Das Echo auf die kurze Erklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen des Verzichts auf die zusätzlichen Oster-Ruhetage ist beispiellos. In der FAZ schrieb Berthold Kohler über ein „Osterdebakel“. Der Glaube an die „Krisenbewältigungskompetenz“ (ein Wort) sei erschüttert. Ein „Kotau“ wurde auf Google News erkannt. Die Dame mit den magischen Eislauffüßchen aus Berlin sah sich an Vorgänge in der DDR erinnert – als ehemaliges Volkskammer- Mitglied muss sie es ja wissen. Die Süddeutsche Zeitung sah ein „Schuldeingeständnis“ (Gegen welche moralische Regel soll sie verstoßen haben?)
Soll eine Vertrauensfrage im Parlament eine Art „Sühne“ sein? AfD- Repräsentanten und Linken-Führer sowie FDP-Boss Lindner forderten unisono die Vertrauensfrage. Irgendwie wie die „Drei von der Tankstelle“.
Gab es eine Regierungskrise, weil sich die Bundeskanzlerin für eine Fehlentscheidung entschuldigt hatte? „Die Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag wäre ratsam, um die Handlungsfähigkeit der Regierung von Frau Merkel zu prüfen“, meint der FDP-Vorsitzende. https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/newsticker-corona-fdp-chef-lindner-merkel-soll-vertrauensfrage-stellen/ar-BB1eUHyB. Aha. Ratsam.
Die Vertrauensfrage stellt die Spitze der Regierung, wenn sie ihre eigenen Leute disziplinieren oder wenn sie prüfen will, ob sie noch eine Mehrheit für ihre Politik hat. Zweifel daran bestehen aber nicht. Also Show der drei „von der Tankstelle“. Ich war erstaunt, freitags in meiner Lokalzeitung Bonner General-Anzeiger auf der Seite eins die nüchterne Überschrift zu lesen: „Merkel bittet um Verzeihung.“ Es geht also auch so. Nachmittags habe ich viel telefoniert. Ergebnis: Verständnis für die Abbitte der Regierungschefin, das Echo ging eher in Richtung honorig und anständig als in Richtung „Deba-Schu-Tau“.
Parteienstreit ist in der parlamentarischen Demokratie Alltag. Streit ist Teil des politischen Wettbewerbs. Streit bedeutet, Kontrahenten und deren Handlungen wie Unterlassungen so zu bewerten, dass ein Vorangehen in der Sache möglich wird und Angreifer gegenüber Angegriffenen einen öffentlich wahrnehmbaren Vorteil haben. Das funktioniert in parlamentarischen Demokratien. Das schafft Unterschiede, erzeugt Spannung, fordert heraus, befördert mitunter den demokratischen Fortschritt.
In Parlamentarischen Demokratien mit der Tendenz zur Ein-Parteienherrschaft funktioniert dieser Wettbewerb nicht oder nur sehr eingeschränkt. Ungarn ist ein Beispiel. Noch eindeutiger ist die Situation in Russland. Wir haben also im Vergleich zu anderen einiges zu verlieren.
Erstaunlich ist, dass es in der deutschen Nachkriegs-Demokratie immer wieder Entscheidungen und Vorgänge, Prozesse gab, die im Zusammengehen ausklangen. Offenbar kennt der Parteienstreit Grenzen, ohne die Demokratie zu beschädigen.
Das Einschwenken der Sozialdemokratie auf den West-Kurs Adenauers ist ein Beispiel dafür, dass solche Grenzen akzeptiert werden. Schmidt, Leber und Apels Verteidigungspolitik mit den hohen Zuwachsraten des Verteidigungsetats während der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts (auch während Brandts Kanzlerjahre) ist ein weiteres Beispiel. Kohls Fortsetzung der Ost- und Friedenspolitik. Ein wenig bekanntes Beispiel: Die Verständigung von CDU/CSU, SPD und FDP am 9. November 1989 im Deutschen Bundestag über die langfristige Sanierung des Rentensystems durch den Übergang von der Brutto- zur Nettoanpassung der jährlichen Erhöhungen. Danach die Einigungsverträge. Die Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf Fallpauschalen gegen das Prinzip Kostendeckung, also gegen: Koste es, was es wolle. Die Sicherung der öffentlichen Haushalte Griechenlands. Es gibt weitere Beispiele.
All das ist im Wissen unternommen worden, dass es um mehr geht als Interessen einer Partei; dass Zukunft auf dem Spiel steht und es vernünftig ist, der Freiheit wie der Gerechtigkeit wegen Parteienstreit einschlafen zu lassen oder wahrnehmbar zu beenden. Was heute auf dem Spiel steht? Einige ernüchternde Zahlen:
In Deutschland liegt die Todesrate – Sterbefall durch das Virus und die Folgen einer Infektion – bei 900 je eine Million Menschen. Das ist eine erschreckende Zahl. In Schweden sind es:
1300 Tote je eine Million, Frankreich 1400, Italien 1700, Vereinigtes Königreich 1800, Belgien fast 2000 und Tschechien 2300.
In Köln ist der Ansteckungswert auf 100 000 Menschen gerechnet von Donnerstag 112 auf Freitag auf 128 hochgeschnellt.
Da die Stadt die Proben der positiv Getesteten (PCR-Tests) seit Januar untersucht, hat sich gezeigt: 2075 Fälle durch die britische Virus-Mutation, 242 durch eine südafrikanische Mutation und zehn durch eine brasilianische. Stand: jetzt. Soll das so weitergehen? Die Infizierten-Zahlen seit Ausbruch der Pandemie:
Deutschland 2,7 Millionen;
Frankreich 4,4 Millionen;
Italien 3,4 Millionen;
Vereinigtes Königreich 4,3 Millionen;
Tschechien 1,5 Millionen;
Belgien 850 000.
Soll das so weitergehen? Bevor im April mehr und mehr Impfstoff zur Verfügung steht, Impfzentren und niedergelassene Ärzte und Ärztinnen gleichzeitig impfen sind noch extrem gefährliche Wochen zu überstehen, also eine Zeitspanne, bis die Impfung der Ansteckung vorauseilt und Infizierten-Zahlen sinken lässt. Karl Lauterbach sprach im Fernsehen reichlich pathetisch im Militärjargon von einem „letzten schweren Gefecht“. (Maybritt Illners Sendung am 25. März 21) Im Kern hat er Recht. Aber diese Wochen werden nur dann erfolgreich bewältigt können, wenn in der „großen Maschine Pandemiebekämpfung“ die Räder und Rädchen ineinander greifen.
Wenn das hier zu machen und nebenan öffnen aufhört.
Wenn alle ihre nicht unbedingt notwendigen Kontakte sein lassen.
Wenn wiederholtes Testen zum „Volkssport“ geworden ist.
Wenn diszipliniert die Impftermine wahrgenommen werden.
Wenn nicht immer wieder erneut Verwirrung und Spaltung im Land erzeugt wird.
Es ist keine gute Zeit für politische Taktik und vorübergehenden Beifall von der Galerie. Es ist Zeit für Streitende.
Bildquelle: Pixabay, Bild von Gerd Altmann, Pixabay License