Fall eine neue Kanzlerin oder einen neuen Kanzler. Wir wissen seit langem, dass Angela Merkel bald aufhört, im September wird sie bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr kandidieren. Aber nie wurde eine „Kanzlerinnendämmerung“(so ZDF-Chefredakteur Peter Frey) uns so deutlich vor Augen geführt wie vor ein paar Tagen, als Merkel mit ihrer Ministerpräsidentinnen- und Ministerpräsidenten-Runde einen Ruhetag für den kommenden Gründonnerstag nachts beschloss und verkündete, um am nächsten Morgen wieder zurückzurudern.
Man könnte sagen, bei Licht besehen war das mit der von oben verordneten Ruhepause als Kampfmittel gegen Corona doch keine so gute Idee. Merkel verknüpfte ihre Meinungsänderung mit einer Entschuldigung, wenn man so will vor dem deutschen Volk. Donnerwetter, Respekt, sagten die einen, andere sprachen von einer „lame duck“, also der lahmen Ente, die ihrem nahenden politischen Ende entgegenstolpere.
Und weil das Geschilderte und Kommentierte nicht übertrieben ist, hat es die deutsche Welt überrascht. Plötzlich spürten MIllionen Menschen, die Frau im Kanzleramt geht ja wirklich, andere mögen für sich hinzugefügt haben: Gut so. Nach 16 Jahren. Zumal das Pandemie-Management viel zu wünschen übrig lässt, sodaß das Ausland sich die Augen reibt über die mangelnde Effizienz in Deutschland.
Nie zuvor in all den Regierungsjahren von und mit der Pfarrerstochter aus der Uckermark stürmten dann auch die anderen Darstellerinnen und Darsteller die Bühne des Reichstags, um sich in Positur zu bringen und die Lücke zu füllen. Es ist ja nicht klar, wer ihr folgen wird, nachdem die Union durch Masken- und Moneten-Affären wegen Nebentätigkeiten in den Meinungsumfragen derartig abstürzt, dass es sogar nicht mehr ausgeschlossen ist, dass zum Beispiel die Grünen ins Kanzleramt einziehen.Sie haben ohnehin einen Lauf, die meisten Medien mögen das Duo Baerbock/Habeck und die beiden spielen gekonnt mit. Sie lachen in die Kameras und verkaufen sogar den Ernst der Corona-Politik mit einem Charme, dem die politische Konkurrenz nichts entgegenzusetzen hat. „Sie oder Er“, so die SZ heute und dann der Titel einer ganzen Seite-3-Geschichte: „Zwei sind einer zu viel.“ Ja, Annalena Baerbock und Robert Habeck müssen noch untereinander entscheiden, wer schließlich antritt. Frauen haben bei den Grünen den Vortritt, wenn Frau Baerbock nicht verzichtet, läuft es auf sie zu. Beide wollen, beide wollen Kanzlerin/Kanzler werden, ist der Tenor der Story, die in ähnlicher Form auch in den anderen großen deutschen Medien läuft. Wer soll die beiden stoppen?
Markus Söder, von den Medien immer wieder gern als Favorit für die Kanzlerkandidatur der Union gehandelt, was früher-muss ich einschränken- ja die Übernahme des Amtes selber schon fast mit einschloss, musste öffentlich eingestehen, dass es keine Garantie für die Union gebe, die Macht in Berlin zu behalten. Da wäre ja noch eine wichtige Wahl zu gewinnen. Und das könnte, wenn der CSU-Chef die Nebentätigkeits-Geschichten seiner Parteifreunde nicht in den Griff oder aus der Welt kriegt, immer schwieriger werden. Wer weiß, ob einer wie Söder, der sonst vor Selbstbewusstsein nur so strotzt, nicht plötzlich kalte Füße kriegt und lieber in Bayern bleibt. Erst der Nüßlein, dann der Sauter und jetzt musste er in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen: „Mehr als elf Millionen Euro für Gauweiler“. Das mag legal sein, ich will da nichts unterstellen, aber fragen wird man in so einem Fall auf jeden Fall dürfen: Was ist hier eigentlich die Nebentätigkeit bei dem tüchtigen CSU-Anwalt aus München, dem August von Finck Millionenhonorare zahlte? Gauweiler ist nicht irgendwer, er war mal Parteivize, und der Baron ist ein reicher Rechtskonservativer.
Geschichtskennern fällt beim Namen Finck ein, dass seine Vorfahren ganz früh der NSDAP beitraten, dass sie im Februar 1933 kurz nach der Machtübernahme dabei waren, als Hermann Göring die wichtigsten Männer der deutschen Industrie und Finanz nach Berlin einlud, um sie zu bitten, Millionen für die klamme NSDAP zu spenden. Da saßen sie beisammen, der Führer schaute auch vorbei und imponierte der Runde mit Krupp, Finck, Flick, Quandt, Siemens, Tengelmann. 24 waren es, die drei Millionen Reichsmark spendierten, damit Hitler die letzte freie Wahl auch wirklich in seinem Sinne bestreiten und gewinnen konnte. Später „belohnte“ er seine Gönner mit billigen Arbeitskräften, mit Zwangsarbeitern.Eric Vuillard hat dieses Kapitel deutscher Geschichte brillant in seinem Buch „Die Tagesordnung“ beschrieben.
Ja, die Zeiten sind nicht schön für Markus Söder. Er hat angekündigt, dass er aufräumen, mehr Transparenz schaffen will. Söder will keine Rückkehr zur Spezl-Wirtschaft seines großen Vorbilds Franz-Josef Strauß. Aber so einfach scheint das nicht zu sein, wenn einige seiner Parteifreunde Geschäfte mit der Corona-Not machen, wie Nüsslein vorgeworfen wird. Der war immerhinn Fraktions-Vize in Berlin. Dann der Fall Sauter, führendes Mitglied der Partei. Und die Vorwürfe sind noch nicht geklärt, da tauchen dann die Einkünfte von Peter Gauweiler auf, Nebeneinkünfte aus früherer Zeit zugegeben. Die von Finck erhaltenen gibt die SZ für die Jahre 2008 bis 2015 mit mehr als zehn Millionen Euro an. Da war er noch Mitglied des Bundestages. Gauweiler und Sauter kennen sich.
Alles Einzelfälle, mag sein, aber sie ergeben ein Bild, das man auch mit Raffgier-Affäre beschreiben kann, wie es die angesehene SZ tut. Söder will eine neue CSU, will die alten Geister um Strauß, Tandler, Streibl vertreiben. Der Nutzen des Gemeinwohls soll künftig für Nebentätigkeiten von Mandatsträgern der Maßstab sein, keine Annahme mehr von „ungerechtfertigten Vorteilen, die in Ausübung des Mandats in Zusammenhang stehen“. Wenn das alles so einfach wäre und schnell zu regeln. Die SPD im Bund drängt darauf, dass Nebentätigkeiten von Abgeordneten bereits vom ersten Euro an offengelegt werden, auch soll klargemacht werden, wer an welcher Firma beteiligt ist.
Armin Laschet, der Ministerpräsident von NRW und CDU-Bundesvorsitzender, galt eine Weile als ausssichtsreicher Mann für die Kanzlerkandidatur, auch weil die CDU ungleich stärker ist als die bayerische Regionalpartei mit bundespolitischem Anspruch. Aber der Rheinländer aus Aachen kommt nicht richtig in die Pötte, würde man im Revier sagen. Er wirkt nicht überzeugend, wenn er redet, da ist wenig Ausstrahlung, wenn er den Raum betritt. Kürzlich empörte er sich im Landtag über die oppositionelle SPD, weil die immer wieder behauptet hat, in NRW lägen Tausende und Abertausende von Impfdosen herum. Laut Laschet stimmt der Vorwurf nicht, Tatsache ist aber doch wohl, dass die Impf-Bilanz in seinem Lande eher bescheiden ist. Gleichwie wirkte sein Auftritt eher komisch. Man kennt sowas aus einer alten Werbung mit den HB-Männchen.
In Meinungsumfragen liegt Laschet hinter Söder. Beide waren übrigens beteiligt an dieser Runde mit Merkel, die den Ruhetag beschloss. Es waren irgendwie alle -außer der AfD- beteiligt, Schwarze, Rote, Linke, Liberale, Grüne, in ihrendeiner Koalition ist jede Partei dabei, stellt Minister oder Ministerpräsidenten wie in Thüringen die Linke mit Ramel´low und die Grünen in Baden-Württemberg mit Kretschmann. Niemand aus dieser Runde kritisierte Merkel später, weil die Kanzlerin den Beschluss einkassiert hatte. Da war eher von Respekt die Rede. Doch man darf in dem Zusammenhang schon die Frage stellen, warum denn keiner der Länder-Regierungschefs gegen den Ruhetag argumentierte oder zumindest dafür gesorgt hätte, eine Nacht darüber zu schlafen, ehe man sich nach einer erneuten Debatte auf eine Lösung festlegte. Aber das Theater um den Ruhetag passt in die von Profilkämpfen und Eigeninteressen geprägten 1+16-Runden, die ja eigentlich keine Verfassung als Beschlussorgan vorsieht.
Aber wer weiß, was noch passiert. Und einer wie Laschet ist oft unterschätzt worden, er hat manche Niederlage kassiert, stand dann später aber besser da als zuvor. Er hat all die innerparteilichen Konkurrenten um Rüttgers, Röttgen, Merz überlebt. Und wenn Söder, der nicht zu den Mutigsten im Lande gehört, verzichten sollte aus Angst vor einer Niederlage, dann wird Armin Laschet antreten müssen. Als CDU-Chef kann er nicht kneifen.
Auf Profilsuche gingen im Reichstag dann andere. Zu beobachten war, wie Christian Lindner von der FDP auf die Bühne stürmte, weil er klarmachen musste, was da alles schiefgelaufen war. Wobei er sicherlich meint, es muss ja alles daneben gehen, weil ich, Christian Lindner, nicht dabei bin. Er ist nicht dabei, wie wir alles wissen, weil er damals die Verhandlungsrunde mit Merkel und den Grünen verlassen hatte mit den Worten: „Es ist besser nicht zu regieren, als schlecht zu regieren.“ Ein großes Wort von diesem eher schmächtigen Mann, der seitdem keine Gelegenheit auslässt, der Kanzlerin mitzuteilen, was sie alles falsch macht. Richtig überzeugend ist das für mich nicht, weil der Lindner auch ein Selbstdarsteller ist. Der früher mit seinen Unterhemden auffiel, sich dann wie der Fußball-Trainer Klopp Haare transplantieren ließ und der heute schon mal mit einem „Sauerkraut-Bart“ rumläuft, wie es der frühere SZ-Chefredakteur Kurt Kister beschrieben hat. Er nennt ihn in seiner Kolumne den „Idealtypus des besserwissenden Oppositionsführers“. Lindner, schreibt Kister weiter, sei „praktisch immer gegen alles, weil sein Grundprinzip lautet, lieber gescheit daherreden als gescheit mitregieren“. Lindner wäre demnach im Zweifelsfall auch gegen Lindner- würde sich das nicht gegen sein Hauptinteresse richten. So Kister.
Olaf Scholz läuft sich auch langsam warm im Kampf um das Kanzleramt, die Kandidatur hat er ja als einziger schon in der Tasche. Sein Problem: die SPD und die neue Führung, die ihn damals ausgestochen hat. Ihn dann aber als Kanzlerkandidaten auf den Schild hob. So richtig glaubwürdig war das nicht. Was sich ja auch in den Umfragen zeigt, wo die SPD, wenn man es positiv nennen will, auf immerhin 18 Prozent-in einer Umfrage- geklettert ist. Andere Umfragen sehen sie bei 15 oder 17 vh. Toll ist das alles nicht. Und der Hamburger weiß, wenn er nicht mindestens den Sprung auf 25 Prozent schafft, wird das nichts mit dem Kanzleramt. Auch wenn er das immer wieder betont, dass er Kanzler werde. So richtig lachen wie die Grünen kann der Scholz nicht. Er schaut blass und ernst, steht fast bewegungslos-oder staatstragend? am Rednerpult, verkündet die neuen Schuldenzahlen für den Bund. Ob das seine Art von Optimismus ist? Oder die Ruhe, die er der Merkel abgekuckt hat, weil er die ja beerben will? Ein Kanzler Scholz als eine Art Kontinuität, Fortsetzung der Politik der ruhigen Hand? Ob er das auch so sieht? Übrigens sieht Kurt Kister das anders: „Olaf Scholz hat sowieso keine Chance aufs Kanzleramt, u.a. weil er für die SPD kandidiert.“ Na ja, für wen soll er sonst antreten.
Zurück zu Angela Merkel, die ja immer noch Kanzlerin ist. Und denjenigen, die es den Grünen um Baerbock und Habeck nicht zutrauen, sei gesagt: Ich habe erlebt, als Helmut Schmidt, der angeblich beste Kanzler der Republik, 1982 von Helmut Kohl in einem konstruktiven Misstrauensvotum abgelöst wurde. Über Kohl wurde oft gelacht, wurden Witze gemacht. Als er sich eine neue Brille zulegte, hieß es despektierlich: „Ein neues Gestell, das macht intellektuell“. Wenn er ans Rednerpult des Bundestags trat und davon sprach, es sei jetzt nicht die Zeit für dies und das, rief ihm SPD-Fraktionschef Herbert Wehner aus der ersten Reihe zu: „Mahlzeit.“ Man spottete über die Sprache des Pfälzers, der von Bimbes redete, wenn er Geld meinte. Und Karikaturisten zeichneten ihn gern als Birne. Nicht zu vergessen, dass CSU-Chef Strauß ihn als völlig unfähig bezeichnet hatte. Der werde nie Kanzler. Und? Zu Angela Merkell habe ich erst kürzlich wiedergegeben, was in der Union gegen sie vorgebracht wurde. Ergänzen kann man noch: Als sie in Bonn nach der Wende auftauchte, kannte sie kaum jemand, spöttische Bemerkungen machten die Runde, wo sie denn ihre Kleider einkaufe, wer ihr Frisör sei. Man frage mal Friedrich Merz, der damals Fraktionschef der Union war und der kniff, als die Parteichefin Merkel ihren Anspruch auf die Führung der Fraktion geltend machte. Oder Roland Koch, der ist auch nie Kanzler geworden.
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